Dies & Das: Corona-Apps: Eine Frage des Vertrauens

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Sarah Spiekermann
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Sarah Spiekermann
10. April 2020

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Corona-Apps: Eine Frage des Vertrauens

Die falschen Partner, falsche Technologie, mangelnde Transparenz und Unbesonnenheit – schnell können Regierungen Vertrauen einbüßen. Notwendig ist das nicht

Im Gastkommentar ist sich die Wirtschaftsinformatikerin Sarah Spiekermann gewiss, dass auch mit Technologien Good Governance möglich ist. Regierungen müssten aber drei empfindliche Punkte beachten.

Wie selten zuvor haben die Bürgerinnen und Bürger in den letzten Wochen die Handlungsfähigkeit der politischen Kräfte erlebt: Gesetzespakete wurden rasant geschnürt, die Menschen in Quarantäne geschickt, die Unternehmen geschlossen, Kurzarbeit organisiert. Die Corona-Krise ist ein Moment, in dem das Vertrauen in Regierungen steigt. Umgekehrt bauen die Regierungen auf Bürgersolidarität. Wir bleiben zu Hause, auch wenn es auf 60 Quadratmetern mit vier Leuten verdammt eng werden kann. Das gegenseitige Vertrauen wollen wir behalten.

Vertrauen heißt, dass man von der Kompetenz, Ehrlichkeit und Vorhersehbarkeit beim Gegenüber ausgeht. Doch schon jetzt reden einige von „chinesischer Big-Data-Überwachung“. Es gibt die Furcht, dass die österreichische Regierung, wie viele andere Regierungen auf der Welt, die Zeit ausnutzen könnte, um mit Mobilfunkdaten oder Corona-Apps eine undemokratische Überwachungsgesellschaft zu schaffen. Unser Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat mit dem Gedanken gespielt, die Nutzung einer Corona-App zur Kontrolle der Infektionswege per Gesetz anzuordnen.

Gemeinsam gegen das Virus – seit Donnerstag ist eine neue Version der „Stopp Corona“-App des Roten Kreuzes verfügbar. Das Kontakttagebuch soll im Falle des Falles Infektionswege nachvollziehbar machen.
Foto: APA / Roland Schlager

Sehender Stein

In Großbritannien hat sich der nationale Gesundheitsdienst NHS für ein Infektionstracking mit Palantir entschieden. Die Firma, die datenschutztechnisch in Fachkreisen höchst umstritten ist, wurde ursprünglich von der CIA (mit)gegründet. Ihr Name lässt das Übelste vermuten: Das Palantir ist – so weiß jeder Herr der Ringe-Fan – der sehende Stein, den der böse Zauberer Saruman nutzt, um alles zu überwachen.

Es gibt in den nächsten Wochen drei Achillesfersen für Regierungen: erstens die falschen Partner mit der falschen Technologie, zweitens ein Mangel an Transparenz und drittens eine unbesonnene Art der Einführung.

Podcast: Wie uns der Staat nun überwachen kann.

·Achillesferse 1 Vertrauen kann eine Regierung schaffen, wenn sie die Corona-App komplett selbst betreibt oder mit Partnern arbeitet, die ein hohes Vertrauen genießen, so wie das Rote Kreuz. Jedoch reicht die gute Marke allein nicht. Auch die technische Infrastruktur muss passen. Würde sich eine Regierung entscheiden, zwar im eigenen Namen die Infektionswege der Bürgerinnen und Bürger nachzuverfolgen, in Wahrheit aber mit Palantir-Software arbeiten, Microsoft-Cloud-Systeme zum Speichern der Daten einsetzen und Google-Nearby und Messaging-Dienste verwenden, um die Verfolgung der Infektionswege in der Fläche umzusetzen, würden Datenschutzfreunde nicht mehr auf die guten Absichten der Regierung vertrauen können. Der kritische Techniker fragt, warum keine Open-Source-Lösung gewählt wurde. Und die gebildete Shoshana-Zuboff-Leserin, warum man den US-Technologiekonzernen die gesundheitsrelevanten Transaktionsdaten in den Rachen schmeißt.

Technische Kompetenz ist wesentlich dafür, dass die Regierungen das Bürgervertrauen behalten. Dafür stehen ihnen die besten Leute aus den Universitäten und Fachkreisen zur Verfügung. Schon jetzt haben angesehene Forscherteams datenschutzfreundliche Lösungen entwickelt. In Italien prüft die Regierung die Open-Source-Anwendung „Covid-App“, die von nationalen Bundesrechenzentren betrieben werden kann. Die paneuropäische Initiative PEPP-PT hat eine Referenz für datenschutzfreundliches Infektionstracking vorgestellt. An der WU Wien haben wir einen Fragebogenleitfaden erarbeitet, der zeigt, wie datenschutzfreundlich ein Corona-Tracking-Tool ist.

·Achillesferse 2 Die beste Lösung kann kein Vertrauen erwecken, wenn sie nicht transparent ist. Bei Technologietransparenz geht es nicht darum, viele Seiten an Datenschutzbestimmungen zu verteilen, die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Detailtiefe an die vielen „Unverträge“ erinnern, die wir im Internet jeden Tag bestätigen müssen. Nein: Es geht um echte Transparenz! Transparenz hat drei Empfängergruppen mit unterschiedlichem Informationsbedürfnis.

Die erste Gruppe sind die technischen Profis, die zu Recht eine Open-Source-Lösung für ihr Land fordern. Die zweite Gruppe sind diejenigen, die den Betrieb der Corona-App verantworten oder einschätzen wollen: Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten, Datenschutzbehörden. Diese Empfängergruppe braucht ehrliche, verständliche und einfach zugängliche Information, die alle bedeutsamen technischen Details enthält und nichts verschweigt. Am wichtigsten ist die dritte Empfängergruppe: Das sind wir Bürgerinnen und Bürger. Hier muss Transparenz in einer Sprache erfolgen, die jeder versteht.

Wie man es richtig macht, dafür lohnt ein Blick nach Taiwan. Dort wurde ein digitales Hunde-Maskottchen mit dem Namen „Dr. Message“ entwickelt, das eine Brille trägt und für die Taiwanesen mit einfachen Worten „übersetzt“, was sich die „oberschlauen“ Politiker einmal wieder für ihre Bevölkerung ausgedacht haben.

·Achillesferse 3 Man kann darüber streiten, ob die De-facto-Auflösung des ungarischen Parlaments im Namen von Corona das kleinere (un)demokratische Übel ist, als es ein Befehl zur Massenüberwachung wäre, denn im Zentrum einer jeden Demokratie steht die Freiheit. Wenn Regierungen ihre Bürgerinnen und Bürger per Gesetz zwingen, sich überwachen zu lassen, dann wäre das ein Eingriff in die Selbstbestimmung. Es wäre eine Absage der Regierungen an die eigene Bevölkerung, die in diesen Wochen bei der Bewältigung der Krise so brav mitgemacht hat.

Wut vermeiden

Aus der Kontrollpsychologie weiß man: Wenn man einen Menschen zu etwas zwingt (ihm oder ihr die Kontrolle entzieht), dann erntet man Reaktanz. Reaktanz ist eine Form der Wut. Die Bürgerinnen und Bürger würden das den Regierungen nicht schnell verzeihen. Die sozialen Medien wären voll von Hass und Groll auf die Regierung, und wenn die technischen Lösungen dann auch nur den kleinsten Fehler aufweisen, würde es zu den wildesten Verschwörungstheorien kommen. Unter diesen Umständen lässt sich kein positives und wohlgeordnetes Wiederhochfahren der Gesellschaft organisieren. Sollen Regierungen das riskieren?

Es gibt andere Optionen: Man könnte etwa bundesweit eine Solidaritätsminute ausrufen, in der alle der Toten gedenken und gleich danach die App runterladen. Sollte sich nach einer gewissen Zeit trotz solcher Kommunikationsstrategien das Corona-Infektionstracking nicht durchsetzen, so kann man immer noch über ein Gesetz diskutieren. Die letzten Wochen geben jedoch keinen Anlass zu solch einer Enttäuschung; wir sind eh alle ganz brav! (Sarah Spiekermann, 10.4.2020)

Sarah Spiekermann steht dem Institut für Wirtschaftsinformatik und Gesellschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien vor. Sie ist Buchautorin („Digitale Ethik“) und STANDARD-Bloggerin.

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