Dies & Das: Grünes Wachstum – Märchen oder Lösung?

Kommentare der anderen

Karl Aiginger 

9. Oktober 2019

Postings

Grünes Wachstum – Märchen oder Lösung?

Ursula von der Leyens Green Deal für Europa kann nur gelingen, wenn vier Fehler der Politik korrigiert werden

Europa soll Vorreiter im Klimaschutz werden. Im Gastkommentar erläutert Wirtschaftsforscher Karl Aiginger, was es dazu braucht.

Foto: Getty Images

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellt ihre Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik unter das Motto eines „European Green Deal“. Mit diesem Schlagwort will sie den Begriff nutzen, mit dem Franklin D. Roosevelt nach der Weltwirtschaftskrise das stagnierende und deprimierte Amerika wieder optimistisch gemacht hat und erste Umweltprojekte förderte. Das Programm konnte die Arbeitslosigkeit reduzieren und den Superreichen einen Beitrag dazu abringen. Der Erfolg gab Roosevelt recht, auch wenn darüber diskutiert wurde, wieweit Aufrüstung und lockere Geldpolitik dazu beigetragen haben oder ob der Aufschwung vor dem „New Deal“ schon im Gange war und nur nicht wahrgenommen wurde.

Ebenso heftig wird über den europäischen Green Deal gestritten. Bruno Kern beschreibt dies als „das Märchen vom grünen Wachstum“. Von links wird grünes Wachstum als Verschleierung der Klassengegensätze gesehen. Die rechte Seite beklagt, dass damit das Migrationsproblem, Außengrenzschutz und Aufrüstung Europas als bisher wichtigste Themen überdeckt werden. Die Wirtschaft fürchtet die Kosten einer grünen Politik. Autofahrer ahnen, dass sie nicht mehr schnell und laut werden fahren dürfen. Grüne Fundis behaupten, dass es noch nie Wachstum ohne steigende Emissionen gegeben hätte.

Dänisches Vorbild

Was sind die Fakten? Erstens wünschen sich nicht nur schlechtbezahlte Hilfskräfte im Handel oder Fabrikarbeiter steigende Einkommen, sondern auch Ärzte und Manager. Zweitens geht aber ohne moderates Wirtschaftswachstum heute nichts: Arbeitslosigkeit, Ungleichheit und Müllberge wachsen gerade ohne Wachstum – wie Griechenland und Süditalien deutlich zeigen. Drittens wird die Wachstumsrate der Wirtschaftsleistung langfristig in reichen Ländern sinken. Eine Verdoppelung der Einkommen bis zu Jahrhundertmitte oder -ende ist wohl nicht sinnvoll.

Unter der Voraussetzung heutiger Präferenzen, Verhalten, Preise und Steuern benötigt Wachstum noch mehr Ressourcen und mehr fossile Energie. Dass das nicht sein muss, zeigt Dänemark. Dort wuchs die Wirtschaft in den vergangenen dreißig Jahren, der absolute Energie- und Ressourcenverbrauch sank hingegen deutlich. Auch wenn über Importe ein Teil der Emissionen in andere Länder verlagert wird, dänische Reeder erhebliche Emissionen verursachen und sich so die Klimaziele des Paris-Abkommens nicht erreichen lassen – Dänemark ist auf dem richtigen Weg.

Vier Fehler

Grünes Wachstum beginnt damit, vier dumme Politikfehler zu korrigieren.

· Wir subventionieren Kohle und Öl, statt fossile Energie zu verteuern. Allein das Ende dieser falschen Subventionen würde Milliarden zur Senkung der Steuern auf Arbeit und als Starthilfe für neue Technologien bringen.

· Außerdem subventionieren wir landwirtschaftliche Großbetriebe, das ist die größte Ausgabe auf europäischer Ebene. Mit ihnen zerstören wir gesündere kleinräumige Alternativen – auch in Afrika.

· Der dritte Fehler ist, Fortschritt mit Steigerung der Arbeitsproduktivität gleichzusetzen. Produktivität schafft Freiräume und Freizeit. Die Erhöhung der Produktivität des Faktors Arbeit aber erzeugt auch Wachstumszwang. Besser wäre es, die Energie- und Rohstoffproduktivität zu erhöhen. Der Staat besteuert Arbeit hoch und fördert ihre Einsparung, während Emissionen von Flugzeugen und Schiffen steuerfrei bleiben.

· Der vierte kapitale Fehler des „großen Bruders“ Staat ist, dass dieser fast die Hälfte der Einkommen verschlingt, was wieder den Wunsch nach steigenden Einkommen und den Widerstand gegen Verteuerung von Mobilität erhöht. Die Folgen davon zeigen Frankreich und Italien, wo die Industriequote unter zehn Prozent sinkt und die Arbeitslosigkeit hoch ist, weil die Wirtschaft nicht „wettbewerbsfähig“ ist.

Investitionen in Dekarbonisierung und Bildung

Grünes Wachstum heißt mehr Investitionen in grüne Technologien, aber auch in Bildung und Biolandwirtschaft, zirkuläre Wirtschaft, Nahversorgung und Teleworking. Zirkuläre Wirtschaft erspart Abfälle, Teleworking das Pendeln, Telekonferenzen Dienstreisen. Dafür brauchen wir nicht mehr Geld, sondern andere staatliche Ausgaben und eine andere Einstellung, die man schon in der Schule lernt. Der Ansatz von Bildungsministerin Iris Rauskala, die Teilnahme an Freitagsdemos weder zu verbieten noch vorweg zu erlauben, sondern die Diskussion von Klimathemen in den Schulen zur Voraussetzung zu machen, ist exakt der richtige.

Zweitens brauchen wir eine Vision, wie Europa sich in der neuen globalen Landschaft mit einer unberechenbaren US-Regierung und der Großmacht China platzieren will. Keine geschlossenen Grenzen, sondern eine Globalisierung, in der die sozialen und ökologischen Normen schrittweise erhöht und nie abgebaut werden, ist der richtige Weg.

Ehrliche Aussagen

Drittens braucht grünes Wachstum ein neues Steuersystem, das nicht im Detail von Europa diktiert wird, aber das Richtlinien und Mindestsätze für Umweltsünden schafft und auch verlangt, dass jede Preiserhöhung den Beziehern niedriger Einkommen doppelt zurückgegeben wird („Ökobonus Plus“). Viertens brauchen wir ehrliche Aussagen: Es wird 2030 keine neuen Benzin- und Dieselautos, keine Ölheizungen und kein Wegwerfen von Nahrungsmitteln geben können. Das muss man heute bewusstmachen. Sonst gehen die Käufer in gelben Westen auf die Straße.

Von der Leyen hat nicht nur die Strategie vorgegeben, sondern auch einen Termin und eine Zeitangabe. Vizepräsident Frans Timmermans soll in 100 Tagen ein Konzept erstellen. Schön wäre, wenn Österreich dann eine Regierung hätte, mit der es vorangeht und die österreichischen Technologien anbietet. Budgetkommissar Johannes Hahn wird hoffentlich die heutigen Fehlsteuerungen korrigieren, die grünes Wachstum schwer und die Einhaltung der Paris-Ziele unmöglich machen. Damit Europa die Globalisierung mitgestaltet und die Führungsrolle bei der Bekämpfung des Klimawandels übernehmen kann. (Karl Aiginger, 9.10.2019)

Dazu…

Karl Aiginger leitet die Querdenkerplattform und lehrt an der WU Wien.

Grünes Wachstum ist eine Illusion von George Monbiot | The Guardian in…

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian