Dies & Das: Wem gehört der Regenwald?

Streit um Amazonas-Brände von David Lauer

Wem gehört der Regenwald?

Feuer im Regenwald: Ist es „unser Haus“, das hier brennt? Oder sind wir es selbst, die die Brände mit unserem Lebensstil befeuern? (AFP/ GREENPEACE/ Victor Moriyama )

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„Unser Haus brennt“, twitterte Frankreichs Präsident über die Feuer am Amazonas. Spricht aus diesem Appell die Arroganz einer früheren Kolonialmacht? Besonders glaubwürdig sei Macrons lautere Absicht jedenfalls nicht, kommentiert David Lauer.

Es gibt kein politischeres Wort als das Pronomen der ersten Person Plural: „Wir“. Wer ist gemeint, wenn jemand „Wir“ sagt? Wer ist Teil dieses Wir, wer nicht? Die Linguistik unterscheidet zwischen dem inklusiven und dem exklusiven „Wir“. Das inklusive „Wir“ meint: ich, die Sprecherin, und du, die Angesprochene, zusammen: wir beide. Das exklusive „Wir“ jedoch meint: ich, der Sprecher, und meine Freunde. Aber du, der Angesprochene – du nicht.

Globale Verantwortung oder koloniale Arroganz?

Was also meinte Emmanuel Macron, als er – auf Englisch – twitterte, „unser“ Haus stehe in Flammen? Natürlich, so erklärte der französische Präsident, war dieses „Wir“ inklusiv gemeint: Der Amazonas-Regenwald sei für das Ökosystem des gesamten Planeten lebenswichtig und daher unser aller Gemeingut. Der brasilianische Rechtsaußen-Präsident Bolsonaro hingegen witterte darin einen kolonialistischen Besitzanspruch und konterte mit einem exklusiven „Wir“: Wir – die brasilianische Regierung – wissen sehr gut, was zu tun ist, und brauchen weder eure Ratschläge noch euer Geld.

Nun braucht man sich über Bolsonaros Beweggründe keine Illusionen zu machen. Seine antikoloniale Erregung ist schon deshalb heuchlerisch, weil er selbst eine kolonialistische Mentalität reinsten Wassers an den Tag legt, sobald er sich über die indigenen Völker des Amazonas äußert. Die Menschen, die den Regenwald im strengsten Sinne als „ihren“ bezeichnen dürften, sind nicht Teil von Bolsonaros „Wir“. Ihre Schutzgebiete sind ihm ein Dorn in Auge. Am liebsten würde er gleich den ganzen Regenwald zur unbegrenzten Bewirtschaftung freigeben.

Für „unseren“ Lebensstil sollen andere bezahlen

Und dennoch trifft Bolsonaros Riposte einen wunden Punkt. Denn tatsächlich gehört es zum unreflektierten Erbe des Kolonialismus, dass westliche Staatschefs gerne zum inklusiven „Wir“ greifen – im Namen des planetaren Wohls, doch ohne dass die in dieses Wir Miteinbezogenen überhaupt mit am Tisch sitzen dürfen.

Wenn schon globale Verantwortung, dann auch dort, wo es dem Westen wehtut: David Lauer. (© Fotostudio Neukölln / Gunnar Bernskötter)

Deutlich geringer ausgeprägt ist hingegen ihre Neigung, sich selbst in ein inklusives „Wir“ einbinden zu lassen: Der Regenwald, das ist „unser aller Regenwald“. Aber die Inseln Mikronesiens, die von den ansteigenden Weltmeeren verschluckt zu werden drohen, das sind natürlich nicht „unsere Inseln“, sondern die Inseln irgendwelcher anderer Leute, aus deren Schicksal vor allem keine Forderungen für „unseren“ Lebensstil abgeleitet werden dürfen. Und schon ist das „Wir“ wieder exklusiv geworden.

Europa isst Rind isst Regenwald

Deshalb umweht Macrons Formulierung von „unserem Haus“ der Hauch der hohlen Phrase. Um ihr Glaubwürdigkeit zu verleihen, wäre als erstes die Tatsache anzuerkennen, dass wir nicht die Lösung, sondern Teil des Problems sind. Brandrodungen sind unter anderem deshalb wirtschaftlich attraktiv, weil sie mithelfen, unsere Nachfrage nach Fleisch zu obszön niedrigen Preisen zu befriedigen. Wenn also schon Inklusivität, dann auch dort, wo sie schmerzt: Wir sind die, die manisch zerstören, was sie zu lieben vorgeben.

Klarer als bei Macron findet sich diese Verstrickung bei einem anderen Franzosen ausgesprochen, der vor über sechzig Jahren über den Amazonas schrieb: Claude Lévi-Strauss. In seinem Buch „Traurige Tropen“ schilderte er mit aufrüttelnder Schärfe die Wunden, die europäische Herrschaft und kapitalistisches Wirtschaften dem Regenwald und seinen Bewohnern geschlagen hatten: „Was uns die Reisen zeigen, ist der Schmutz, mit dem wir das Antlitz der Menschheit besudelt haben“, schrieb Lévi-Strauss. Der Westen werde erst Ruhe geben, „wenn der Regenbogen der menschlichen Kulturen endlich im Abgrund unserer Wut versunken sein wird“.

David Lauer ist Philosoph und lehrt an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem in der Philosophie des Geistes und der Erkenntnistheorie. Er lebt mit seiner Familie in Berlin.

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