AKADEMISCHE MEINUNGSFREIHEIT
Warum eine Professorin per Post von der Post eingeschüchtert wurde
Wirtschaftsinformatikerin Sarah Spiekermann kritisierte die Datensammelpraxis und wurde mit Klage bedroht. Was steckte hinter dem Vorgehen?
Klaus Taschwer, 31. August 2019
PostingsDie Freiheit der Wissenschaft und ihre Gefährdung waren zentrale Themen beim diesjährigen Hochschulforum in Alpbach. Wie schnell sich die hier im Staatsgrundgesetz verankerten Bestimmung ändern kann, zeigte sich in den letzten Jahren in Ungarn: In der dortigen Verfassung wurde das Grundprinzip der akademischen Freiheit einfach durch das des Nationalstolzes ersetzt. Und weil auf europäischer Ebene die Freiheit der Wissenschaft nicht gesetzlich verankert ist, konnte die EU auch nichts dagegen tun.
Die WU-Professorin Sarah Spiekermann hat kürzlich ihre eigenen Erfahrungen mit Einschränkungen der Meinungsfreiheit gemacht. Die Vorständin des Instituts für Wirtschaftsinformatik und digitale Gesellschaft und Expertin für digitale Ethik erhielt, wie sie diese Woche im STANDARD selbst berichtete, im Jänner ein anwaltliches Schreiben mit der Aufforderung, eine Unterlassungserklärung zu unterschreiben.
Der Grund für das Drohschreiben
In dieser hatte sich Spiekermann zu verpflichten, keine Äußerungen mehr über bestimmte Geschäftspraktiken der Post zu tätigen. Anlass des Drohschreibens waren kritische Äußerungen Spiekermanns im Ö1-Morgenjournal. (Das Transkript der Sendung liegt dem STANDARD vor.) Konkret ging es, wie die Nachfrage bei der Post ergab, um Spiekermanns Kritikprunkt, dass es sich bei der Datensammelpraxis „um eine unrechtmäßige Beobachtung im Geheimen“ gehandelt habe.
Das sei ehrenbeleidigend und kreditschädigend, weil die Äußerung beim adressierten Publikum eine nachteilige Meinung über die Post erwecke, was einen Reputationsschaden bedeute. Der Vorwurf, die Post habe Kunden ausspioniert, komme einer Verurteilung gleich. „Wir spionieren nicht“, sagte ein Post-Sprecher zum STANDARD. Unrichtige Tatsachenbehauptungen seien durch das Recht der freien Meinungsäußerung nicht gedeckt.
Foto: WU Wien
Die Rechtsabteilung der Wirtschaftsuniversität war auf einen solchen Fall allem Anschein nicht eingestellt – und Spiekermann hat die vom Post-Anwalt geforderte Erklärung unterschrieben.
Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit?
Der Fall wirft einige Fragen auf. Hat es sich bei dem Brief an die Wissenschafterin um klassische Einschüchterung gehandelt? Kommen solche Methoden gegenüber Universitätsangehörigen öfter vor, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt? Und ist dadurch womöglich die Freiheit der Wissenschaft gefährdet oder gar eingeschränkt?
Nikolaus Forgó, Professor für Technologierecht an der Uni Wien, bestätigt, dass solche Fälle gar nicht selten seien. Er wisse von etlichen Kollegen, die entweder Unterlassungserklärungen unterschreiben mussten oder gleich direkt geklagt wurden. Im konkreten Fall spiele Einschüchterung und sogenannte Litigation-PR sicher eine Rolle, so Forgó, der aber auch betont, den Fall nicht in allen Details zu kennen.
Fehlende Expertise in Medienrecht
Er sehe dadurch aber nicht schon die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr, sondern weist vielmehr darauf hin, dass es an den Unis eher unüblich ist, dass Mitarbeiter eine Schulung in Medienrecht erhalten, um nicht dagegen zu verstoßen und von Firmen dafür geklagt zu werden. Zum anderen fehle es an vielen Unis an medienrechtlicher Expertise und Begleitung Betroffener im Anlassfall. Auch Spiekermann wiederum wünscht sich in ihrem Blog-Beitrag eine entsprechenden Rechtsschutzversicherung.
Im Gegensatz zu Unis erhalten Medien (auch DER STANDARD) solche und ähnliche Aufforderungen täglich. Und womöglich erklärt das auch, warum die Post auf Widerruf oder Gegendarstellung des für das Interview zuständigen staatlichen Rundfunks ORF verzichtete. Und nicht deshalb, weil man es sich mit dem ORF nicht verscherzen wollte, wie bei der Post versichert wird.
„Ausnehmend schlechter Stil“
Oliver Vitouch, Rektor der Universität Klagenfurt und Präsident der Universitätenkonferenz (Uniko), verweist darauf, dass eine detaillierte inhaltliche und rechtliche Prüfung noch ausstehe. Er spart freilich dennoch nicht mit Kritik an der Post: „Was sich jetzt schon sagen lässt, ist, dass der Versuch der Österreichischen Post AG, eine Professorin der WU Wien durch Klagsdrohungen und anwaltliche Abmahnbriefe einzuschüchtern, ausnehmend schlechter Stil ist und ein so noch nicht da gewesenes Beispiel eines versuchten ‚Maulkorbs‘ für Wissenschafter. Ich lade die Österreichische Post AG herzlich ein, mir auf dieses Statement hin einen Abmahnbrief übermitteln zu lassen.“
Foto: APA/Hans Punz
Inkriminierte Daten wurden gelöscht
In der Sache selbst behauptet die Post auf Nachfrage, die inkriminierte Datensammlung, aufgrund derer Aussagen über die politische Gesinnung und die Affinität zu politischen Parteien von Bürgern und Haushalten erfolgten und die weiterverkauft wurde, nicht mehr zu besitzen. Die Daten seien inzwischen gelöscht worden.
Das Verfahren bei der Datenschutzbehörde hingegen ist noch anhängig. Der Bescheid der Behörde liege schriftlich noch nicht vor, und man behalte sich Rechtsmittel dagegen vor. (Klaus Taschwer und Luise Ungerboeck, 31.8.2019)
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