- Wie man Pandemien in Zukunft verhindern kann
- Mensch als Ursache
- Unklare Übertragung
- Schnell reagiert
- Mehr Forschung
- Überwachung empfohlen
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Wie man Pandemien in Zukunft verhindern kann
Anfang 2018, während eines Treffens der WHO in Genf, prägten Peter Daszak und andere Wissenschafter den Begriff „Disease X“. Krankheit X stand für einen unbekannten Erreger, der eine Pandemie verursachen könnte und für den keine Impfstoffe und Medikamente existierten. „Heute ist klar: Covid-19 ist Disease X“, sagt Daszak, Präsident der Eco Health Alliance, einer privaten Forschungsorganisation in New York. 181 Staaten haben bisher Infektionen gemeldet. Die in vielen Ländern ergriffenen Maßnahmen sind radikal: Das öffentliche Leben wurde lahmgelegt, Einreiseverbote erteilt. Wie viele Menschenleben Covid-19 kosten wird, ist noch nicht abschätzbar, die wirtschaftlichen Schäden noch nicht bezifferbar.
m Strudel der Geschehnisse wird der Frage nach den möglichen Ursachen dieser Pandemie bislang wenig Beachtung geschenkt. Die Antwort ist ernüchternd, denn sie offenbart mehreres: Die möglichen Treiber solcher Katastrophen sind schon lange bekannt und werden seit Jahren ignoriert, ebenso wurden die Warnungen von Experten in den Wind geschlagen, die solche Krankheitsausbrüche mit Pandemiepotenzial schon vorhergesagt haben.
So waren viele Fachleute vom Ausbruch des Coronavirus nicht wirklich überrascht. „Es war nur eine Frage der Zeit“, sagt der Wiener Wildtierarzt Christian Walzer, Leiter der Abteilung Gesundheit bei der Wildlife Conservation Society, einer weltweit agierenden Naturschutzorganisation mit Sitz in New York, „und wenn wir nichts ändern, wird es wieder zu Virenübertragungen kommen“.
Mensch als Ursache
Bis zu 75 Prozent der neu auftretenden Infektionskrankheiten, die Menschen betreffen, sind Zoonosen, haben ihren Ursprung also in Tieren. Etliche Studien zeigen, dass Zoonosen in Verbindung mit Umweltveränderungen stehen. „Wir sind die Ursache für fast alle neu auftretenden Krankheiten“, meint Daszak. 7,8 Milliarden Menschen brauchen Platz und Nahrung. Und die Menschheit wächst weiter. Wir holzen Wälder ab, bauen Straßen auch in entlegene Gebiete, pflanzen Soja, Palmöl und Getreide an, intensivieren die Tierhaltung und handeln mit Wildtieren. Die Folge: Arten verschwinden, die Vielfalt reduziert sich, die Artengemeinschaften verändern sich. Was oft als Naturschutzproblem abgetan wird, ist in Wirklichkeit auch ein globales Gesundheitsproblem.
Denn dort, wo der Mensch die Landnutzung ändert, kommen auf einmal Arten miteinander in Kontakt, die sich unter natürlichen Bedingungen niemals begegnet wären: etwa Flughunde und Schweine in Malaysia, was 1998 zum Ausbruch des Nipah-Virus führte, das 105 Menschenleben forderte. „Alle Tiere, den Menschen eingeschlossen, koexistieren mit einer ganzen Reihe Viren und anderer Erreger, an die sie sich im Laufe ihrer Evolution angepasst haben“, sagt Simone Sommer, Evolutionsbiologin an der Uni Ulm. Eine durch Menschen gestörte Umwelt eröffne Viren neue Übertragungsmöglichkeiten: „Mehr Kontakt bedeutet höheres Risiko dafür, dass Erreger aus Wildtieren auf Nutztiere oder Menschen überspringen“, so Walzer.
Neu ist das Phänomen nicht: Den Erregern der Tollwut und der Pest gelang der Artensprung schon vor Jahrhunderten. In den vergangenen Jahrzehnten beschleunigt sich die Entwicklung allerdings: Marburg 1967, Ebola 1976, HIV 1981, Hendra 1994, Vogelgrippe 1997, Nipah 1998, West-Nil 1999, Sars 2003, Mers 2012, Ebola 2014 und nun Sars-CoV-2. Erstmals nachgewiesen wurde Sars-CoV-2 im Jänner 2020 auf einem Markt in Wuhan. Erbgutvergleiche zeigen, dass Sars-CoV-2 nah verwandt ist mit dem Sars-Coronavirus, das vor 17 Jahren wütete, aber unter Kontrolle gebracht werden konnte. Die größte Ähnlichkeit hat Sars-CoV-2 mit einem Corona-Cousin einer Fledermausart aus China.
Unklare Übertragung
Wie das Virus aus Fledermäusen in den Menschen gelang, ist bislang unklar. Oft braucht es dafür einen Zwischenwirt. Bei Schuppentier und Mensch etwa stimmt eine wichtige molekulare Struktur des Virus fast vollständig überein: die sogenannte Rezeptorbindungsdomäne, sozusagen der Schlüssel zum Schloss der Wirtszelle. Wissenschafter werten die Virusähnlichkeiten zwischen so unterschiedlichen Säugetieren wie Fledermaus, Pangolin und Mensch als eindeutigen Beleg dafür, dass Sars-CoV-2 auf natürlichem Weg entstanden ist.
Zumal Wildtiermärkte als ideale „Labore“ für Artenübersprünge gelten. In Asien ist das Risiko besonders hoch, weil bis zu 40 unterschiedliche Wildtierarten hier lebend auf engstem Raum angeboten werden – unweit von Millionenstädten. „Da stapeln sich enge Käfige übereinander, in denen etwa Vögel, Bambusratten und Zibetkatzen hocken. Tiere, die sich normalerweise nie begegnen würden. Manche Tiere sind verletzt, alle gestresst, und sie scheiden entsprechend aus“, sagt Walzer, „das sind ideale Bedingungen, um neue Viren entstehen zu lassen.“
Schnell reagiert
Die Regierung in China hat schnell reagiert: Ende Jänner hat sie ein vorübergehendes Verbot des Handels mit Wildtieren erlassen. Schon beim Sars-Ausbruch waren Wildtiermärkte verboten worden, allerdings blühte der Handel nach der Krise wieder auf. Ende Februar verkündete die Regierung ein dauerhaftes Verbot: „Es wurden drei Gesetzesänderungen vorgenommen. Sie können momentan nur nicht verabschiedet werden, weil das Zentralkomitee aufgrund von Covid-19 noch nicht wieder tagt“, sagt Walzer. Der Rückhalt in der Bevölkerung sei groß, auch weil sich das Essen bestimmter Wildtierprodukte nur Reiche leisten könnten.
Das Verbot ist ein wichtiger Schritt, um das Risiko zukünftiger Pandemien zu reduzieren. Allerdings umfasst es nur den Verzehr von Wildfleisch, nicht den Handel mit Wildtieren, die in der traditionellen Medizin Verwendung finden – eine Industrie, die als massive Triebfeder des Handels gilt. „Es bestehen somit noch zahlreiche Schwachpunkte, die ein Risiko für zukünftige Virus-Übersprünge darstellen“, so Walzer.
Neben einer Regulierung der Wildtiermärkte fordern Experten eine grundsätzlich andere Strategie der Pandemiebekämpfung: „Statt reaktiv müssen wir in Zukunft proaktiv agieren“, sagt Daniel Paris, Leiter des Departements Medizin am Swiss Tropical and Public Health Institute in Basel. Momentan macht sich der Mensch mit einem Erreger erst vertraut, wenn dieser ihn infiziert. Erst dann beginnt die fieberhafte Suche Therapien und Impfungen.
Mehr Forschung
Ein Weg ist die Intensivierung der Forschung: „Zoonosen sind ein vernachlässigtes Forschungsgebiet und Viren noch immer weitgehend eine Blackbox“, sagt Paris. Daszak bestätigt: „Wir schätzen, dass es 1,7 Millionen Viren gibt, die unerkannt in Wildtieren zirkulieren, und diese müssen identifiziert werden. Dazu haben wir 2016 ein globales Viromprojekt gestartet.“ Wissenschafter sammeln dazu Blut-, Speichel- oder Kotproben verschiedenster Wildtiere, isolieren Viren und entschlüsseln deren Erbgut. Die Charakterisierung der globalen Virusvielfalt offenbart wichtige Informationen, um Pandemien künftig vielleicht verhindern zu können: die geografische Verteilung der Viren, ihre Wirte, die Identifizierung von Übertragungswegen. Die Daten könnten auch die frühzeitige Entwicklung von Impfstoffen oder Medikamenten ermöglichen.
In einer von extrem hoher Mobilität geprägten Welt muss Prävention aber vor allem global gedacht werden: „Sars brauchte zwei Monate, um aus China zu entkommen. Covid-19 brauchte zwei Wochen. Das nächste Virus könnte zwei Tage brauchen. Unsere Welt ist mittlerweile so gut vernetzt, dass die Aktivität des Menschen, egal wo auf dem Planeten, uns alle gefährdet“, sagt Daszak.
Überwachung empfohlen
Paris empfiehlt ein Überwachungssystem, das Tiere, Menschen und die Umwelt im Blick hat. Dazu müssen neben den Wildtieren, etwa Fledermäusen, auch Nutztiere und jene Menschen getestet werden, die ein erhöhtes Risiko haben, sich zu infizieren, also etwa Bauern, Jäger und Wildtierhändler.
Die Corona-Krise zeigt, dass die Menschheit an einem Wendepunkt steht: Sie muss die verbliebenen Naturräume bewahren, vor allem die tropischen Wälder mit ihrer ungeheuren Artenvielfalt – auch zu ihrem eigenen Schutz. Das ist keine grüne Romantik, sondern Voraussetzung für ihr Überleben. Walzer ist vorsichtig optimistisch: „Die Welt ist eine andere als noch vor zwölf Wochen.“ (Juliette Irmer, 10.4.2020)
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Cary Institute of Ecosystem Studies