Dies &Das: Der gefällige Herr Kurz

Der Altkanzler weiß, wie Politik im digitalen Medienzeitalter funktioniert. Aber was bleibt ohne Inszenierung?

Peter Huemer  9. Juli 2019

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Publizist Peter Huemer im Gastkommentar über die Entgleisungen des und die Verehrung für Sebastian Kurz.

Dieses Land arbeitet sich ab an Sebastian Kurz. Das ist ein Fehler. Und dieser Text ist ein Beitrag dazu. Noch ein Fehler. Ronald Pohl hat im STANDARD einen Bogen gespannt von Hamlet über Napoleon zu Kurz (siehe „Nur nicht zaudern wie Prinz Hamlet„). Alles, was recht ist, jetzt reicht’s. Wäre es nicht sinnvoll, zur Abwechslung an einen Typ wie Popeye zu denken? An sich keine interessante Figur, aber der Spinat verleiht ihm ungewöhnliche Kräfte. Und was ist der Spinat? Im Fall von Sebastian Kurz das ausgeprägte Talent, sich einer breiten Öffentlichkeit gefällig zu präsentieren.

Desinteressierte Arroganz

Doch manchmal entgleist er. Aufschlussreich dazu ist ein Text von Florian Scheuba vor wenigen Wochen in dieser Zeitung. Ich zitiere Scheuba, weil die Geschichte so unglaublich ist. Vor dem BVT-Untersuchungsausschuss habe der Bundeskanzler erklärt, „weder von dem als BVT-Belastungszeugenpräparator bekannt gewordenen Udo Lett jemals gehört zu haben, noch davon zu wissen, dass einige dieser Zeugen zuvor von Herbert Kickl persönlich im FPÖ-Parlamentsklub gebrieft worden waren. Ebenso unbekannt war dem Altkanzler, dass bei der rechtswidrigen Razzia im BVT eine Datenbank beschlagnahmt wurde, auf der vertrauliche Informationen befreundeter Geheimdienste gespeichert waren, was in weiterer Folge zu internationalen Isolationsmaßnahmen gegen das österreichische Amt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung führte“ (siehe „So geil ist Sebastian Kurz). Hat es sich so zugetragen, dann ist diese Art von desinteressierter Arroganz für den Bundeskanzler der Republik absolut unangemessen. Und ein Sicherheitsrisiko.

Sebastian Kurz ist ein begabter Techniker der Macht mit ausgezeichnetem Beraterstab. Wie Politik im digitalen Medienzeitalter funktioniert, weiß er. Dabei kann es allerdings zu Übertreibungen kommen. Dass ein evangelikaler Prediger in einer Show in der Wiener Stadthalle Tausende für Kurz und seine Politik beten ließ: „Vater, wir danken dir so sehr für diesen Mann, für die Weisheit, die du ihm gegeben hast“. Dazu das Bild, wie Kurz gesenkten Hauptes daneben steht. Das war zu viel des Guten.

Hält seine Unterstützer bei Laune: Sebastian Kurz vergangenen Freitag in Korneuburg.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Uneingeschränkte Verehrung

Das weckt Erinnerungen an eine andere Art christlicher Politik. Dass der Altkanzler ausgerechnet zu der Zeit erklärte, das Parlament habe zwar gegen ihn entschieden, doch bald werde das Volk sprechen, hat den unguten Eindruck verstärkt. Schon klar: Das Parlament ist dort, wo man sich mit dem eigenen Handy beschäftigt. So stellt es sich vielen dar, die Übertragungen aus dem Parlament verfolgten. Daher das Unbehagen an dieser Aussage. Und die Frage: Welcher Art ist die Beziehung des Altkanzlers zum Parlament, wo oppositionelle Parteien lautstark widersprechen?

Was für Kurz eine riesige Hilfe ist: die uneingeschränkte Verehrung durch die Krawallzeitungen, von Hans Rauscher zu Recht als „Sebastian-Kurz-Gebetsliga“ bezeichnet. Doch auch hier wird manchmal übertrieben. Am 9.2.2018 brachte das Boulevardblatt „Österreich“ den Aufmacher: „Kurz rettet den Opernball“. Wie das? Indem er dort war. Nicht selten hat man den Eindruck: In diesem Land ist nichts mehr peinlich.

Politischer Instinkt

Und nichts mehr geht nicht: Nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos überlegte der Bundeskanzler allen Ernstes, die Koalition mit der FPÖ fortzusetzen, falls Herbert Kickl und die beiden Dampfplauderer von Ibiza nicht mehr dabei sind. Da hatte ihn sein politischer Instinkt – offenbar in Panik – vollständig im Stich gelassen. Hätte diese Regierung weitergetan, wäre sie – jedenfalls im demokratischen Westen – zur Lachnummer verkommen. Davor hat die FPÖ mit ihrer Absage Kurz bewahrt.

Interessant wird, ob ÖVP und FPÖ die Flüchtlinge und das Angstmachen davor, ihren bewährten Superhit, wieder ins Zentrum ihres Wahlkampfs stellen werden. Ob sie bemerken, wie ranzig das Thema geworden ist. Andererseits: An Klimafragen hatten beide Parteien bisher kein Interesse. So sieht ihre Steuerreform auch aus. Ökologisch eine Katastrophe. Interessant wird daher auch, wie viele Wähler und Wählerinnen das merken und endgültig eine andere Zukunft wollen.

Selfie-Tour

Und was den Wahlkampf betrifft: Wir erinnern uns an die dreiste Überschreitung der Wahlkampfkosten durch die ÖVP beim letzten Mal, später an die Ausreden, wie es dazu kam und warum die veröffentlichte Liste der ÖVP-Wahlkampfspenden hinten und vorn nicht gestimmt hat – immer mit dem Zusatz, hier sei alles „transparent“. Und wer soll das glauben? Außer den Gläubigen.

Und wenn Kurz seit Wochen Hände schüttelnd und zu tausend Selfies bereit durchs Land zieht: Wer soll der ÖVP glauben, das sei nicht Wahlkampf? Wie dumm sind wir denn? Ist Politik in Österreich mittlerweile weniger ernsthaft als ein Kasperltheater für die Kleinsten?

Skurriles Team

Zum Schluss: Gerade weil er für viele ein solcher Sympathieträger ist, fällt anderen das Fragwürdige bei Kurz besonders auf. Das wird ihn nicht daran hindern, die nächste Wahl zu gewinnen. Ob er neuerlich mit der FPÖ koalieren kann, scheint wesentlich davon abzuhängen, ob sich dort die Linie Hofer oder die Linie Kickl durchsetzt. Gewinnt Norbert Hofer, ist zu befürchten, dass wir neuerlich mit diesen penetranten unausgesetzten wechselseitigen Sympathiebekundungen belästigt werden, wie sie zwischen Kurz und Heinz-Christian Strache üblich waren. Bis das Ganze neuerlich platzt.

Doch Strache selbst ist vorderhand aus dem Rennen. Und wie Frau Strache Herrn Strache politisch ausgebremst hat, das war schon sehenswert. Sie ist drin, und er steht auf der Seife. Und niemand weiß, wie lang. Ein skurriles Team. (Peter Huemer, 9.7.2019)

Peter Huemer ist Historiker, Publizist und war lange Jahre ORF-Journalist.

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