Dies & Das: Ministerium stoppt Flüchtlingsrollenspiel an Schulen – Teil I

Ministerium stoppt Flüchtlingsrollenspiel an Schulen

Faßmann: „Hier scheint eine Grenze überschritten worden zu sein“ – Bildungsdirektion beklagt mangelnde Vorinformation der Eltern, Spiel sei für Unterstufen nicht geeignet – Verein kann Aufregung nicht nachvollziehen

Das Flüchtlingsspiel wurde gestoppt, Ministerium und Bildungsdirektion kündigten eine Prüfung an. Foto: Elmar Gubisch

Wien – Ein Flüchtlings-Rollenspiel des Theatervereins Ansicht für Schüler einer AHS in Wien-Währing am Dienstag hat ein Nachspiel. Nach Berichten von „Krone“ und oe24.at hat das Bildungsressort das Projekt „mit sofortiger Wirkung“ gestoppt, Ministerium und Bildungsdirektion haben eine Untersuchung angekündigt. Beim Theaterverein versteht man die Kritik nicht: „Die Kinder waren hellauf begeistert.“

Das Projekt sei für Unterstufenschüler nicht geeignet. Außerdem seien die Eltern nicht im Voraus über das Rollenspiel informiert worden, kritisiert man in der Bildungsdirektion am Donnerstag. „Hier scheint eine Grenze überschritten worden zu sein“, wird Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) in einer Aussendung zitiert. „Schülerinnen und Schüler zu verängstigen ist kein pädagogisches Konzept.“ Gemeinsam mit der Bildungsdirektion sollen die „Vorfälle“ nun untersucht werden. Kanzleramtsministerin Susanne Raab (ÖVP) nennt es „unverantwortlich und unverständlich, dass solche ‚Spiele‘ in Österreichs Schulen abgehalten und damit Ängste bei Kindern ausgelöst werden.“ Es sei richtig, dass Faßmann hier durchgreife.

Theaterverein versteht Kritik nicht

Flo Staffelmayr vom Theaterverein Ansicht kann die Kritik an dem Projekt nicht nachvollziehen, die Rückmeldungen von Schülern und Lehrern seien durchgehend positiv gewesen. Die in Medienberichten geäußerte Kritik, wonach Schüler das Planspiel als Psychoterror erlebt hätten, hält er für Einzelmeinungen. „Mich ärgert, dass hier parteipolitisches Kleingeld gemacht wird und dass eine Direktorin, die sich traut, etwas Besonderes zu machen, eins auf den Deckel bekommt.“

Schüler: „Niemand schikaniert“

Einer der Schüler der AHS, die in die Vorbereitungen involviert waren, sagte dem STANDARD, er habe in seiner Schule große Zustimmung zum Projekt wahrgenommen. Auch die Schülervertreter der AHS verteidigten das Projekt und hielten fest, dass das Wohlergehen der Schüler an dem Tag an oberster Stelle gestanden sei.

Da man das Erleben der Situation von Flüchtlingen nachempfinden wollte, seien nur eine Gruppe Schüler und die Lehrer eingeweiht gewesen, was bei dem Aktionstag geschieht, schilderte der Währinger Schüler, dessen Name dem STANDARD bekannt ist. An jenem Tag hätten die anderen Schüler rund zweieinhalb Stunden lang verschiedene Stationen durchlaufen, danach sei aufgelöst worden, was die Hintergründe der Aktion waren.

Gestaltet wurde das erstmals durchgeführte „Projekt Migration erleben“ von einem Team aus rund zwei Dutzend eingeweihten Schülern sowie von Lehrern der Schule, der Verein hat laut Staffelmayr nur die Moderation übernommen.

Mit Pass ins Fantasieland geschickt

An dem Aktionstag, an dem die gesamte Schule exklusive erster Klassen beteiligt gewesen sei, sollten die Schüler erleben, was Migration bedeutet, erläuterte Staffelmayr. Beim Eingang erhielten die Schüler dafür neben einem vorübergehenden Pass für das frei erfundene Land samt Fantasiesprache eine „Spielanleitung“.

Um bleiben zu dürfen, mussten die Neuankömmlinge mehrere Stationen (unter anderem eine Hymne des Landes, einen Tanz, ein Quiz) erfolgreich absolvieren. „Das Gebäude stellt das Land dar, in welches man einreisen möchte, es gibt Grenzkontrollen, Warteschlangen, Befragungen durch Grenzbeamte, Willkür und absurde Tests“, heißt es auf der Homepage des Vereins, dessen Projekt vom Zukunftsfonds und Kulturkontakt Austria gefördert wurde. Schülern mit Fluchterfahrung habe man freigestellt, ob sie an diesem Tag in die Schule kommen. Bis auf einen hätten allerdings alle teilgenommen, so Staffelmayr.

„Schikaniert wurde niemand“

„Es ging darum, sich für zwei Stunden als Flüchtling zu fühlen, der in ein Land einreist und sich nicht auskennt, der von Behörde zu Behörde geschickt wird, seine Stempel sammeln muss und zwischendurch in Warteräumen ist, wo er sich nicht auskennt“, erzählt jener Schüler, dessen Namen dem STANDARD bekannt ist. Diese Situation hätten die Schüler erleben sollen und sich dazu ihre eigene Meinung bilden. Politische Parteien oder Institutionen seien in dem ganzen Prozess weder kritisch noch lobend erwähnt worden. Und: „Schikaniert wurde niemand“, sagte der Jugendliche.

„Kein politisches Programm“

Der Verein hat laut Staffelmayr auf Anregung von Pädagogen auch ein Gegenprojekt zum als „Propaganda“ kritisierten, vom Innenministerium beauftragten Schultheaterstück „Welt in Bewegung“ über das unterschiedliche Schicksal zweier Flüchtlinge starten wollen, schildert Staffelmayr. Gleichzeitig betont er: „Wir machen hier definitiv kein politisches Programm. Wir werfen mit unserer Arbeit Fragen auf und fördern kritisches Denken.“ Er sei deshalb auch dankbar über die nunmehrige Aufregung in Medienberichten. „Da können die Schüler eine Parallele ziehen zwischen der Realität und dem, was in der Zeitung steht.“

Der Zukunftsfonds hat das Projekt gefördert, in einer dem STANDARD vorliegenden Stellungnahme erklärte er, warum: „Die Themen ‚Flucht/Migration/Menschenrechte/Toleranz‘ sind in den letzten Jahren in den Fokus gerückt. Daher werden zunehmend diesbezügliche Projekte an den Zukunftsfonds herangetragen, was auch dem gesetzlichen Auftrag entspricht. Darüber hinaus ist dem Zukunftsfonds die Förderung von pädagogischen Projekten ein großes Anliegen“, teilte Generalsekretärin Anita Dumfart darin mit. Da das Projekt eben erst durchgeführt wurde, liege noch kein Abschlussbericht vor. „Grundsätzlich nimmt der Zukunftsfonds – auch bei möglicherweise kontroversiellen Themen – keinerlei Einfluss auf die inhaltliche Durchführung eines Projekts“, hieß es weiter, die Verantwortung liege einzig bei den Einreichenden.

Noch immer kein Kriterienkatalog des Bundes für Vereine in Schulen

Der aktuelle Fall ist nicht die erste Aufregung um Vereine an Schulen. So wurde der christliche Aufklärungsverein Teenstar vorerst von Schulen verbannt. Bildungsminister Faßmann hatte den Schulen empfohlen, nicht mehr mit Teenstar zusammenzuarbeiten. Der Verein arbeitet aktuell daran, nach einem Akkreditierungsverfahren wieder zugelassen zu werden. Auch beim Verein Original Play gab das Ministerium einen Erlass heraus, wonach Schulen die Abhaltung von Kursen des Vereins ausnahmslos zu unterlassen hätten. Dieser bot Kurse an, im Zuge welcher fremde, kaum geschulte Erwachsene mit Kindern in Kindergärten und Schulen spielerisch rangelten.

Das Bildungsministerium kündigte an, einen einheitlichen Kriterienkatalog für Vereine zu entwickeln, die mit ihrem Angebot an Schulen und Kindergärten tätig sein wollen. Dieser Kriterienkatalog sollte bereits im Vorjahr präsentiert werden. Noch bleibt es bei der Ankündigung. (krud, spri, APA, 23.1.2020)

Um 15.45 Uhr wurde der Artikel um die Schilderungen eines in die Organisation des Rollenspiels involvierten Schülers und um die Stellungnahme des Zukunftsfonds als Fördergeber ergänzt.

Zu Teil II

Theater „Ansicht“

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