Dies & Das: „Wir kämpfen mit unseren Ur-Algorithmen“

LESART | Beitrag vom 30.09.2019

Emma Braslavsky: „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“

Emma Braslavsky im Gespräch mit Andrea Gerk

Gefährtin aus dem Katalog: Emma Braslavsky erzählt von künstlichen Menschen. (unsplash / Markus Spiske)

Das ist die Liebe der Maschinen: In Emma Braslavskys Zukunftsvision von Berlin stellen Robotik-Unternehmen künstliche Partnerinnen und Partner her. Als sich die Selbstmorde von Kunden häufen, nimmt eine Roboter-Frau die Ermittlungen auf.

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Andrea Gerk: In maßgeschneiderten Beziehungen mit Partnern nach Wunsch – so leben die Menschen im Berlin der nahen Zukunft, dem Schauplatz von Emma Braslavskys neuem Roman „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“. Die idealen Lebensgefährten sind freilich nicht ganz echt, es sind Roboter, die von echten Menschen aber kaum noch zu unterscheiden sind und die scheinbar alle Liebesträume wahr werden lassen. Weil trotzdem auffallend viele Menschen Selbstmord begehen, kommt Roberta auf den Markt, sie soll die Angehörigen der Verstorbenen ausfindig machen, um dem Sozialamt die Bestattungskosten zu ersparen. Das klingt erst mal schräg, liest sich aber ganz toll, und ich freue mich jetzt, dass Emma Braslavsky hier ist. Hallo, herzlich willkommen!

Emma Braslavsky: Hallo!

Gerk: Sie haben in einem Artikel erzählt, dass Sie so einem humanoiden Roboter schon mal begegnet sind. Wie war das? Hat diese Begegnung Sie zu dem Roman inspiriert?

Braslavsky: Nein, das war nur eine zusätzliche Recherche und eine Möglichkeit, nochmal tiefer in das Thema einzudringen. Ich hatte zuerst für das ARD-Projekt „Nahe Zukunft“ recherchiert, dazu erscheint jetzt auch eine Erzählung in einer Anthologie. Das hat mich dazu gebracht, mich näher mit Robotik-Unternehmen zu befassen und auch philosophisch mit dem Thema auseinanderzusetzen. Und dann merkte ich, dass diese Welt immer größer wird in meinem Kopf: Wie sieht eigentlich die Stadt aus? Was passiert da? Weil – das ist eine Liebesgeschichte, die ich in dieser Erzählung entwerfe …

Was macht eine Maschine menschlich?

Gerk: Und ein Krimi auch, muss man auch dazusagen.

Braslavsky: Ja, tatsächlich hat diese Erzählung auch eine Krimifunktion, sie ist auch viel härter als das Buch. Und als ich beschlossen habe, diesen Roman zu schreiben, bin ich eben einigen Bots begegnet: einmal Sophia, sie ist ein Projekt von Hanson Robotics, so ein chinesisches Unternehmen, und dann aber auch Myon, und ich hab interaktiv auch die Erika erlebt, ein japanisches Projekt.

Myon zum Beispiel sieht ja gar nicht aus wie ein Mensch, er hat zwar einen Körper, aber die Entwickler wollen, dass man sieht, dass man mit einem Roboter interagiert – das ist ein eigenes Experiment. Aber Sophia soll dem Menschen schon sehr nah kommen, ist aber nicht mehr als ein Gesicht. Ich muss sagen, dass Sophia mich auch dazu inspiriert hat, dass ich eine „Roberta“ haben werde, weil damit natürlich interessante Fragen aufkommen. Ich fand es witzig, dass so eine Figur, die etwas darstellen muss, ja keine Identität hat: Sie hat ja kein Geschlecht, sie hat keine Mutter, keine Schwester, nichts – also muss sie sich fragen, okay, ich soll jetzt eine Frau darstellen mittleren Alters …

Unerfüllte Träume erfüllen uns am meisten: Emma Braslavsky auf einer Aufnahme von 2011. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)

Gerk: Ja, das beschreiben Sie ganz toll, wie die dann zum Beispiel in so einen Second-Hand-Laden geht und sich hochhackige Schuhe kauft, für die sie gar nicht programmiert ist. Dann kann sie da drin nicht gehen, und das funktioniert alles gar nicht mit diesen Identifizierungsversuchen.

Braslavsky: Das Problem, das sie ja hat – und das muss man natürlich mitlesen –, ist: Wenn man durch solche Augen schaut wie Robertas Augen, nimmt man eigentlich alles sehr stereotyp wahr. Man hat nur Daten, man kann nur analysieren, man hat ja keine soziokulturellen Erfahrungen, dadurch nimmt man vor allem Stereotype wahr, und sie landet dann ja auch in sehr stereotypen Situationen. Keine Frau, selbst wenn sie noch so durchgeknallt wäre, würde so etwas tun. Sie bringt uns in eine komische Situation, was aber auch wieder ein bisschen tragisch ist für mich, zu erkennen, wie schwierig es eigentlich für sie ist, die Frau auch wirklich zu sein. Also, optisch alleine geht es nicht, da gehört ja viel mehr dazu: Programme, die sie nicht hat. Und das fand ich durch diese Begegnung mit Sophia sehr inspirierend.

Zu perfekt zum Verlieben 

Gerk: Das ist ja eh so toll an Ihrem Roman, finde ich, dass der all diese Fragen aufwirft, also: Was macht eigentlich eine Frau aus, oder was macht überhaupt ein Wesen aus, in das wir uns zum Beispiel verlieben können? Denn diese Menschen in Ihrem Roman, die können sagen: Hier, ich will die und die Features da drin haben, aber glücklich werden sie auch nicht. Das ist ja auch oft das Schöne am Verlieben, dass man sich in Leute verliebt, die eigentlich überhaupt nicht zu einem passen. Und die passt jetzt zu gut, oder was ist da los?

Braslavsky: Ja, ich glaube, das liegt daran, dass sie ja nur kompensieren. Sie sind Wunscherfüllungsmaschinen, Illusionsmaschinen vor allem. Auf der einen Seite ist es natürlich schön, wenn man sich seine Träume erfüllen kann, das ist immer toll, aber wir wissen, dass eigentlich die Träume, die wir uns nicht erfüllen, die sind, die uns am meisten erfüllen – weil sie uns immer wieder etwas geben, was wir versuchen zu erreichen. Und dadurch haben wir einen Sinn im Leben.

Das Problem ist diese Sinnlosigkeit, die dann entsteht, wenn man jetzt ein Wesen hat, das sich so verhält, wie man sich das wünscht, das alles ganz genauso macht, aber keine problematischen Zonen mehr hat, einen überhaupt nicht mehr herausfordert, auch vielleicht sich selbst weiterzuentwickeln oder die Beziehung. Denn wenn eine Beziehung zu Ende geht, ist es manchmal ja so, dass einem gerade das fehlt, was einen manchmal am meisten genervt hat, weil man immer wieder mit sich selbst kämpfen muss da.

Selbstversuche auf der Dating-Plattform

Bei meinen Recherchen für die Erzählung habe ich mich eingeloggt in drei große Dating-Portale, habe mir selbst dort ein Profil angelegt und bin diese ganzen Tests durchgegangen, um zu verstehen: Wie testen die einen überhaupt? Jede Plattform hat unterschiedliche Algorithmen.

Da gab es in einem Portal auch so ein Magazin für die User, die kriegen das umsonst. Und es war sehr spannend, wie Therapeuten dort erzählen, woran Beziehungen heute am meisten kaputt gehen: Das sind sehr oft Frauen, also Frauen sind sehr resolut im Beenden von Beziehungen, viel häufiger als Männer, und landen aber dann sehr stark in dieser Schleife der Einsamkeit und versuchen immer, durch neue Beziehungen doch den idealeren Partner zu finden.

Also, ich glaube, Frauen sind im Moment am meisten mit ihren Idealismen beschäftigt und scheitern an ihnen. Das ist ein bisschen, glaube ich, so ein evolutionäres Projekt: sich noch mal auf einer neuen Stufe zu definieren, was sie aber auch sehr einsam macht. Auf der anderen Seite haben sie dann halt solche Wünsche wie „Alpha-Softies“, was natürlich ein völliger Widerspruch ist.

Alle wollen so ein bisschen „Alpha“, sie wollen eigentlich einen Mann auf Augenhöhe, aber brauchen doch irgendwie noch ein bisschen was Härteres. Das ist so ein bisschen, glaube ich, ein Kampf, den wir mit unseren, ich sag mal, „Ur-Algorithmen“ haben und versuchen, uns davon zu lösen und vielleicht dann auch eine andere Beziehung zu haben.

Paradoxie der Einsamkeit

Gerk: Und die Menschen in Ihrem Roman, die können ja auch keine wirkliche Nähe zu diesen neuen Wesen entwickeln. Ist das auch ein Roman über Einsamkeit?

Braslavsky: Ja, natürlich. Es ist ein Roman über Einsamkeit, aber auch über die Paradoxie der Einsamkeit, die ja eigentlich auch ein bisschen eine Voraussetzung ist dafür, dass wir überhaupt – wenn man einsam, allein sein kann, kann man auch mit einem Partner sein.

Gerk: Das haben Sie in einem Artikel so schön beschrieben. Da haben Sie davon erzählt, wie Sie sich mal um so eine Art Haustier, um so eine App gekümmert haben und die dann schon fast am Ende war, und Sie wollten eigentlich nur noch, dass das aufhört, aber dann haben Sie doch offenbar so eine Art Mitleid damit bekommen. Haben Sie verstanden, woher dieses Mitfühlen mit etwas, was ja gar nicht lebendig ist, eigentlich kommt?

Braslavsky: Vielleicht weil wir das Konzept „lebendig“ noch nicht verstanden haben. Es ist ja so, Algorithmen, das ist ja nichts Neues, das ist ja ein Ur-Kommando, das sind Ur-Mechanismen, die arbeiten schon ewig mit uns, nur dass sie jetzt Körper haben. Sie haben Körper schon seit der griechischen Antike, seit dem Mittelalter, wo so die Mechanik aufkam, das Uhrwerk, das sich immer weiter entwickelt hat, im 18. Jahrhundert war der Höhepunkt, wo sie alle so automatensüchtig waren, da hatten die wirklich auch schon richtige Panik vor diesen Automaten, die sie da geschaffen haben.

Unheimliche Nähe zur Maschine

Die waren ja extrem primitiv, und da sind natürlich solche Dämonen wie Frankensteins Monster oder eben E.T.A. Hoffmanns Buch, das ist ganz toll: „Der Sandmann“ und so weiter, das sind natürlich dann Gegenbewegungen, weil man sich fürchtet dann, weil man eben denkt, das sind übermächtige Wesen, die uns irgendwie zerstören könnten, was ja eigentlich völliger Käse ist. Aber wenn man sich Roberta anschaut, in welchen Behördenschleifen sie ist – jeder Mensch hätte schon längst aufgegeben, und sie zieht das durch bis zuletzt.

Gerk: Ich meine, es spielt ja in der nahen Zukunft, aber zwischendurch vergisst man das, wenn man Ihr Buch liest. Ging Ihnen das auch so, dass Sie das Gefühl hatten, eigentlich schreibe ich hier so einen Gesellschaftsroman über unsere Zeit?

Braslavsky: Ja, es ist eigentlich auch eine wahre Geschichte, über die ich schreibe. Ich selbst habe so einen Fall erlebt. Ich hatte da einen sehr tragischen Todesfall, der mich auch fast mit in den Tod gerissen hätte, und dieser Mensch, dem ich vorher nie begegnet bin, der da auf der Erde lag, der ist in so eine Situation geraten. Und ich hab auch noch nie so das Gefühl gehabt, dass ich einer Maschine so nahe bin, also ich selbst, dass ich ihr so leicht nahekommen kann. Das war für mich eine Erkenntnis beim Schreiben, die ich vorher überhaupt nicht geplant hatte, aber es war mir auch klar, dass ich hier eigentlich einen Gegenwartsroman schreibe, oder es ist auch ein so ein bisschen Familien-, Anti-Familien-Roman, weil das natürlich aus der Konstellation der Geschichte heraus kommt.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Emma Braslavsky: „Die Nacht war bleich, die Lichter blinkten“
Suhrkamp, Berlin 2019
270 Seiten

bei heyn.at

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