Dies & Das: Würde des Menschen in Corona-Zeiten(Audio)

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Margot Käßmann im Gespräch mit Tobias Armbrüster
29.04.2020

„Vor dem Tod kann der Staat uns nicht schützen“

Durch das Coronavirus würden viele Menschen mit dem Thema Tod konfrontiert, sagte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann im Dlf. Doch der Staat könne Menschen nicht vor dem Tod bewahren. Er könne aber Leben schützen, und das solle er auch.

Die evangelische Theologin Margot Käßmann
(picture allaince / dpa / Patrick Seeger)

In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ hatte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble am Sonntag gesagt: „Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz des Lebens zurückzutreten, dann muss ich sagen, das ist in dieser Absolutheit nicht richtig“. Wenn es überhaupt einen absoluten Wert im Grundgesetz gebe, so sei das die Würde des Menschen. Diese sei unantastbar. Aber sie schließe nicht aus, dass wir sterben müssen.

„Ich denke, er hat damit recht, weil es schon beim Grundgesetz steht in Artikel ein ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ und im zweiten Artikel heißt es, jeder habe das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich“, sagte Margot Käßmann, Theologin und frühere Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche, im Dlf. Dies könne in Spannung geraten.

Ein ethisches Dilemma

Sie denke dabei beispielsweise an Menschen in Altenheimen, bei denen Angehörige Sorge hätten, dass die Älteren nicht an COVID-19 sterben, sondern an der Einsamkeit und Isolation. „Da sehen wir schon, dass wir das abwägen müssen. Und solche ethischen Dilemmata gibt es immer wieder.“ Sie würden in Theologie und Philosophie seit Jahrtausenden diskutiert. Aus so einem ethischen Dilemma käme man, theologisch gesagt, nicht schuldfrei heraus, sagte sie.

„Es geht im Moment auch darum, dass viele in ihrem Denken das erste Mal mit dem Gedanken konfrontiert sind, auch ich könnte sterben. Das allgemeine Wissen, dass der Mensch sterblich ist, wird dann durch so eine Viruserkrankung zu einer persönlichen Botschaft. Und das irritiert, schockiert und erschüttert viele, denke ich“, sagte Käßmann. „Menschen sind entwöhnt von der Frage, könnte ich sterben.“

„Ältere könnten auch zugunsten der Jüngeren verzichten“

Politikerinnen und Politiker müssten Entscheidungen treffen und abwägen, was es bedeute, wenn Menschen beispielsweise schwere Depressionen haben, die dann suizidgefährdet sind. „Was bedeutet es, wenn Familien an diesem Druck, unter dem sie stehen, zerbrechen.“

Die Freiheit, die im Grundgesetz gegeben ist, bedeute auch, dass man sich selber schützen könne. „Ich bin jetzt über 60, wenn ich zur gefährdeten Gruppe gehöre, könnte ich mich selbst beschränken. Dafür bin ich auch schon beschimpft worden: Aber da könnten auch mal die Älteren sagen, zugunsten der Jüngeren, sind wir bereit, als gefährdete Gruppe zurückzustehen und bereit, auf Konzerte, Großveranstaltungen, zu verzichten.“ Dies sei eine Frage der Besonnenheit. 

„Vor dem Tod kann der Staat uns prinzipiell nicht schützen, er kann Leben schützen“, sagte sie. Und das solle er auch. 

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