Dies & Das: Streiflichter vom 23.1.2020 – Die Stunde der Zivilgesellschaft

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KOLUMNE  Barbara Coudenhove-Kalergi 

23. Jänner 2020

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Streiflichter vom 23.1.2020 – Die Stunde der Zivilgesellschaft

Müssen wir wirklich hilflos zuschauen, wie qualifizierte, gut integrierte Flüchtlinge, die die Wirtschaft gut brauchen kann, abgeschoben werden

Sebastian Kurz macht Politik rechts der Mitte. Foto: Heribert Corn

Er wolle „eine ordentliche Mitte-rechts-Politik“ machen, sagte Sebastian Kurz zu Zeiten von Türkis-Blau. Gemeint war: Türkis ist Mitte, Blau ist rechts. Die gleiche Politik wird auf weite Strecken auch heute gemacht, nur mit dem Unterschied: Grün ist Mitte, Türkis ist rechts. Die Grünen müssen nun, nolens volens, in Sachen Migration die Regierungspolitik mittragen.

Für die Zivilgesellschaft bedeutet das eine gesteigerte Verantwortung. Wenn es nicht schon bisher gegolten hat, so gilt es heute mehr denn je: Für eine lebendige Demokratie genügt es nicht, alle vier Jahre wählen zu gehen und alles Weitere den Vertretern der politischen Parteien zu überlassen.

Christentum ist politisch

Für Integration ist derzeit eine Ministerin zuständig, die zuvor im Innenministerium tätig war und ihre Qualifikation für dieses Amt mit ihrem Eintreten für das „Burkaverbot“ und gegen den „politischen Islam“ definiert hat. Eine Burka – das hellblaue afghanische Gewand mit dem Gitter vor dem Gesicht – ist in Österreich, soweit bekannt, noch nie gesichtet worden. Und „politischer Islam“ ist ein umstrittener Begriff, den viele Experten ablehnen. Er bezeichnet eine reaktionäre, antidemokratische und frauenfeindliche Ideologie. Unterschwellig zielt er auf die Weltreligion des Islam als solcher. Aber auch Gruppen wie die Muslimische Jugend oder die Initiative muslimischer Österreicher, die für Rechtsstaatlichkeit und Geschlechtergleichberechtigung eintreten, sind politischer Islam. Und auch das Christentum ist politisch. Der Papst ist politisch. Das Evangelium ist politisch. Die zehn Gebote sind politisch.

Politik im weitesten Sinn ist die Art, wie die Gesellschaft gestaltet wird und wie die Menschen in einem Lande zusammenleben. Die Zivilgesellschaft soll und muss hier auch mitreden. Die Richter. Die Journalisten. Die Beamten. Die Universitäten. Die NGOs mit ihren zehntausenden Freiwilligen. Die Lehrer. Die Gewerkschaften. Die Wirtschaft. Und alle Bürger und Bürgerinnen, denen daran liegt, dass das Land nicht noch weiter entlang der Spaltlinie „Einheimische“ und „Zuwanderer“ auseinanderdriftet.

Kopftuchdemütigung

Müssen wir wirklich hilflos zuschauen, wie qualifizierte, gutintegrierte Flüchtlinge, die die Wirtschaft gut brauchen kann, abgeschoben werden? Wie Mädchen, die aus freien Stücken und aus Stolz auf ihre Identität ein Kopftuch tragen, zum, wie sie sagen, „Sichausziehen“ gezwungen werden? Wenn es nach Ministerin Raab geht, womöglich auch Lehrerinnen? „Kopftuchdemütigung“ nannte das der katholische Theologe Paul M. Zulehner. Kreuz in der Schule ja, Kopftuch nein? Asylzentren, die praktisch Gefängnisse sind?

Aber, sagen viele, die Zivilgesellschaft ist doch machtlos. Die Politiker können tun, was sie wollen. Wir dürfen wählen, das muss reichen. Aber Achtung! Ganz so stimmt das nicht. Wir haben immer noch eine unabhängige Justiz. Der Verfassungsgerichtshof hat die Mindestsicherung gekippt. Ob die Sicherungshaft verfassungskonform ist, wird sich noch zeigen. Und bei der Bundespräsidentenwahl hat sich deutlich herausgestellt, dass die politischen Parteien nicht allmächtig sind. Dass Alexander Van der Bellen gewählt wurde, war keine Parteientscheidung, auch nicht die der Grünen, sondern eine der Zivilgesellschaft. Wenn’s drauf ankommt, ist auf sie Verlass. Auch jetzt noch. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 23.1.2020)

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