Dies & Das: Die Angst vor der politischen Übermacht der Alten

GENERATIONENKONFLIKT

Die Angst vor der politischen Übermacht der Alten

Geld für Pensionisten, Abfuhr für den Klimaschutz: Ist Österreich auf dem Weg zu einer Gerontokratie, in der Anliegen junger Menschen auf der Strecke bleiben?Gerald John 

5. Oktober 2019

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„Gegen die Pensionisten ist keine Wahl mehr zu gewinnen. Doch es ist ein Irrtum, dass Senioren nur die Höhe ihrer Pension interessiert“, sagt Meinungsforscher Christoph Hofinger vom Sora-Institut.
Foto: Getty Images/gilaxia

Die Störenfriede hatten nur ein paar Augenblicke Zeit. „Wir messen euch an euren Taten“, rief das Grüppchen auf der Galerie des Parlaments, ehe ein Ordner einschritt. Eine höhere Dotierung des Green Climate Fund hatten die Jugendlichen gefordert, auf vier Jahre gerechnet 70 Millionen Euro mehr. Zu viel, um türkis-blaue Stimmen und damit eine Mehrheit im Nationalrat zu erreichen.

Eine Woche zuvor saß das Geld im Hohen Haus viel lockerer. Reibungslos flutschte eine Extra-Pensionserhöhung durch, die pro Jahr das 20-Fache des Klimaschützerwunsches kostet. Als Draufgabe fixierten die Mandatare eine neue Frühpensionsvariante, deren Aufwand à la longue in die Milliarden gehen dürfte.

Geld für die Alten, Abfuhr für die Jungen

Geld für die Alten, Abfuhr für die Jungen: Was der Nationalrat vor der Wahl mit wechselnden Mehrheiten beschlossen hat, lässt sich – zumindest auf den ersten Blick – auf einen simplen Nenner bringen. Tanzt die Politik nach der Pfeife der Senioren? Ist Österreich auf dem Weg zu einer Gerontokratie?

Geht es nach Zahlen, drängt sich reflexartig ein Ja auf. Laut Statistik Austria wird die Bevölkerung 60 plus bis 2080 von 2,2 auf 3,5 Millionen Menschen explodieren, die Gruppe zwischen 16 und 29 Jahren hingegen bei 1,5 Millionen stagnieren; und während unter den Jungen viele Zuwanderer ohne Wahlrecht sind, schreiten Senioren besonders verlässlich zu den Urnen. „Gegen die Pensionisten“, sagt der Meinungsforscher Christoph Hofinger, „ist keine Wahl mehr zu gewinnen.“

Feel-good-Rhetorik

Der Sieger vom vergangenen Sonntag hat das längst verstanden. Dass Sebastian Kurz die Sozialdemokraten nicht nur insgesamt, sondern neuerdings auch in der Gruppe über 60 weit abhängt, führt der Sora-Experte zum Gutteil auf eine spektakuläre Wende zurück: Hat der vorletzte ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel die Pensionisten noch verbal durch „ein Tal der Tränen“ geschickt, sei die Feel-good-Rhetorik seines Nachfolgers vom roten Original kaum zu unterscheiden, sagt Hofinger. Die SPÖ, einst Erfinderin schmeichlerischer Pensionistenbriefe vor der Wahl, habe sich darauf offenbar nicht eingestellt.

„Wir sind in der Defensive“, sagt Wolfgang Ivan und erntet ringsum Kopfnicken. Die ständig geschürte Angst – vor Zuwanderern, vor dem sozialen Abstieg – habe die Senioren Kurz zugetrieben. Und dann dürfe man eines nicht unterschätzen, heißt es am Tisch: „Er ist halt sowas von fesch.“

Keine Altersmilde

Ivan und seine Kollegen gehören zur heftig umworbenen Zielgruppe. 70 Jahre und älter ist die Runde, die sich wie jeden Donnerstag im Büro des roten Pensionistenverbandes in Floridsdorf zum Plausch getroffen hat – aber keinesfalls altersmilde. Das mit der Ungleichbehandlung der Generationen stimme für die SPÖ insofern, „als die Alten in der Bewegung das Sagen haben“, urteilt der 86-jährige Hans Sutara. Ivan pflichtet bei: „Die Jungen sind oft nur so lange willkommen, wie sie brav sind.“

Werden die betagten Wähler also tatsächlich verhätschelt? Da setzt energischer Widerspruch ein. Die jährlich gewährte Pensionserhöhung decke de facto doch häufig nicht einmal die Inflation ab, weil alte Menschen überproportional unter steigenden Wohnkosten und Lebensmittelpreisen litten. „Oft wird auch vergessen, wie viel die Omamas den Enkerln zustecken“, sagt der Floridsdorfer Verbandschef Robert Freitag: „Ich kenne Leute, die zwacken noch etwas von ihrer Mindestpension ab.“

Zweifel an der Schieflage

Ein Blick in die Daten lässt ebenfalls Zweifel an der behaupteten Schieflage aufkommen. Die Familienleistungen pro Kind sind laut Wirtschaftsforschungsinstitut seit 2000 deutlich stärker gestiegen als die Pensionen, dasselbe gilt für die Bildungsausgaben pro Kindergartenkind, Schüler und Student. Bei den Zahlen gibt es viele Wenn und Aber. So sind etwa die Pflegeleistungen nicht im Vergleich enthalten; doch dass immer nur auf die Alten geschaut wird, bildet sich da keinesfalls ab. Übrigens: Ein Jahr vor den vielkritisierten Pensionsbeschlüssen hat der üppig ausgestattete Familienbonus den Nationalrat passiert.

Fakt ist aber auch, dass die Arbeitswelt heute härter ist als zur Zeit der nunmehrigen Ruheständler. Zuwanderung und Digitalisierung drücken die Löhne, McJobs breiten sich aus. Die Einkommen der 20- bis 29-Jährigen sind seit 2010 schwächer gestiegen als die Altersbezüge – und weil sich Erwerbspausen wegen bereits eingeleiteter Reformen künftig stärker niederschlagen, werden viele Junge von heute in der Pension Abstriche hinnehmen müssen.

Ideologie schlägt Altersfrage

Also doch ein Grund, um von Alt zu Jung umzuverteilen? Kommt darauf an, wen man fragt. Pressure-Groups junger Wirtschaftstreibender fordern tatsächlich, dass die hohen Sozialausgaben für die Alten eingedämmt gehörten, um stattdessen etwa in die Bildung zu investieren. Nachwuchsgewerkschafter hingegen wollen das Geld woanders holen: von den Vermögenden. Auch die Antwort auf die Gretchenfrage unterscheidet sich weniger nach Alt und Jung als nach der ideologischen Vorliebe. Oft wird argumentiert, dass der Verzicht auf eine (neuerliche) Pensionsreform Verrat an der Jugend sei – doch das ist nur unter der umstrittenen Annahme schlüssig, dass das System auf Dauer nicht finanzierbar sei. Außerdem kommt es darauf an, welche Reform. Einschnitte nach dem Vorbild der Schüssel-Regierung würden erst wieder die Pensionisten von morgen treffen.

Jugend beschwört keinen Generationenclash

Im Forderungskatalog der mit Sozialpartnerstatus ausgestatteten Bundesjugendvertretung sucht man den Ruf nach einer Pensionsreform denn auch vergeblich. Ihm sei es „zu billig“, einen Generationenclash zu beschwören, sagt der aus der Katholischen Jugend stammende Vorsitzende Jakob Ulbrich. Ja, die Kinder- und Jugendlobby wäre gern gefragt worden, bevor der Nationalrat zig Millionen für Pensionisten ausschüttet, einen Affront gegen seinesgleichen sieht er dennoch nicht: „Nur weil ich jung bin, will ich noch lange nicht, dass alte Menschen an der Armutsgrenze leben.“

Glaubt man Christoph Hofinger, beruht die Empathie durchaus auf Gegenseitigkeit. Zwar gibt es Entscheidungen, bei denen die Front hart zwischen den Generationen verläuft; so haben sich bei der Volksbefragung von 2013 viele Junge von den Alten zur Fortsetzung der Wehrpflicht vergattert gefühlt. Häufig aber zeige sich übergreifende Solidarität. „Es ist ein Irrtum, dass Senioren nur die Höhe ihrer Pension interessiert“, sagt der Demoskop. Bei der EU-Wahl im Mai etwa sei der Klimaschutz das meistdiskutierte Thema der Bürger über 60 gewesen – für Hofinger überdies der beste Beweis, dass die Jungen auch als demografische Minderheit mit Anliegen durchkommen könnten.

Wer daran zweifelt, kann sich im Café Siebenstern im siebenten Wiener Bezirk überzeugen lassen. Auf einem der breiten Holztische hat Anna Lindorfer ihr Notebook aufgeklappt, für das Architekturstudium bleibt wieder einmal null Zeit. Eigentlich würde sie lieber die Diplomarbeit schreiben, Demonstrieren mache ihr an sich gar keinen Spaß, sagt die 25-Jährige. Doch was ist ein Uniabschluss schon wert, wenn die Erde in die Katastrophe schlittert?

Kein gegeneinander Ausspielen

Lindorfer ist eine der Stimmen von Fridays for Future, jener weltweiten Bewegung, die sich für rasche Klimaschutzmaßnahmen starkmacht. Die umtriebige Studentin versorgt Medien mit Infos, organisiert Aktionen wie die Klimastreiks jeden Freitagmittag und war auch beim Protest im Parlament dabei. Geärgert hat sich Lindorfer über das Nein zu den geforderten Millionen, nicht aber über das Geld für die Pensionisten. Es sei unsinnig, soziale Fragen gegen den Klimaschutz auszuspielen, sagt sie: „Die alten Leute sind ja die Ersten, die in heißen Sommern sterben.“

Natürlich sei es schwieriger, die älteren Menschen zu gewinnen, erzählen Lindorfer und ihre Mitstreiterin Maris Filipic, eine 16-jährige Schülerin. Insofern sei das schon auch eine Generationenfrage: Wer jahrzehntelang ein System mit aufgebaut habe, tue sich schwerer, es aufzugeben. Aber dass der Einsatz nicht hoffnungslos ist, weiß Filipic aus eigener Erfahrung. Sie wolle ihre Stimme für die junge Generation geben, habe sich ihre Oma vor der Wahl festgelegt und sie gefragt: „Wen soll ich wählen?“ (Gerald John, 5.10.2019)

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