Dies & Das: Wahl zum Nationalrat 2019 -Wahlprogramme im Überblick: Was den Parteien (wirklich) wichtig ist

ANALYSE

Die Programme zeigen auch, welche Partei Maßnahmen fordert, die sie längst hätte umsetzen können. Ein Überblick.

Sebastian Fellner 

26. September 2019

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Wahlprogramme im Überblick: Was den Parteien (wirklich) wichtig ist

DER STANDARD hat alle Programme aussichtsreicher Parteien gelesen, zusammengefasst und thematisch neu sortiert. Welche Bedeutung die Parteien den Themen zumessen, ist an der Länge der Texte ablesbar.

Grafik: Fatih Aydogdu

Staat und Freiheit

ÖVP: Der Kampf gegen illegale Migration muss fortgesetzt werden. Zentral ist der Schutz der EU-Außengrenze, um Menschen ohne Fluchtgrund von der Einreise abzuhalten. Der „politische Islam“ und die Identitären werden verboten. Eine Klarnamenpflicht bekämpft Hass im Netz, Verhetzung wird härter bestraft. Es gibt mehr Plätze in Frauenhäusern. Das Bundesheer bekommt mehr Geld.

Realitätscheck: Als Regierungspartei hat die ÖVP mehrere Verschärfungen bei der Migration beschlossen. Beim Bundesheer wurde gespart.

SPÖ: Ein Aktionsplan bringt die Justiz wieder auf Vordermann: mehr Personal, mehr Prävention, mehr Digitalisierung. In die Polizei wird investiert. Frauen und Mädchen müssen mit genug Beratungszentren und Frauenhäusern vor Gewalt geschützt werden.

Realitätscheck: Die SPÖ vertrat diese Positionen als Oppositionspartei.

FPÖ: Die Freiheitlichen verweisen unter dem Punkt „Sicherheit“ auf bereits erfolgte Verschärfungen im Asylbereich: Betroffene müssen sich etwa nun an den Kosten für ihr Asylverfahren beteiligen, Handydaten werden ausgelesen, es kam zu mehr Abschiebungen. Die Polizei wird mit „motivationsfördernden Maßnahmen“ gestärkt – etwa einem „gerechten Besoldungssystem“. Die direkte Demokratie soll gefördert werden. Das Bundesheer soll ausreichend finanziert werden.

Realitätscheck: Die Partei setzte sich unter Türkis-Blau erfolgreich für Verschärfungen in so gut wie allen Migrationsfragen ein. Eine Erhöhung des Heeresbudgets konnte sie zuletzt nicht durchsetzen.

Neos: Eine unabhängige Bundesstaatsanwaltschaft garantiert die Unabhängigkeit der Justiz. Politiker sollen für grob fahrlässiges Handeln haften. Die ersten Schritte zur europäischen Armee werden auf den Weg gebracht. Informationsfreiheit statt Amtsgeheimnis, Stopp dem Postenschacher.

Realitätscheck: Das sind allesamt langjährige Forderungen der Neos.

Jetzt: Extremisten werden abgeschoben. Die Massenüberwachung gehört gestoppt. Die Justiz wird aufgestockt.

Realitätscheck: Als Oppositionspartei forderte Jetzt all das vehement.

Grüne: Justiz und Polizei werden ausreichend ausgestattet. Der Strafvollzug erfährt eine Reform. Für Polizisten gilt eine Kennzeichnungspflicht. Ein Informationsfreiheitsgesetz tritt in Kraft. Das Bundesheer wird auf das absolut notwendige Maß verkleinert, die Wehrpflicht abgeschafft.

Realitätscheck: Die Grünen vertreten diese Positionen zuverlässig.

Grafik: Fatih Aydogdu

Verantwortung und Generationen

ÖVP: CO2-Zölle machen schädliche Importe teurer, ohne die heimische Wirtschaft zu belasten. Klimaschutz muss Rücksicht auf die Wettbewerbsfähigkeit nehmen.

Realitätscheck: Das ÖVP-geführte Umweltministerium erarbeitete die als unzureichend kritisierte Klimastrategie. Die Partei will eine neue Autobahn.

SPÖ: Eine CO2-Steuer für Verursacher wie die Industrie. Öffi-Pendler sollen einen Klimabonus erhalten. Ein Öffiticket für ganz Österreich kostet 1095 Euro. Pensionshöhen werden verfassungsrechtlich gesichert, das Antrittsalter soll nicht automatisch an die Lebenserwartung angepasst werden.

Realitätscheck: Zuletzt hat die SPÖ dem Wirtschaftswachstum oft Vorrang gegenüber dem Klimaschutz eingeräumt. Ihre Pensionspolitik ist konstant.

FPÖ: Öffentlicher Verkehr und E-Mobilität werden forciert. Aber: keine „Klimahysterie“. Pensionisten sollen genug Geld zum Leben haben.

Realitätscheck: In der Regierung setzte sich die Partei für Tempo 140 ein und trug die unambitionierte Klimastrategie sowie Pläne für eine neue Autobahn mit. Sie erhöhte die Mindestpension.

Neos: Eine schrittweise eingeführte und aufkommensneutrale CO2-Steuer macht Klimaschädliches teurer und -schonendes günstiger. Klimaschädliche Subventionen werden abgeschafft, Innovationen gefördert. Um künftige Generationen finanziell nicht zu belasten, soll eine Schuldenbremse eingeführt werden. Das Pensionsalter wird automatisch angepasst, der Ruhestand kann dafür flexibel angetreten werden.

Realitätscheck: Die Neos trommeln diese Themen seit Jahren und haben auch Anträge dazu eingebracht.

Jetzt: Eine CO2-Steuer soll zum Klimaschutz beitragen, Bürger erhalten eine „Klimadividende“. Das Öffi-Ticket für ganz Österreich kostet 730 Euro pro Jahr. Konventionell produziertes Fleisch wird teurer, Biofleisch billiger.

Realitätscheck: Jetzt hat im Nationalrat zahlreiche Anträge zum Thema eingebracht.

Grüne: Ein Öffiticket für ganz Österreich kostet 1095 Euro pro Jahr. Bis 2030 soll der Gesamtenergieverbrauch zu 60 Prozent aus erneuerbarer Energie gedeckt werden. Bahnstrecken in Österreich und Europa werden ausgebaut, Geld dafür kommt aus einer Kerosinsteuer. Der Flughafenausbau wird gestoppt. Budgets werden einem Klimacheck unterzogen, um keine klimaschädlichen Investitionen zu tätigen.

Realitätscheck: Die Arbeit der Grünen in Landesregierungen ist mit den Zielen meist in Einklang.

Grafik: Fatih Aydogdu

Nation und Integration

ÖVP: Integration durch Leistung: Das Angebot an Integrations- und Wertekursen wird ausgebaut, zivilgesellschaftliche Integrationsprojekte werden gefördert. Für arbeitslose Asylberechtigte gibt es regelmäßige Jobbörsen. Sie sollen auch leichter gezwungen werden können, einen Job anzunehmen. Der Grundwehrdienst ist eine Schule der Nation, wo junge Männer Verantwortung für ihr Land übernehmen. Ausländer sind weiterhin nicht wahlberechtigt.

Realitätscheck: Restriktive Integrationspolitik ist Markenkern der ÖVP, zuletzt wurde aber auch in diesem Bereich gespart.

SPÖ: Die SPÖ setzt auf das Konzept „Integration vor Zuzug“, die Werte der Aufklärung müssen gewahrt bleiben.

Realitätscheck: Während ihrer Regierungszeit hat die Partei etliche Verschärfungen im Migrationsbereich mitgetragen, sie ist in diesem Thema gespalten.

FPÖ: „Illegale Migranten sind kein Teil unserer Heimat.“ Die österreichische Leitkultur wird geschützt. Der Islam ist kein Bestandteil österreichischer Kultur. Der politische Islam darf nicht toleriert werden. Das Tragen von Kopftuch und Burka – ein Symbol der Unterdrückung von Frauen – in öffentlichen Ämtern wird verboten. Nikolausfeiern und Schweinefleisch in Kindergärten bleiben bestehen. Das Wahlrecht soll Staatsbürgern vorbehalten bleiben: Wer wählen möchte, soll sich um die Staatsbürgerschaft bemühen. Angestrebt wird ein „Europa der Vaterländer“.

Realitätscheck: Ein nationalkonservatives Bild des Staates ist in der FPÖ tief verankert, der Gedanke wurde in der Regierungszeit auch stets umgesetzt.

Neos: Die Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte wird erleichtert. Die Integrationsvereinbarung wird individualisiert und aufgewertet, Wertekurse verlängert. Das Integrationsgesetz wird vereinheitlicht und verständlich gemacht. Angestrebt werden die „Vereinigten Staaten von Europa“.

Realitätscheck: Die Neos vertreten diese Positionen seit Jahren.

Jetzt: Die Mittel für Deutschkurse werden verdoppelt. Asylanträge sollen im Herkunftsland gestellt werden können und kontrollierte Fluchtwege geschaffen werden. In Schulen, Gerichten, beim Bundesheer und bei der Polizei gilt ein Kopftuchverbot.

Realitätscheck: Die Forderung deckt sich mit Jetzt-Anträgen.

Grüne: Asylwerber in Lehre werden nicht abgeschoben, in Integrationsmaßnahmen ab der ersten Stunde wird investiert.

Realitätscheck: jahrelanges Credo der Grünen.

Grafik: Fatih Aydogdu

Leben und Arbeiten

ÖVP: Eine Pflegeversicherung wird eingeführt, pflegende Angehörige erhalten einen Bonus. Maklergebühren sollen vom Vermieter bezahlt werden. Hier ausgebildete Ärzte, die im Ausland arbeiten, sollen die Studienkosten zurückzahlen.

Realitätscheck: Alle Vorhaben wären bereits umsetzbar gewesen.

SPÖ: Patienten erhalten über die bundesweite Gesundheitshotline garantiert einen Arzttermin innerhalb einer Frist. Der Landarztjob wird attraktiver. Ein Rechtsanspruch auf leistbare Pflege wird umgesetzt. Im Job gibt es Rechtsanspruch auf Teilzeitphasen und eine Viertagewoche und eine 6. Urlaubswoche für alle. Langzeitarbeitslose erhalten eine Jobgarantie. Die Steuer auf Mieten wird gestrichen.

Realitätscheck: Als Opposition war der Einsatz für Arbeitsrechte intensiv, in der Regierung fehlte es oft an Durchsetzungskraft.

FPÖ: Österreicher werden im gemeinnützigen Wohnbau bevorzugt, das Mietrecht modernisiert.

Realitätscheck: Eine Mietrechtsreform fehlte unter Türkis-Blau.

Neos: Betriebsvereinbarungen werden gestärkt, um die Arbeitswelt flexibel zu halten. Das Mietrecht wird modernisiert.

Realitätscheck: Die Neos fordern seit jeher Liberalisierung überall.

Jetzt: Mietverträge sind nur in Ausnahmefällen befristet.

Realitätscheck: Forderung wurde auch im Parlament gelebt.

Grüne: Ein Vollzeitjob bringt 1.750 Euro brutto, die Arbeitszeit wird verkürzt. Eine Mietpreisbremse macht Wohnen leistbar.

Realitätscheck: allesamt langjährige Forderungen der Grünen.

Grafik: Fatih Aydogdu

Geld und Gerechtigkeit

ÖVP: Die Steuern sollen weiter sinken, die kalte Progression abgeschafft werden. Auch die Steuern für Unternehmen werden gesenkt. Frauen profitieren vom automatischen Pensionssplitting.

Realitätscheck: Die kalte Progression hätte die ÖVP längst abschaffen können. Steuersenkungen wurden umgesetzt.

SPÖ: Der Mindestlohn wird bei 1.700 Euro monatlich festgesetzt. Millionäre und Großerben zahlen eine Steuer. Steuerbetrug wird bekämpft. Schlechtere Bezahlung von Frauen wird verboten, Kinderbetreuungszeiten für die Pension angerechnet.

Realitätscheck: Alle Themen versucht die Partei seit Jahren so oder so ähnlich umzusetzen.

FPÖ: Arbeitnehmer und Wirtschaft werden entlastet.

Realitätscheck: Die FPÖ hat Steuersenkungen mitumgesetzt.

Neos: Die kalte Progression wird abgeschafft, automatisches Pensionssplitting eingeführt. Steuern werden gesenkt, Leistung muss sich lohnen.

Realitätscheck: Diese Themen trommeln die Neos schon lange.

Jetzt: Die Senkung der KÖSt wird zurückgenommen, Konzerne zahlen Steuern. Eine Erbschaftssteuer wird eingeführt.

Realitätscheck: Das Stimmverhalten im Parlament ist konsistent.

Grüne: In mehrheitlich weiblichen Niedriglohnjobs sollen Mindestlöhne durchgesetzt werden. Steuerdumping wird beendet, eine Schenkungs-, Erbschafts- und Finanztransaktionssteuer eingeführt.

Realitätscheck: lange gefordert.

Grafik: Fatih Aydogdu

Wissen und Gesellschaft

ÖVP: Das Gymnasium soll erhalten bleiben. In Kinderbetreuung wird stärker investiert.

Realitätscheck: Zuletzt steckte das türkise Bildungsministerium mehr Geld in Kinderbetreuung.

SPÖ: Die Schule wird modernisiert, Fächer werden abgeschafft.

Realitätscheck: In früheren Regierungen kämpfte die SPÖ intensiv für Bildungsreformen.

FPÖ: Die Deutschförderklassen werden weitergeführt.

Realitätscheck: Die FPÖ hat konservative Bildungspolitik stets mitgetragen.

Neos: Lehrer haben den „wichtigsten Job der Republik“: Teil davon ist ein Aufnahmetest für das Lehramtsstudium. Auf Elementarpädagogik und Volksschule wird ein Fokus gelegt. Die Lehrpläne werden entrümpelt, neu eingeführt wird das Schulfach „Ethik und Religionen“. Zudem wird digitale Kompetenz in der Schule vermittelt. Schulen werden autonom, Lehre wird aufgewertet. Unis werden durch eine Qualitätsoffensive gestärkt.

Realitätscheck: Bildung ist von jeher das wichtigste Thema der Partei.

Jetzt: Ganztags- und Gesamtschulen werden flächendeckend eingeführt.

Realitätscheck: Jetzt fordert das seit Bestehen der Partei.

Grüne: Die gemeinsame Schule der Sechs- bis 14-Jährigen fördert Kinder individuell, die Schulautonomie wird gefördert. Hochschulen werden sozial durchlässig.

Realitätscheck: Die Grünen blicken auf eine lange Tradition linker Bildungspolitik zurück.

Grafik: Fatih Aydogdu

Diskriminierung und Tradition

ÖVP: Österreichs jüdisch-christlich geprägte Kultur soll hochgehalten, das Kreuz im Klassenzimmer erhalten bleiben. Ehen für Minderjährige und zwischen Cousins und Cousinen werden verboten. Antisemitismus und Christenverfolgung werden bekämpft.

Realitätscheck: Die ÖVP wehrt sich von jeher gegen säkulare Tendenzen.

SPÖ: LGBTQ-Personen sollen vor Gewalt und Diskriminierung geschützt werden. Sonderschulen sollen einer inklusiven Schule Platz machen.

Realitätscheck: Inklusionsschulen hätten laut UN schon 2008 durch das rote Bildungsministerium umgesetzt werden sollen.

FPÖ: Asylberechtigte sollen für gemeinnützige Tätigkeiten nicht mehr als 1,50 Stundenlohn erhalten.

Realitätscheck: Die Partei hat mit aller Kraft für solche Maßnahmen gekämpft.

Neos: Antidiskriminierungs- und Diversitätspolitik in Betrieben werden gestärkt. Neue Familienformen werden anerkannt.

Realitätscheck: Die Neos stärkten in den vergangenen Jahren ihren gesellschaftsliberalen Kern.

Jetzt: In öffentlichen und vom Staat geförderten Schulen sollen keine religiösen Symbole zu sehen sein.

Realitätscheck: Laizismus wird von Jetzt immer hochgehalten.

Grüne: LGBTQ-Personen werden vor Diskriminierung geschützt, Jugendliche unterstützt. Geschlechtszuweisende Operationen bei intergeschlechtlichen Minderjährigen sind verboten. Ein Inklusionsfonds entsteht.

Realitätscheck: grünes Credo. (Sebastian Fellner, 26.9.2019)

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