- Grüne Kulturpolitik: Das Anliegen allein ist halt nicht genug
- Keine Säule hat gehalten
- Die Kunst fehlt
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Grüne Kulturpolitik: Das Anliegen allein ist halt nicht genug
Für den Kulturwissenschafter und ehemaligen Kultursprecher der Grünen, Wolfgang Zinggl, war Ulrike Lunaceks Rücktritt als Staatssekretärin für Kunst und Kultur absehbar. Im Gastkommentar analysiert er die (nicht) gesetzten Maßnahmen der Regierung.
Auch Kunstschaffende übernehmen Verantwortung. Sie waschen sich laufend die Hände, tragen mit Abstand eine Maske, und wenn sie morgens erwachen, sorgen sie sich wie viele andere ums Übermorgen: Werden sie wieder weitermachen können oder sinkt die Produktionsrate auf null? Gleichzeitig wissen sie, wie ein entsprechender Leidensdruck zur Triebfeder von Veränderung wird. Und weil ihr Leidensdruck enorm geworden ist, jener in der Regierung aber noch nicht, heißt das anders formuliert: Erst wenn’s Stunk gibt, ändert sich was. Dazu sollte es bei nachhaltig orientierter Politik eigentlich nicht kommen. Unbotmäßiges Trinken muss nicht erst mit der Zirrhose eingestellt werden, und mit dem Verbrauch von Ressourcen muss auch nicht fortgesetzt werden, bis keine mehr da sind. Entscheidungen im Angesicht des Galgens waren schon für Immanuel Kant Entscheidungen unfrei im Verstand.
Also ist es passiert. Und eine Diplomatin, die mit der Überzeugung angetreten ist, dass ein großes Herz und redliches Bemühen reichen, um in der Kulturpolitik die vielen lieben, bunten und lustigen Kreativlinge zufriedenzustellen und gleichzeitig auch noch Reformen zu setzen, macht nun „Platz für jemanden anderen“. Dass Ulrike Lunacek diesen Schritt gesetzt hat, ist ihr hoch anzurechnen und zeugt von politischer Kultur.
Keine Säule hat gehalten
Abgezeichnet hat sich das Ungemach schon länger, und es ist auch nicht so, dass niemand auf die Dringlichkeit eines abgezirkelten Plans zum Abbau der Schutzbestimmungen gegen das Virus hingewiesen hätte. Schrittweise, sachlich durchdacht und gut abgestimmt hätte die Staatssekretärin damit längst beginnen müssen. Dass die Museen zum Beispiel nicht spätestens mit den Bundesgärten wieder aufgesperrt haben, war in der Argumentation noch unlogischer als deren Sperre. Immerhin hat es deutlich gemacht, dass manchem Direktor ohne Tourismus die Luft ausgeht und dass er nur für die eigene Bevölkerung lieber gar nicht aufsperrt.
Zu spät. Nur mit Rückendeckung erstens der eigenen Partei, zweitens der Medien, drittens des Koalitionspartners und zumindest einzelner Kunstschaffender hätte sie aus dieser Defensive weiter Politik machen können. Indes hat keine Säule gehalten. Wer nicht regiert, muss reagieren. Dass sie aber für Entscheidungen wie Baumarkt oder Musikverein verantwortlich war, wird niemand behaupten. Einfacher für sie wäre es ja gewesen, gleich mit den ersten Erfolgsmeldungen im Kampf gegen das Virus alles wieder zu öffnen, und hurra: täglich 2000 Besucherinnen übereinander in der Oper, im Konzerthaus, in der Burg und so weiter, von der Stadthalle und Festspielen gar nicht zu reden. Das hätte wie im Horrorfilm zur Folge gehabt, dass das Böse, scheinbar am Verrecken, wieder im Türrahmen steht. Für so ein Kunst-Ischgl hätte die Staatssekretärin geradestehen müssen. Wer trotz dräuenden Übels und besseren Wissens dem Druck von Veranstalterinnen nachgibt, entscheidet unfrei im Verstand.
Zudem hat der Virologe Greg Hilvary – zum Glück gibt es deren mittlerweile mehr als Infizierte – die Ungerechtigkeiten dieser Tagen auf den Punkt gebracht: Die Wahrscheinlichkeit, meint er, dass alles wieder kippt, vergrößert sich mit der Anzahl der Lockerungen. Wer entweder A oder B mit halbwegs einschätzbaren Folgen riskiert, darf deswegen nicht sowohl A als auch B zulassen. Es ist zwar ungerecht, wenn Schulen wieder öffnen, nicht aber die Kinos, aber besser ungerecht als ein gerechtes Flashback. Da war nur noch etwas. Wenn nämlich ausgeklügelte Schutzmaßnahmen für alle Bereiche entwickelt werden, nicht aber für die darstellende Kunst, dann ist das nicht ungerecht, sondern ignorant.
Die Kunst fehlt
In der Verordnung des Gesundheitsministeriums vom 30. April sind alle gelockerten Maßnahmen systematisch aufgelistet. Für die Geschäfte und das Gastgewerbe, für den öffentlichen Verkehr, zu Hotels, Büros, Kirchen, Sozialeinrichtungen und Schulen, präzise und verantwortungsvoll.
Nur die Kunst fehlt. Oder sie ist mit der kryptischen Ausnahmeregelung im Paragraf 2 (2) gemeint, mit der nämlich allen Dienstleistungen, die den üblichen Maßnahmen nicht nachkommen können, andere Schutzmaßnahmen vorbehalten bleiben. Maßnahmen, die sie selbst ergreifen können, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Na, wenn das nicht heißt, dass sich die Kunst ihren eigenen geeigneten Schutz selbst ausdenken und verantworten kann. Also bitte, welche umsetzbaren Vorschläge der Fachleute liegen auf dem Tisch? Wer möchte so viel riskieren wie Donald Trump und Jair Bolsonaro und wer so wenig wie Xi Jinping? Es ist die kleine Weltbühne, die in der heimischen Diskussion zur Freiheit gegen Sicherheit eine ihrer Vorstellungen gibt.
Kehren wir zurück zur Normalität. Eine Regierung muss Verantwortung übernehmen, dafür wird sie gewählt. Und das heißt für die Kulturpolitik, dass sie selbstbewusst und nach Möglichkeit noch vor den Blumen- und Baumärkten erklären sollte, was in ihrem Bereich gemacht werden muss und warum. Sie muss finanziell einspringen, wo Öffnungen unverantwortlich sind, und Erleichterungen ermöglichen, wo immer dazu Vorschläge entwickelt werden. Mit Sachverstand und Vernunft statt unter Druck von Wogen und Winden.
Noch etwas: Es stimmt schon, dass den Grünen die Kunst nicht das größte Anliegen ist. Das habe ich 19 Jahre lang erlebt. Aber dass sie ihnen allemal mehr Anliegen ist als den anderen Fraktionen, hab ich in dieser Zeit auch erlebt. Das Anliegen allein ist halt nicht genug. (Wolfgang Zinggl, 15.5.2020)