Dies & Das: Wie man das Vertrauen der Bürger verspielt

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Heinz Mayer

18. Oktober 2020

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Wie man das Vertrauen der Bürger verspielt

Der Bundeskanzler richtet dem Gesundheitsminister aus, dass er für strengere Maßnahmen wäre. Was ist da eigentlich los an der Regierungsspitze?

„Alle Verantwortlichen sollten alles daransetzen, dass sich die Menschen im Vertrauen auf staatliche Organe an deren Anordnungen halten“, so der Verfassungs- und Verwaltungsjurist Heinz Mayer im Gastkommentar.

Sollten gemeinsam mit Expertinnen und Experten Pressekonferenzen abhalten: Bundeskanzler Sebastian Kurz, Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Vizekanzler Werner Kogler und Innenminister Karl Nehammer.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Man hat sich schon fast daran gewöhnt: Der Gesundheitsminister erlässt laufend Verordnungen, mit denen zum Teil weitreichende Einschränkungen für das Leben der Bürger angeordnet werden. Fast zeitgleich tritt der Bundeskanzler vor die Presse und erklärt, er wünsche sich strengere Maßnahmen. Welche Experten beraten den Bundeskanzler? Was raten sie ihm?

Als stiller Betrachter fragt man sich, was denn da eigentlich los ist an der Regierungsspitze: Der Gesundheitsminister ordnet Beschränkungen an, und gleichzeitig richtet der sachlich unzuständige Bundeskanzler dem Volk über die Medien aus, dass er für strengere Maßnahmen einträte. Man müsste eigentlich glauben, dass es dem Bundeskanzler möglich wäre, dem Gesundheitsminister seine Wünsche ohne Einschaltung von Medien mitzuteilen. Warum dann so?

Hier gibt es zwei Erklärungen: Entweder der Bundeskanzler hat versucht, dem Bundesminister seine Vorstellungen nahezubringen, dieser ist aber darauf nicht eingegangen. Oder der Bundeskanzler hat dies erst gar nicht versucht und sich sofort an die Öffentlichkeit gewandt.

Keine Zuständigkeit

Was immer die Ursache für diese sichtbar in die Öffentlichkeit getragene Meinungsverschiedenheit ist, eines zeigt sie deutlich: Die Regierungsspitze ist offenbar uneinig, wie sie die Corona-Pandemie bewältigen soll. Zurück bleiben Bürgerinnen und Bürger, die erkennen müssen, dass die ohnehin bereits unübersichtliche und unsichere Situation vom Bundeskanzler noch verschärft wird. Dazu kommt, dass dieser keine Zuständigkeit besitzt, Beschränkungen aufgrund des Epidemiegesetzes oder des Covid-Maßnahmengesetzes anzuordnen. Er hat allein die Koordinationskompetenz, die ihn aber nicht zum Obergesundheitsminister macht.

Kann es sein, dass es hier gar nicht um sachliche Differenzen geht, sondern dass wir hier eine Art Wettbewerb – wer ist der „Härtere“ – erleben? Und die Regierungsspitze dabei den Verlust des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in Kauf nimmt? Dieser Vertrauensverlust ist besorgniserregend, weil die unsichere Situation, die derzeit herrscht, wohl noch längere Zeit andauern wird. Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung ist aber in einer Demokratie unabdingbar; fehlt dieses Vertrauen, sinkt die Bereitschaft der Menschen, die angeordneten Maßnahmen zu befolgen. Werden sie nicht befolgt, müssen sie zwangsweise durchgesetzt werden.

Politik mit der „Flex“

Ein solches Szenario kann sich niemand wünschen. Auch wenn unser Herr Innenminister – nach eigenen Worten – jederzeit in der Lage ist, die Polizei „mit der Flex“ loszuschicken, um die Beachtung der Regeln durchzusetzen, ist das nicht der Weg, den eine zivilisierte Demokratie anstreben darf. Vielmehr sollten alle Verantwortlichen alles daransetzen, dass sich die Menschen im Vertrauen auf staatliche Organe an deren Anordnungen halten. Staatlicher Zwang muss die Ausnahme sein.

Vertrauensbildend wäre es etwa, wenn Pressekonferenzen zu Corona-Maßnahmen im Beisein von Expertinnen und Experten abgehalten würden. Die fachlich unzuständigen Regierungsmitglieder – Bundeskanzler, Vizekanzler und Innenminister – könnten ihre Vorstellungen mit dem Gesundheitsminister leicht im Vorfeld – und ohne Medienbegleitung – abstimmen. (Heinz Mayer, 18.10.2020)

Heinz Mayer ist Verfassungs- und Verwaltungsjurist und emeritierter Professor an der Universität Wien.

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