Die Akrobatik grüner Verrenkungen
Man möchte meinen, die FPÖ ist noch in der Regierung. Es geht um Sicherungshaft, um grenznahe Anhaltelager für Asylwerber, um Verschärfungen für arbeitslose Flüchtlinge. Das sind die Themen, die die ÖVP derzeit mit Vehemenz an die Öffentlichkeit bringt. Als ob sie vergessen machen möchte, dass nicht mehr die FPÖ, sondern mittlerweile die Grünen ihr Koalitionspartner sind.
Und was tun die Grünen? Sie drehen und winden sich, sie reden drum herum und sich heraus. Sie sagen nicht Ja und sagen nicht Nein. Wird man schon sehen. Wird evaluiert. Sie schwurbeln. Am deutlichsten ist das bei Sigrid Maurer mitzuverfolgen, die früher die Regierung bei einer solchen Themenlage durch Sonne und Mond geschossen hätte, jetzt aber, in ihrer neuen Rolle als Klubobfrau, die Vorhaben der Regierung halbwegs toll finden muss, auch wenn man ihr die Schmerzen dabei anmerkt.
Auch als Podcast: Michael Völker erklärt den aktuellen rechten Kurs der neuen Regierung.
Fehlendes Gespür
Die ÖVP ist derzeit drauf und dran, ihren jüngsten Koalitionspartner zu überfordern. Die Themensetzung ist nicht jene, in der sich die Grünen zu Hause fühlen, die sie gerne vertreten und argumentieren. Das betrifft die Regierungsmannschaft und die Abgeordneten, noch mehr aber die grünen Wählerinnen und Wähler, die Sympathisanten, die angesichts der gesetzten Themenlage nicht nur irritiert, sondern zunehmend auch verärgert sind. Dafür sind sie nicht gelaufen, dafür haben sie die Grünen nicht gewählt.
Der ÖVP fehlt offenbar das Gespür, wie man den kleinen Koalitionspartner pfleglich behandelt. Es geht nicht darum, die Grünen ein bisschen zu streicheln, es geht darum, sie überleben zu lassen. Es kann nicht das Ziel der ÖVP sein, die Grünen zu schwächen. Sebastian Kurz braucht einen stabilen und starken Koalitionspartner und nicht einen, der mit internen Querelen beschäftigt ist, weil er sich ständig nach innen und außen rechtfertigen muss.
Nicht beschlussreif
Von einer Umsetzung der Maßnahmen ist die Regierung ja meilenweit entfernt, das gilt für Sicherungshaft, Zumutbarkeitsbestimmungen und Anhaltelager. Nichts davon ist ansatzweise beschlussreif. Das wissen auch die Grünen, darum halten sie noch ruhig. Der ÖVP geht es offenbar darum, jene Wählerschicht, die von der FPÖ zu Kurz gewechselt ist und diesem den 37-Prozent-Erfolg beschert hat, bei Laune zu halten. Kurz will signalisieren, dass sich niemand vor einer grünen Regierungsbeteiligung zu fürchten braucht, weil er alles im Griff hat und bestimmt, wohin die Reise geht.
Erstaunlich ist, dass die grüne Führungsriege bei diesem Spiel so loyal bleibt. Dass die Grünen die Gängelung der Opposition und die Einschränkung des U-Ausschusses mittragen und sich zu türkisen Erfüllungsgehilfen machen, ist erstaunlich. Die Akrobatik der Verrenkung ist beachtlich.
Lange kann das nicht gutgehen. Die Grünen brauchen Themen, in denen sie sich wiederfinden, die sie als Erfolg verkaufen können, mit denen sie eine grüne Handschrift in der Koalition glaubhaft und sichtbar machen können. Und zwar bald, sonst wird der Deckel am brodelnden Kochtopf kaum zu halten sein. Kurz muss den Grünen auch Erfolge gönnen und nicht nur die Unterwerfung zelebrieren. Die anstehende Steuerreform sollte ein paar Möglichkeiten bieten, auch grüne Anliegen umzusetzen. Es müssen ja keine Leuchttürme sein. Ein paar Pflöcke, die Werner Kogler einschlagen kann, sollten fürs Erste reichen. So großzügig muss Kurz sein. Anders kann diese Koalition nicht funktionieren. (Michael Völker, 22.1.2020)
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