Dies & Das: Türkis-Grün – eine Fehlkonstruktion…Streiflichter

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KOMMENTAR DER ANDEREN  Christoph Landerer 12. Februar 2020

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Türkis-Grün – eine Fehlkonstruktion

Die Regierung ist erst kurz im Amt, doch weist wenig darauf hin, dass Sebastian Kurz mit einem neuen Koalitionspartner regiert

Die ungleiche Partnerschaft böte nicht nur die Chance zur Versachlichung des politischen Diskurses, sondern auch zur Sachpolitik. Doch im Gastkommentar gibt sich der Kulturwissenschafter Christoph Landerer dennoch weniger optimistisch als die Strategieberaterin und ehemalige Schüssel-Sprecherin Heidi Glück kürzlich an dieser Stelle.

Nur einen Monat nach ihrer Angelobung scheint die neue Regierung auf sonderbare Weise fehlkonstruiert. Wenig ließ im Auftreten der Kanzlerpartei darauf schließen, dass Sebastian Kurz mit einem neuen Partner regiert; die Themen Migration und Asyl wurden stark bespielt, die Grünen schienen abgemeldet. Koalitionen sind für die daran beteiligten Partner immer riskant; Partner mit großen Gegensätzen haben das zusätzliche Problem, dass ihre Wähler Teile der Programmatik des jeweiligen Partners mit einer Vehemenz ablehnen, die die übliche Suche nach Kompromissmöglichkeiten zu einem fast aussichtslosen Unterfangen werden lässt. Das Kabinett Kurz II hatte also ein Problem zu lösen, das sich analog bisher nicht stellte.

Diese „Komplementärkoalition“ (Jürgen Trittin) wurde als innovativ gefeiert, aber ihr Ansatz ist durchaus traditionell: Verwirklicht wird eine Art türkis-grüner Ausgleich, der das sachpolitische Imperium verteilt und die Regierung zu einer thematischen Doppelmonarchie macht, in der jeder Partner maximale Gestaltungsmöglichkeiten bei der Umsetzung seines politischen Glaubensbekenntnisses hat. Die ÖVP markiert Geländegewinne in blauem Territorium, die Grünen bedienen ihre Stammwähler mit markantem Fokus auf Umweltthemen. Cuius regio, eius religio.

Noch nicht ganz rund läuft die neue türkis-grüne Regierung – zumindest aus der Perspektive des kleinen Koalitionspartners. Foto: EPA/Christian Bruna

Ungenütztes Potenzial

Da die überlappenden politischen Interessen überschaubar sind und ein eigentliches gemeinsames Projekt fehlt, erübrigt sich die unter Türkis-Blau übel beleumundete Message-Control. Rasend progressiv wirkt aber auch der grüne Umgang mit diesem Problem nicht; das Team um Werner Kogler verhält sich angesichts des unverhohlenen türkisen Werbens um blaue Wähler wie der steirische Chronist aus Grillparzers „König Ottokars Glück und Ende“: Man denkt sich seinen Teil und lässt die andern reden. Optimisten können diesen Zugang wie Heidi Glück (siehe Gastkommentar) als „neues Toleranzpaket“ begrüßen; ein Programm für eine fünfjährige Regierungspartnerschaft ist er nicht.

Schwerer wiegt aber ein politisches Defizit, das in die Konstruktion der Koalition eingebaut wurde: Sie nutzt das Potenzial nicht, das sich aus einer systematischen Suche nach Synergien und Ergänzungsmöglichkeiten ergeben könnte, und verzichtet damit auf das, was vor allem im Bereich Migration und Asyl ihre eigentliche Leistung sein könnte: eine lagerübergreifende Gestaltung dieses Bereichs im gesellschaftlichen Konsens. Wer die Themen verfolgt hat, mit denen die ÖVP bisher in den Medien war – Sicherungshaft, Kopftuchverbot, Nein zum Migrationspakt und Resettlement –, konnte nur wenig von jener blassgrünen Handschrift ausmachen, die grüne Verhandler im Regierungsprogramm erkennen wollen. Keines dieser Themen ist ursprüngliche schwarze Programmatik; die ÖVP übernahm hier FPÖ-Positionen. Neue Konflikte sind um Seenotrettung und den Dauerbrenner Asylwerber in Lehre ausgebrochen. Zwar gibt es einige grüne Akzente auch in den Kapiteln Migration und Asyl, aber die ÖVP besetzt alle dafür maßgeblichen Ressorts und regelt viele Details in ihrem eigenen politischen Verfügungsbereich. Die Grünen haben hier nichts zu melden.

Eigene Akzente

Das ist, politische Präferenzen außen vor, schon deshalb bedauerlich, weil gerade die ungleiche Partnerschaft die einmalige Chance zu einer umfassenden Versachlichung des politischen Diskurses bieten könnte. Da man keine gemeinsame Sprache spricht und sich daher auf einer phraseologisch-ideologischen Ebene nicht verständigen kann, wären die Regierungspartner dann, wenn sie Materien gemeinsam entwickeln wollen, zur Sachpolitik verdammt. Die Regierung müsste diesen permanenten Konflikt ertragen, ihn produktiv umdeuten und die jeweils eigenen Wähler und Narrative in hohem Maß fordern. So ließe sich auch die Kontroverse um den Zugang von Asylwerbern zur Lehre differenziert lösen, indem wenig aussichtsreiche Fälle beschleunigt und im Gegenzug nur Asylwerber mit hoher Asylchance integriert werden. Doch das ist nicht geplant, auch hier regiert nach wie vor Türkis-Blau. Von der vielbeschworenen konstruktiven Debattenkultur ist weit und breit nichts zu erkennen – man konstatiert einen Dissens, die politische Karawane zieht weiter.

Wer Kurz’ Wahlkampagne 2017 verfolgt hat, konnte das Programm als Versuch deuten, die österreichische (und europäische) Migrationspolitik mit der Migrationspolitik der restlichen westlichen Welt zu synchronisieren. Kurz sprach zwar einem strengen Grenzregime das Wort, versprach aber auch mehr „Hilfe vor Ort“ und warb offensiv für Resettlement. Den sozusagen positiven Teil dieses Programms hat die türkis-blaue Koalition nicht eingelöst, und dieser Kurs wird beibehalten. Die von der Übergangsregierung angemeldeten 229 Resettlementplätze für 2020 wurden vom Außenministerium bereits im Jänner wieder abgesagt.

Liebgewonnene Narrative

Ein Anschluss an dieses umfassendere ursprüngliche Programm der ÖVP würde beiden Regierungspartnern die Möglichkeit zu eigenen Akzenten geben. Die Grünen müssten sich bei einem restriktiveren Zugang zu dem Problem der illegalen/irregulären Migration bewegen, die ÖVP bei humanitären Hilfsprogrammen. Beide Parteien müssten die Linie gemeinsam entwickeln und erklären, doch die Regierungspartner scheuen diese Anstrengung – sie könnte Wähler verschrecken und liebgewonnene Narrative gefährden. Den Grünen bleibt damit nur, den Ärger vieler Wähler über ihre migrations- und asylpolitische Impotenz mit hochdramatischer Klimarhetorik zu übertönen. Scheitert diese Strategie, dann könnte Türkis-Grün Geschichte sein, noch bevor die für die ÖVP schmerzhafte Ökologisierung zu greifen beginnt. (Christoph Landerer, 12.2.2020)

Christoph Landerer ist Kulturwissenschafter in Salzburg und Wien.

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