Dies & Das: Wohnungsnot trifft auch den Mittelstand

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Jutta Berger, 8. April 2019

Hohe Baukosten, überteuerte Mieten: Immer mehr Menschen in Vorarlberg können sich das Wohnen nicht mehr leisten. Die Caritas lud zur Diskussion

Wohnungsnot hat viele Gesichter

Dornbirn – Wohnungsnot hat viele Gesichter. Jenes des obdachlosen, auf der Straße lebenden Menschen ist das offensichtlichste. Immer öfter zeigt sich das Problem der versteckten Wohnungsnot. Die Zahl der Menschen, die in prekären Wohnsituationen leben, steigt: Zu viele Menschen auf engem Raum, im Substandard oder als Wohnnomaden, die ihre Wohnungslosigkeit verbergen, indem sie temporär bei Familienmitgliedern oder im Bekanntenkreis unterkommen.


Wie kann diese Situation verändert werden? Die Caritas Vorarlberg lud zum Expertinnenhearing über prekäres Wohnen und das Recht auf Wohnen nach Dornbirn. Die Befunde der Berliner Menschenrechtsexpertin Claudia Mahler und der Wiener Sozialwissenschafterin Evelyn Dawid sind klar: Dem verbrieften Menschenrecht auf Wohnen stehen überhöhte Preise, inadäquate Förderungen und fehlende politische Lösungen gegenüber. Und: Das Problem, sich das Wohnen nicht mehr leisten können, „ist längst kein Randproblem mehr, es ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen“ (Juristin Claudia Mahler).

Hohe Baukosten, hohe Mieten

Die Miete für eine neue gemeinnützige Wohnung beträgt in Vorarlberg bis zu 9,80 Euro pro Quadratmeter. Begründet wird das mit hohen Baukosten. „Die Errichtungskosten liegen deutlich über 3.000 Euro pro Quadratmeter“, kritisiert Hans-Peter Lorenz, Geschäftsführer der Vogewosi, Vorarlbergs größter gemeinnütziger Wohnbaugesellschaft. Als einen Grund dafür nennt Lorenz die hohen Qualitätsstandards, als einen weiteren die hohen Baustoffpreise, die es Firmen aus dem Ausland oder anderen Bundesländern schwer bis unmöglich machen, auf dem Vorarlberger Markt Fuß zu fassen.

Auf dem privaten Wohnungsmarkt, der in Vorarlberg dominiert, sind die Preise nach oben offen. „Auch Vermieter alter Wohnungen orientieren sich am Markt“, berichtet Ulrike Stadelmann, Juristin bei der Arbeiterkammer. Hohe Kautionen und kurze Befristungen der Verträge verschärften die Situation: „Jeder Umzug kostet.“ Ein weiterer Kritikpunkt der Konsumentenberaterin: „Die hohen Wohnungspreise werden bei der Bemessung der Mindestsicherung nicht berücksichtigt.“

Es wird eng

Allein in Dornbirn, Vorarlbergs größter Stadt, warten 1.200 Menschen auf eine gemeinnützige Wohnung. „150 können wir 2020 versorgen“, sagt der zuständige Beamte Andreas Metzler. Besonders schwierig sei die Suche für große Familien. Im Vorjahr bewarben sich 200 Interessenten um Vierzimmerwohnungen, 20 bekamen eine zugewiesen.

„Wer auf eine Behördengarantie angewiesen ist, hat auf dem freien Markt keine Chance“, berichten Sozialarbeiterinnen aus der Praxis. Außer bei jenen Besitzern, die „richtige Löcher“ vermieten. Von 200 solchen Substandardunterkünften ohne WC und Fenster weiß die Arge Wohnungslosenhilfe. Immer häufiger sei „versteckte Wohnungslosigkeit“ zu beobachten. Junge Menschen, die es sich nicht leisten können, von ihren Eltern wegzuziehen. Menschen, die nach Scheidungen zu den Eltern zurückziehen. Geschiedene Männer, die im Auto leben, Alleinerzieherinnen, die nicht aus temporären Krisenwohnungen wegziehen können.

Bauen für die Reichen

Die Ausgaben für die Wohnung sollten maximal zwischen 25 und 30 Prozent des Einkommens liegen, raten Experten. Bei Quadratmeterpreisen von zwölf Euro aufwärts ohne Betriebskosten ist das Wohnen für Durchschnittsverdiener nicht mehr leistbar. Beim marktüblichen Preis für eine Kleinwohnung müsste eine Einzelperson über 3.000 Euro verdienen, um nicht mehr als ein Viertel für das Wohnen ausgeben zu müssen.

Es werde am Bedarf vorbei gebaut, sagt Michael Diettrich von der Armutskonferenz. Den Grund sieht er in der Spekulation. „Das anlagesuchende Kapital treibt bei uns die Preise hoch. Man muss den Zufluss von Kapital auf den Immobilienmarkt stoppen.“ Möglich sei das nur durch Abschöpfung.

„Gebaut wird vor allem im Luxussegment“, stellt Arbeiterkämmerin Stadelmann fest. Meist für Zweitwohnungen, was neuen Leerstand generiere. „Wollen wir das wirklich? Das ist eine politische Entscheidung.“

Einige der Forderungen an die Politik: mehr gemeinnützigen Wohnbau ohne Ghettos zu schaffen, Anpassung von Löhnen und Förderungen, Startwohnungen für junge Menschen, Mobilisierung von Leerstand, Senkung der Qualitätsstandards und damit der Baukosten, Leerstand- und Zweitwohnsitzbesteuerung. (Jutta Berger, 8.4.2019)

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