Dies & Das: Wie und warum Politiker reden, ohne etwas zu sagen

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BLA BLABLA BLUBB

ANALYSE Selina Thaler 

19. Jänner 2020

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Wie und warum Politiker reden, ohne etwas zu sagen

Zwei Experten analysieren exemplarisch „ZiB“-Auftritte von Karoline Edtstadler und Rudolf Anschober – und zeigen, welche rhetorischen Tricks sie anwenden

An ihren Taten solle man die türkis-blaue Regierung doch bitte messen, wiederholte Kanzler Sebastian Kurz immer wieder. Seit knapp zwei Wochen ist nun die neue, türkis-grüne Regierung im Amt. Und die lässt sich bislang fast nur an ihren Worten messen. Seit der Angelobung absolvieren die Ministerinnen und Minister einen wahren Interviewmarathon: morgens Radio, mittags Zeitung, abends TV.

Karoline Edtstadler von der ÖVP ist Ministerin für Europa. Gorf 426

Doch erstaunlich wenig bleibt hängen. Viel reden, kaum etwas sagen: Kaum eine Berufsgruppe hat das so perfektioniert wie Politiker. Diese Sprechblasen und Worthülsen haben ihren Grund. Man weicht unangenehmen Fragen aus, lenkt das Gespräch in eine andere Richtung, um die eigene Message(-Control) zu platzieren oder Fraktionszwänge zu erfüllen. Und in einer Zeit, in der jeder Versprecher, jeder Lapsus in Medien oder auf Social Media zum Skandälchen oder Shitstorm hochgespielt wird, scheint es sicherer, sich ans einstudierte Manuskript zu halten. Spontanes wird in der politischen Rhetorik von vielen vermieden.

„Das pro-europäisch angehen“

(…) und es geht jetzt darum, wirklich die Leitlinien für die nächsten Jahre auf einen guten Weg zu bringen, und da spreche ich vor allem davon, dass wir die großen Dinge gemeinsam lösen müssen, das pro-europäisch angehen.“

Ist Ihnen alles klar? Wohl eher nicht. So antwortete Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) letzten Montag in der ZiB2 auf konkrete Fragen von Anchor Armin Wolf.

In Foren und auf Twitter verbreitete sich nach dem zehnminütigen Auftritt ob der rhetorischen Ausweichmanöver der Hashtag #AnswerLikeEdtstadler. Die fast mantraartigen Wiederholungen wurden mit einem Roboter verglichen. „Solche Antworten befriedigen den Zuseher nicht“, sagt der Rhetorikcoach Roman Braun von der Trinergy-Akademie, die auf Neurolinguistische Programmierung (NLP) spezialisiert ist.

Etwas besser lief es zwei Tage später für Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne), der ZiB 2-Moderator Martin Thür Rede und Antwort stand. Sachlich, ruhig und viel Info, so der Tenor der (tendenziell Grün-freundlicheren) Twitteria. Das sei man von Politikern gar nicht mehr gewohnt, schrieb etwa der Datenschützer Max Schrems.

Einen Anteil an dieser Wahrnehmung haben aber auch hier rhetorische Tricks – denn wirklich gesagt hat auch Anschober wenig. DER STANDARD hat zwei Rhetorikcoaches gebeten, die TV-Auftritte zu analysieren und die Methoden zu erklären – Karoline Edtstadler und Rudolf Anschober stehen hier nur exemplarisch für die Sprachmuster der Politiker.

Lena Doppel-Prix schult als Kommunikations- und Medientrainerin Politiker und politische Organisationen. Sie ortet bei Edtstadler und Anschober zwei völlig gegensätzliche Herangehensweisen. Edtstadler sei rhetorisch sogar besser als Anschober, aber im „ewigen Wahlkampf“. Sie würde werben, statt Inhalte zu bringen. Anschober rühre nicht so sehr die Werbetrommel, sondern bleibe sachlich. Auch für NLP-Trainer Roman Braun schneidet Edtstadler schlechter ab. Vor allem, weil ihre wichtige erste Antwort keinen besonderen Eindruck hinterließ:

Armin Wolf: Frau Bundesministerin, was sind denn die wichtigsten zwei Punkte, in denen sich die türkis-grüne Europapolitik von der türkis-blauen unterscheiden wird?

Karoline EdtstadlerIch darf zunächst sagen, dass ich tatsächlich für Europa brenne. Das hat begonnen während der EU-Ratspräsidentschaft, wo ich Österreich vertreten durfte. (…) Und es geht jetzt darum, wirklich die Leitlinien für die nächsten Jahre auf einen guten Weg zu bringen, und da spreche ich vor allem davon, dass wir die großen Dinge gemeinsam lösen müssen, das pro-europäisch angehen und uns auch Verbündete suchen innerhalb Europas.

Wolf: Ich unterbreche Sie ungern in Ihrer ersten Antwort, aber das hat garnichts mit meiner Frage zu tun. Wie wird sich die türkis-grüne Europapolitik von der türkis-blauen unterscheiden?

Edtstadler: Ich kann von mir sprechen, und da gibt es einen pro-europäischen Kurs, den ich auch weiterverfolgen werde. Der Zugang ist der, dass wir die großen Dinge gemeinsam lösen, die Frage der Migration etwa. (…)

Wolf: Den Unterschied kenne ich immer noch nicht. (…)

In den Augen von Lena Doppel-Prix agiert Karoline Edtstadler hier mit „einer Art Karatetechnik und knallt dem Journalisten gleich etwas vor die Füße“. Sie ignoriert die Frage völlig und bringt stattdessen ihre eigenen Kernbotschaften: „pro-europäischer Kurs“, „eine gemeinsame Lösung“, „den Stopp der illegalen Migration“, – „als würde sie ein inneres Skript ablesen“. Das sei kein Dialogkonzept, das auf den Interviewer eingeht: „Das Ignorieren der Fragen zeigt ein gewisses Machtspiel, weil es egal scheint, was er oder sie fragt.“

Der Grüne Rudolf Anschober ist Sozial- und Gesundheitsminister. Gorf 426

„Altmodische Vorbereitung“

Roman Braun sieht hier „keine eskalatorischen Tricks“. Für ihn handelt es sich bei Edtstadlers Antworten weniger um Kalkül, sondern um das Resultat einer „altmodischen, starren Art und Weise“, mit der die Ministerin rhetorisch vorbereitet wurde. „Sie hatte zwar gut ausgearbeitete Themenmodule, die dramaturgisch gestaltet waren. Etwa dass sie für Europa brennt“, sagt er. Gleichzeitig seien die aber hier unpassend, weil „sie zu offensichtlich vom Inhalt der Frage wegführen“. Außerdem könne es divenhaft wirken, ungefragt über sich selbst zu sprechen. Dieses Ausweichmanöver schaffe auch keine Überlegenheit, sondern sei ein selbst für den Zuschauer durchschaubares, rhetorisch defensives Verhalten. Ich-Botschaften sind für den Coach daher die letzte Karte, die man spielen sollte.

Aus Brauns Sicht sei Edtstadler auf Nummer sicher gecoacht worden. Derlei kann aber auch zum Käfig werden. Wer sich zu sehr an seine vorbereiteten Statements klammert, könne bei detaillierteren oder vom Themenspektrum abgehenden Fragen keine spontane Antwort mehr geben. Und wiederholt deshalb Sätze nahezu ident. Gerade bei Live-Interviews fühlten sich die Zuseher, vertreten durch den Interviewer, nicht gesehen, wenn keine einzige Frage beantwortet werde, sagt Lena Doppel-Prix.

Sprechen über das gerade Gesprochene

Abfangen könnte man dies mit Metakommunikation. Das ist Sprechen über das gerade Gesprochene. Klingt kompliziert, ist aber einfach. Armin Wolf macht das etwa, wenn er klar adressiert, Edstadler habe seine Frage nicht beantwortet. Laut Braun zeigten Studien, dass derjenige das Gespräch dominiert, der mehr Metakommunikation betreibe. „Ein bisschen Rangeln darf schon sein, von wegen: ‚Das will ich nicht beantworten‘ oder ‚Was ist das für eine Frage?‘“, sagt Doppel-Prix. Diese Stehsätze moderieren in gewisser Weise das Gespräch, dazu verlängern sie den Anteil der Redezeit, ohne wie sinnlose Worthülsen zu wirken. So entstehe auch kein kreisender Eindruck im Gespräch, sagt die Medientrainerin.

Rudolf Anschober sei wesentlich flexibler gecoacht. Auch er kommuniziert auf der Metaebene, wenn er auf die Frage, ob er hoffe, dass die Indexierung der Familienbeihilfe kippe, antwortet, er „möchte dem nicht vorgreifen“. Ihm gelingt es gut, da sind sich die beiden Experten einig, Brücken zu schlagen. „Bridging“ oder auch „ABCD“-Technik nennt man diesen Kniff. Dabei geht man nur sehr kurz auf die Frage ein, leitet dann aber geschickt (etwa mit: „(…) worüber wir wirklich reden sollten“) zum Thema hin, über das man eigentlich reden will.

Dennoch betreibe Anschober kein „Bridging“ im klassischen Sinn. Doppel-Prix analysiert: „Er beantwortet die Frage grundsätzlich und sagt dann, was er als Minister bei dem Punkt vorhat.“ So auf kritische Fragen zu antworten soll vermitteln, dass man gut vorbereitet ist. „Man nimmt ihm die Expertenrolle ab“, sagt Doppel-Prix.

Martin Thür: Braucht es bei der Mindestsicherung eine neue bundeseinheitliche Regelung, oder kann man mit den neun Länderregelungen, die es so halb gibt, weiterregieren?

Rudolf Anschober: Also der erste Punkt ist, ich bin absolut froh darüber, dass der Verfassungsgerichtshof diesem türkis-blauen Modell die Giftzähne gezogen hat. Mein Ziel ist es ja, dass wir in Österreich Ernst machen mit der Bekämpfung der Kinderarmut.

Zusätzlich wird der Eindruck verstärkt, wenn man Zahlen in die Antwort einfließen lasse, empfiehlt NLP-Coach Braun: „Anschober macht das nicht plump, sondern verbindet die Antwort mit seinen Botschaften und zeigt mit neuen Fakten Kompetenz.“ Edtstadler hingegen konnte bei einer Frage nach Zahlen nicht eindeutig antworten.

Anschober: Kanzler Kurz’ Grundidee (…) ist, die Sozialversicherungsträger hier stärker einzubinden. Das ist ein Finanzierungsmodell, eine Überlegung. Das, was aber das Wichtigste ist in dieser Situation, ist erst einmal, dass es endlich (…) Klarheit darüber gibt, dass das das zentrale Schwerpunktthema der nächsten Jahre sein wird müssen. Uns fehlen bis 2030 rund 75.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege. (…)

Edtstadler, so das Fazit von Lena Doppel-Prix, wirke durch ihre Rhetorik „werblich und populistisch“, Anschobers Technik im Vergleich „kooperativ, aber manchmal bisschen fad“. Roman Braun ortet die sprachlichen Unterschiede im sozialen Background der Politiker. Edtstadler sei als Juristin gewohnt, fertige, logische und exakte Argumente zu bringen. „So scheint sie sich auch auf Dialoge vorzubereiten.“

Bei Anschober hingegen merke man, „dass er es gewohnt ist, mit Menschen zusammenzusitzen und einen Konsens zu finden“. Die Dialogkultur sei eine grüne Grundfeste – und damit quasi auch eine interne Schulung. (Selina Thaler, 19.1.2020)

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