Dies & Das: Doppelkopf – Die Kulturwissenschaftlerin und Ethnologin Irene Götz spricht darüber, wie Frauen mit Armut im Alter umgehen

hr2 –Doppelkopf – Gespräche mit Menschen, die etwas zu sagen haben

Frauenarmut im Alter

Am Tisch mit Irene Götz, „Frauenarmutsforscherin“

Gastgeber: Jochen Rack

Bild © Robert Haas

Irene Götz ist Kulturwissenschaftlerin und Ethnologin. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität lehrt sie als Professorin am Institut für Volkskunde. In ihrem Buch „Kein Ruhestand“ beschäftigt sie sich mit der Frage, wie Frauen mit Armut im Alter umgehen.

Wie kommen sie mit wenig Geld zurecht? Wie können sie noch am sozialen und kulturellen Leben teilhaben? Und was kann man politisch tun, um die Situation armer Frauen im Ruhestand zu verbessern?

Irene Götz möchte nicht, dass Altersarmut nur als individuelles Schicksal begriffen wird, sondern als gesellschaftliche Problematik, die sich durch eine sozial verantwortliche Politik verbessern lässt. Altersarmut von Frauen ist auch Ausdruck wachsender sozialer Ungleichheit und ein Skandal in einer Gesellschaft, die zu den reichsten der Welt gehört.

Annotation…

Frauen sind im Alter oft von Armut bedroht, besonders in Städten mit hohen Mieten. Wie kommen sie mit wenig Geld zurecht? Welche Strategien entwickeln sie, um dennoch am sozialen und kulturellen Leben teilzuhaben? Davon erzählen Frauen aus unterschiedlichen sozialen Milieus, und die Analyse dieser Berichte macht deutlich, wie dringend notwendig eine politische und gesellschaftliche Veränderung unserer eingespielten Sozialsysteme ist. Die 85-jährige Hausmeisterin Maiana D. lebt von 222 Euro Rente, zuzüglich Grundsicherung. 600 Euro Rente hat die ehemalige Lagerarbeiterin Jovana F., die sie mit Zeitungsverkauf aufbessert. Auch Walburga K., Verlagsangestellte, muss zu ihrer Rente von 1170 Euro noch dazu verdienen. Fünzig Frauen zwischen 63 und 85 Jahren aus unterschiedlichen sozialen Milieus wurden für das DFG-Forschungsprojekt unter der Leitung von Prof. Irene Götz interviewt. Aus dieser exemplarischen Bestandsaufnahme wird deutlich, welche Ursachen zur Altersarmut besonders von Frauen führen und wie Frauen damit umgehen, lebenspraktisch und emotional. Auch wenn Frauen ihren Ruhestand wohl verdient haben, reichen die bescheidenen Renten kaum zum Nötigsten. Zum Glück haben sie, als Kriegs- und Nachkriegskinder, noch gelernt, zu sparen und mit dem Mangel zu wirtschaften. Armut im Alter muss auch nicht den Verlust von Lebensqualität bedeuten: Frauen sind erfinderisch, sozial kompetent und oft auch gut vernetzt und, Autonomie steht für sie bis zum Schluss ganz oben. Ein Buch, das die politischen, gesellschaftlichen und persönlichen Verhältnisse in den Blick nimmt, das erzählt und analysiert und in einem Anhang notwendige Informationen bietet, wo Frauen Unterstützung kriegen, die sie so dringend benötigen.

Textauszug…

1. Vom wohlverdienten zum prekären Ruhestand

Ich schaue halt und suche. Aber du kriegst nichts mehr, keine Chance. Weil die Jüngere wollen. Ja, klar. Mit 68, da sagen sie ‚die ist zu langsam, die kann das nicht, bis die einlernt‘ […]. Also in der Telefonakquise da kriegst immer was, weil da sieht dich ja keiner, musst halt stundenlang telefonieren. Aber das geht natürlich schon an die Substanz. Da gehe ich raus, da bin ich fertig.

Die hier interviewte ehemalige Versicherungsangestellte Monika Tegt 1 (68) muss nach 40 Jahren Berufstätigkeit abends in einem Callcenter wie im Akkord telefonieren, weil ihre Rente von – im Jahr 2015 – rund 900 Euro nicht zum Leben ausreicht. Die 85-jährige ehemalige Hausmeisterin Maiana Dovan hat kein Geld, um ihre aufgetragenen Winterschuhe reparieren zu lassen – und ihren kleinen Balkon, früher ihre ganze Freude, begrünt sie schon lange nicht mehr, das ist zu teuer. Traudel Heller, frühere Bürokraft, Anfang 70, geriet trotz einer Pension von 1460 Euro nach Scheidung und Aufbau eines eigenen Haushalts in die Schuldenfalle – ihre neu bezogene Wohnung allein frisst schon 700 Euro Miete. Alle ihre Rücklagen sind aufgebraucht, “ jetzt muss ich knausern und sparen „. Diese Beispiele verweisen auf die Lebensbedingungen vieler Menschen im Rentenalter, insbesondere von alleinstehenden Frauen in teuren Städten, um die es in diesem Buch geht.

Wir wissen noch wenig darüber, wie Ältere ganz konkret in ihrem Alltag mit niedrigen Renten zurechtkommen, weil Altersarmut oft sogar im engeren Familienkreis im Verborgenen bleibt. Diese Interview-Studie will mit ihren mikroskopischen Einblicken in die Lebensführung von Frauen der heutigen Rentnerinnengeneration zu differenzierten Sichtweisen anregen, die sowohl deren Leistungen der Selbstsorge wertschätzend herausstellen als auch ihre Sorgen ernst nehmen. In diesem Sinne – im Sinne der Interessen und Bedürfnisse der Frauen – soll die Politik im Großen wie auf kommunaler Ebene durch überfällige Einblicke in bestehende Bedürftigkeiten handlungsfähiger gemacht werden. Vor allem aber will dieses Buch dazu beitragen, dass Rentnerinnen ihre Situation nicht als individuelles, womöglich noch selbstverschuldetes Schicksal begreifen, sondern als Teil einer gesamtgesellschaftlichen Problematik. Und es will dazu ermutigen, die eigene prekäre Situation zu verbessern, zum Beispiel, indem bei einschlägigen Beratungsstellen Unterstützung geholt wird (siehe die Informationen im letzten Teil des Buches). Vielleicht überzeugen die Befunde auch die Jüngeren, soweit möglich, früh für ihr Alter Lebensformen und Lösungen anzudenken, was jedoch nicht heißen soll, dass nicht gerade die Politik angehalten ist, für die nächsten Generationen präventive und vor allem nachhaltigere Alterssicherungen zu entwickeln.

Im ersten Teil des Buches wird auf der Basis der geführten Interviews das vielschichtige gesellschaftliche Problem der Altersarmut skizziert. Welche gesellschaftlichen und biografischen Faktoren führten (und führen oft weiterhin) dazu, dass heute im Alter vor allem Frauen von Armut bedroht sind? Welche Strategien und Praktiken haben sie entwickelt, wenn sie noch dazu allein in einem Haushalt wirtschaften müssen? Was unternehmen sie derzeit noch an Zusatzarbeit (z.B. Minijobs, Selbstständigkeit bis ins hohe Alter, Hilfsdienste für andere)? Inwieweit stellen diese Tätigkeiten eher eine Bereicherung oder vor allem eine ökonomische Notwendigkeit dar? Welche Strategien des Sparens und Umgangs mit knappen Mitteln entwickeln die Frauen darüber hinaus, um sich ihren Verbleib in der vertrauten Wohnung so lange wie möglich leisten zu können? Welche Sorgen – insbesondere vor der Zukunft – müssen sie bewältigen, und auf welche Unterstützung (Familie, Nachbarn, Kollegen, Ämter) können sie dabei zurückgreifen (oder eben auch nicht)? Welche sozialen und kulturellen Ressourcen haben diese Frauen?

BUCHHINWEIS:

Irene Götz: „Kein Ruhestand. Wie Frauen mit Altersarmut umgehen.“ Verlag Antje Kunstmann 2019 – bei heyn.at