Messner: „Vielleicht regt Ischgl uns zum Nachdenken an“
Kürzlich war Reinhold Messner zum Wandern in Äthiopien, dabei hat er „tagelang keine Menschenseele gesehen“. Jetzt schlendert er die Isar entlang. Messner (75) befand sich mitten in einer Vortragsreihe, die ihn auch nach Österreich geführt hätte, wäre sie nicht von Corona unterbrochen worden. Seine Freundin ist Luxemburgerin, sie hätte nicht mehr durch Österreich reisen können, deshalb blieb das Paar in München, wo Messner eine Wohnung hat. Der Südtiroler hofft, bald wieder nach Hause und in die Berge zu kommen. Er sorgt sich nicht nur um die Zukunft der Europäischen Union, sondern auch um den Fortbestand seiner sechs Museen. Dass das Virus von Ischgl in Tirol aus in weite Teile Europas getragen wurde, sei kein Zufall. Ob die Menschheit aus der Krise lernen wird? Messner ist skeptisch.
STANDARD: Sie erzählen gerne von der Erhabenheit der Berge. Wie passt, nur zum Beispiel, der Tiroler Ort Ischgl mit seinen 1600 Einwohnern und 10.600 Gästebetten in diese Erzählung?
Messner: In Ihrer ursprünglichen Ausstrahlung waren die Berge ja durch und durch menschenabweisend. Der Mensch in den Bergen war ein Hirte, vielleicht ein Wanderer. Aber jedenfalls war er allein, und er wäre dem Virus nicht ausgesetzt gewesen. Ischgl hat oder hatte gar nichts mehr mit dieser Bergwelt zu tun. Ischgl ist nur noch Inszenierung.
STANDARD: Sie zählen wahrscheinlich nicht zum Zielpublikum, sondern aus Sicht der Tiroler Touristiker zu einer Minderheit, deren Wegbleiben man verschmerzt.
Messner: Ich war einmal dort, ich kann sagen: Die Berge über Ischgl sind durchaus schöne Berge. Aber mit dem Ort fange ich nichts an. Ich habe in den Bergen immer die Stille, die Weite, das Alleinsein gesucht. In Ischgl ist genau das Gegenteil davon entstanden. Unzählige Menschen auf sehr wenig Platz, gar nicht so sehr auf den Pisten, aber in den Gondeln und beim Après-Ski. Dazu der Lärm, manche nennen es ja Musik, aber für mich ist es Lärm. Ich brauche keine Events, ich brauche kein Konzert auf 3000 Metern. Ischgl und der Eventtourismus haben die Verbreitung des Virus heraufbeschworen. Viele dort hatten nur noch die Dollarzeichen in den Augen. Natürlich muss man sich fragen, wann die Verantwortlichen in Tirol gewusst haben, dass es dort Infektionen gibt. Und ich frage mich auch, wann man es in Wien gewusst hat.
STANDARD: Wird Tirol und wird speziell Ischgl einen großen Schaden nehmen?
Messner: Da bin ich mir gar nicht sicher. Die Menschen vergessen schnell. Aber vielleicht regt Ischgl uns zum Nachdenken darüber an, wie wir die Alpen benutzt haben. Wobei ich betonen will, dass ich durchaus für Tourismus bin – aber eben für eine bestimmte Art des Tourismus.
STANDARD: Ich gehe einmal davon aus, dass Ihre Museen in Südtirol auch darauf angewiesen sind, dass Besucher kommen und Tickets kaufen.
Messner: Ich bin mir nicht sicher, ob wir mit unseren Museen diese Krise überleben werden. Das sind sechs Häuser, die mittlerweile meine Tochter führt. Wir haben nach wie vor fast alle Kosten, aber gar keine Einnahmen. Das halten wir ein paar Monate aus, aber nicht länger. Im Gegensatz zu vielen anderen Museen erhalten wir keine öffentlichen Förderungen.
STANDARD: Umso mehr werden Sie hoffen müssen, dass bald wieder möglichst viele Leute an der Kasse stehen.
Messner: Natürlich haben auch die Museen mit Tourismus zu tun. Aber da gibt es keine Massenevents. Da herrscht Ruhe, und die Leute gehen einzeln oder in kleinen Gruppen durch. Mein Ziel war es, den Alpinismus kulturell zu unterfüttern. Der Alpinismus war für mich immer in erster Linie eine kulturelle Geschichte und keine sportliche.
STANDARD: Am 11. März noch haben Sie in einer Halle in Siegen in Westfalen vor knapp tausend Menschen gesprochen. Ist Ihnen wegen möglicher Ansteckungsgefahr in den Tagen und Wochen danach mulmig geworden, wenn Sie zurückgedacht haben?
Messner: Nein, nicht wirklich. Damals wurden schon etliche Vorkehrungen getroffen. Ich habe auch Bücher signiert und Autogramme gegeben, aber sozusagen mit Abstand, ohne direkten Kontakt.
STANDARD: Als 75-Jähriger müssen Sie sich zur Risikogruppe zählen. Wie vorsichtig sind Sie, wie gehen Sie mit der Isolation um?
Messner: Vielleicht ertrage ich die Situation etwas besser als andere, weil ich oft in extremen Situationen gewesen bin. Aber gesundheitlich, das stimmt, habe oder hätte ich gar keinen Vorteil. Das Virus fragt nicht, ob ich den Everest bestiegen habe. Meine Freundin und ich waren vor kurzem in Äthiopien, wir sind tagelang gewandert, haben keine Menschenseele gesehen. Das ist jetzt natürlich anders. Doch man gewöhnt sich an alles. Eingesperrt fühle ich mich nicht, es gibt in München kein Ausgehverbot. Wir sind in wenigen Minuten an der Isar, da kann man kilometerlang gehen. Das tue ich, und dabei achte ich sehr darauf, Abstand zu halten.
STANDARD: Mit Krisen geht stets flott die Hoffnung auf Lehren einher, die daraus gezogen werden könnten. Glauben Sie daran? Wie wird die Welt, denken Sie, in einem Jahr aussehen?
Messner: Ich glaube, dass diese Krise noch lange dauern wird, als Gesundheitskrise und vor allem als Wirtschaftskrise. In einem Jahr sind wir da noch nicht heraußen. Der wirtschaftliche Schaden wird gewaltig sein. Und am Ende wird viel Geld in Hände geflossen sein, in denen auch vorher schon viel Geld gelegen ist.
STANDARD: Und wird die Menschheit am Ende aus Corona etwas gelernt haben?
Messner: Da bin ich skeptisch. Wir Menschen haben gedacht, die Natur zu beherrschen – aber wir beherrschen sie nicht. Man fragt sich natürlich, ob es sein muss, dass Teile für ein Auto in unzähligen Ländern hergestellt werden. Man fragt sich, ob man Lebensmittel durch die ganze Welt befördern muss. Theoretisch könnte Europa jetzt etliche Fliegen mit einem Schlag erledigen. Dazu müssten die Europäer zusammenfinden. Ich befürchte aber, dass es zu einem Auseinanderdriften kommen wird. Ich sehe die EU gefährdet. Und ich sehe keinen europäischen Leader, der gegensteuern könnte. Wir Menschen sehen jetzt, wie angreifbar wir sind. Wir sind ein Mängelwesen. Millionen Menschen haben Star Wars im Kino gesehen und können sich Außerirdische vorstellen, von denen die Erde angegriffen wird. Und dann kommt ein Virus daher, das nicht sichtbar ist, und bedroht alles.
STANDARD: Gefährdet oder eingeschränkt sind nicht zuletzt die Grundrechte. Trifft Sie das als Freigeist besonders?
Messner: Diese Einschränkung ist schwer zu ertragen, bis zu einem gewissen Grad muss man sie akzeptieren. Es ist gut, dass darüber diskutiert wird. Aber angesichts dieser Krise, die ohne Ende scheint, rückt vieles in den Hintergrund. Alles wieder in akzeptable Verhältnisse zu bringen wird enorm viel kosten. Und es ist nicht gesagt, dass wir wieder auf die Beine kommen. Ich hoffe vor allem, dass das Reiseverbot bald aufgehoben wird, ich will nach Hause und in die Berge zurück. (Fritz Neumann, 14.4.2020)