Dies & Das: Das Klima zu schützen, heisst für sie, keine Kinder zu haben

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Esthy Rüdiger

09.08.2019

Das Klima zu schützen, heisst für sie, keine Kinder zu haben

Weil sie um die Zukunft des Planeten fürchten, entscheiden sich immer mehr Frauen, auf eigene Kinder zu verzichten. Zwei von ihnen erzählen, warum sie es für verantwortungslos halten, weitere Kinder in die Welt zu setzen.

Zwar ist ein Hund auch nicht so umweltfreundlich, «aber das ist eben mein Kinderersatz»: Danielle Cotten mit ihrem Wolfshund Yoshi. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Danielle Cotten ist 33 Jahre alt und in einer festen Beziehung, Kinder hat sie gern. «Nach den Regeln unserer Gesellschaft müsste ich also bald eine Familie gründen.» Doch Danielle hat sich entschieden, «kinderfrei» zu bleiben. Die Bezeichnung ist ihr wichtig, denn «kinderlos» suggeriere einen biologisch nicht erfüllbaren Kinderwunsch. Danielles Leben ohne Kinder hingegen hat andere Gründe: «Betrachtet man die Fakten, ist das Umweltschädlichste, was man tun kann, ein Kind zu haben.»

Während Danielle erzählt, streicht sie über den Rücken Yoshis, eines tschechoslowakischen Wolfshundes. Ihr sei bewusst, dass es auch nicht besonders umweltfreundlich sei, einen Hund zu besitzen. «Aber das ist eben mein Kinderersatz.» Sie sitzt mit einer Freundin – sie hat ebenfalls keine Kinder – in einem ihrer Lieblingsbistros in Luzern. Es liegt am Seeufer und serviert wahlweise vegetarische und vegane Speisen.

Seit ihrer Jugend isst Danielle Cotten aus Überzeugung kein Fleisch, seit einigen Jahren lebt sie vegan. Sie habe sich in den sozialen Netzwerken immer mehr Tier- und Umweltschutzinhalten ausgesetzt und sich täglich informiert. «Ich war schockiert, als ich gemerkt habe, dass Eiterrückstände in der Milch erlaubt sind oder dass Käse und Butter die schlechtere Ökobilanz haben als Poulet.»

Auf Kinder zu verzichten, war bloss konsequent

Ihr Lebensstil habe sich immer weniger mit ihren Werten vereinbaren lassen. Danielle kündigte ihre Stelle als Event-Managerin und nahm sich eine Yoga-Auszeit in Thailand. «Seither bin ich nie wieder geflogen», schiebt sie sogleich nach. Es sei eine logische Konsequenz gewesen, die Entscheidung zu treffen, keine Kinder zu haben.

«Ich will meinem Kind später nicht in die Augen schauen müssen und ihm erklären: Sorry, für dich sind leider nicht mehr genügend Ressourcen vorhanden – aber ich wollte nun mal unbedingt Mutter sein.» Menschen, die alles essen und auch noch Kinder haben, hält sie für verantwortungslos, wenngleich sie es ihnen gegenüber etwas gemässigter ausdrücken würde.

Vor einiger Zeit erzählte eine gute Freundin Danielle, sie sei schwanger. «Für mich fühlte sich das an, als würde sie mit mir Schluss machen.» Sie wusste: Ihre Lebensentwürfe würden sich von nun an in gegensätzliche Richtungen entwickeln. Sie pflegen heute einen losen Kontakt.

Frauen twittern ihre #Birthstrike-Geschichten

Mit dem Buch «Kinderfrei statt kinderlos: ein Manifest» sorgte die feministische deutsche Autorin Verena Brunschweiger im vergangenen März für Diskussionen. Auch sie führt darin den Umweltschutz als schwerwiegendstes Argument an. Brunschweiger kritisiert im Buch etwa die «Fortpflanzungswut» der Gesellschaft, die zur Folge habe, dass die menschliche Überbevölkerung die Erde zerstöre.

Das Phänomen trägt in den sozialen Netzwerken den Namen #Birthstrike. Den Startschuss dazu gab die britische Sängerin Blythe Pepino, die in einem BBC-Interview vergangenen März sagte: «Ich mache mir so grosse Sorgen, dass ich mich entschieden habe, keine Kinder in die Welt zu setzen.» In der Folge twitterten zahlreiche Frauen und wenige Männer, sie verzichteten ebenfalls auf Nachwuchs, um den Planeten zu schützen. Pepino, die sich eigentlich sehnlichst Kinder wünschte, sagte, sie könne ihren potenziellen Nachwuchs dieser «negativen» Welt nicht aussetzen.

Ein neues Phänomen ist die #Birthstrike-Bewegung nicht. So gab es bereits 1913 den Aufruf zum Gebärstreik der deutschen Arbeiterbewegung, um den Kapitalismus zu bekämpfen. Und nach der Wende befürchteten in Ostdeutschland Frauen, sich keine Kinder mehr leisten zu können. An der Klimawandelbewegung ist neu, dass sie weltweit Ableger findet.

Die Anhänger der Organisation Conceivable Future aus dem amerikanischen New Hampshire sehen sich wegen des Klimawandels gezwungen, auf Kinder zu verzichten und diesen Leid zu ersparen. Die Philosophie der Antinatalisten geht einen Schritt weiter: Demnach wäre die Welt ohne Menschen eine bessere. Am drastischsten formuliert die internationale Gruppierung Voluntary Human Extinction Movement ihr Anliegen. Sie sieht das freiwillige Aussterben von Menschen als die «einzige Möglichkeit, den Planeten zu retten». Sie alle teilen die Ansicht, dass der Entscheid, keine Kinder zu haben, dem Gemeinwohl dient.

«Für mich zählt, was ein Kind dem Klima antäte»

Ein Dienstagmorgen in der Dachwohnung eines Mehrfamilienhauses im Kanton Bern, es ist neun Uhr. Die Kinder von Marina Schmid*, sie sind fünf und neun Jahre alt, haben eben das Haus verlassen, ihr Mann ist schon bei der Arbeit. Schmid ist 34 Jahre alt, und auf den ersten Blick scheint ihr Leben wenig mit jenem von Danielle Cotten gemein zu haben.

Die junge Mutter nimmt eine Tasse Tee und sucht sich neben Klimastreik-Transparenten und -Flugblättern einen Platz auf dem Sofa aus der Brockenstube. «Noch vor einem Jahr wünschte ich mir so sehr ein drittes Kind», erzählt sie. Weil es nicht auf Anhieb klappte, klärte sie beim Arzt weitere Möglichkeiten ab.

Als es Ende letzten Jahres zu den ersten Klimastreiks kam, war Marina Schmid beeindruckt. Schon vor einigen Jahren hatte sie sich mit «der Klimakrise» befasst, wie sie selbst sagt. Nun war ihr Interesse wieder geweckt: Sie schaut Dokumentationen, liest Bücher. Ein weiteres Kind kann sie mit ihrem Gewissen immer schlechter vereinbaren.

Sie ruft sich selbst die negativen Seiten eines Kleinkindes in Erinnerung: wenig Schlaf, viel Nerven, kleineres Budget. «Also habe ich beschlossen, dass ich meine Energie lieber in die Bekämpfung der Klimakrise stecke als in eine weitere Kinderaufzucht.» Dass das Klima lediglich ein Vorwand für den ohnehin erschwerten Weg zum dritten Kind sei, verneint die junge Mutter. Ihr Entscheid steht, die Babykleider hat sie weggegeben.

Statt Windeln zu wechseln, weibelt Marina Schmid nun für die Demonstrationen, hilft bei den Vorbereitungen, verteilt Flugblätter. Einige Freundinnen haben ein drittes oder viertes Kind. «Viele erkennen den Ernst der Lage nicht.» Sie würden sich zwar Gedanken machen, in welcher Welt ihre Kinder dereinst aufwachsen würden. «Für mich hingegen zählt vielmehr, was ein weiteres Kind dem Klima antäte», sagt Marina Schmid.

Gleichgesinnte kennt sie kaum. Bei den Klimademonstrationen engagierten sich überwiegend junge Frauen, für die Kinder noch kein Thema seien.

«Sollten aufklären, statt uns gedankenlos zu reproduzieren»

Zu ihnen zählt die 18-jährige Gymnasiastin Andrea Indermaur. Sie lebt nach eigenen Angaben vegan, fliegt nicht und kauft kaum Neues. Doch vom Entscheid, der Umwelt zuliebe auf Kinder zu verzichten, hält sie wenig. «Denkt man dies zu Ende, bekommen künftig nur noch jene Menschen Kinder, die sich nicht ums Klima scheren.» Ein Argument, das Danielle Cotten nicht gelten lässt: «Es ist viel wichtiger, dass die Menschen, die bereits da sind, aufgeklärt werden, statt dass wir uns gedankenlos reproduzieren.»

Andrea Indermaur, die nach der Matura Umweltnaturwissenschaften studieren will, hält es nicht für sinnvoll, dass ausgerechnet in Ländern mit zu tiefer Geburtenrate auf Kinder verzichtet werden soll. «Die Problematik in den Industrieländern sind nicht die Kinder, sondern der immense Konsum. Da sollten wir ansetzen.»

Bettina Isengard, Soziologin an der Universität Zürich, weist ebenfalls darauf hin, dass unsere sozialen und privaten Sicherungssysteme auf Nachwuchs angewiesen sind, «erst recht im Zuge des demografischen Wandels».

Die zweifache Mutter Marina Schmid sieht hingegen genau bei den Industrieländern das Problem: «Es ist nicht zu leugnen, dass ein Kind in Europa das Klima erheblich stärker belastet als ein Kind in Zentralafrika.»

Kinderlosigkeit von Männern ist akzeptierter

Danielle Cotten hört oftmals, ihr Entscheid sei egoistisch. «Dabei ist der Altruismus, Kinder zu haben, meist nichts weiter als versteckter Egoismus. Wir wurden indoktriniert, dass eigene Kinder unser ultimatives Lebensglück seien.» Die Soziologin Bettina Isengard gibt ihr teilweise recht: Der Entscheid, Kinder zu haben, sei nüchtern betrachtet eine Kosten-Nutzen-Rechnung, bei der der Nutzen eines Kindes überwiege.

Interessant findet Isengard, dass Männer solchen Unterstellungen weniger ausgesetzt seien. «Die Kinderlosigkeit von Männern scheint gesellschaftlich noch immer viel akzeptierter zu sein», sagt sie. Das habe nicht zuletzt damit zu tun, dass Männer viel länger Kinder bekommen könnten. «Frauen sind durch ihren Körper auch viel direkter von einem solchen Entscheid betroffen.» Wohl auch deshalb haben sich der Birthstrike-Bewegung überwiegend Frauen angeschlossen.

Die Soziologin hält es für möglich, dass ein Teil des Gebärstreiks nicht wirklich dem Klima geschuldet ist, sondern damit eine grundsätzliche – gewollte oder ungewollte – Kinderlosigkeit gerechtfertigt werde. Diese habe es in der Geschichte schon immer gegeben. «Letztlich zeigt sich, dass nur ein geringer Anteil tatsächlich ohne Kinder bleibt.» Bettina Isengard misst der #Birthstrike-Bewegung deshalb keine allzu grosse Bedeutung bei.

Für das Klima zieht sie eine Abtreibung in Erwägung

Danielle Cotten schliesst nicht gänzlich aus, einmal Mutter zu sein – aber wenn, dann auf anderem Weg. «Ein Waisenkind zu adoptieren, wäre eine Möglichkeit. Ich suche das aber nicht aktiv.» Es sei sinnvoller, den Kindern direkt vor Ort zu helfen.

Obwohl Danielle nicht an ihrem Entscheid zweifelt, hat sie den letzten Schritt bisher nicht gewagt. «Ich habe mir überlegt, mich unterbinden zu lassen. Doch ich vertrete die Grundhaltung, der Zukunft nichts vorwegnehmen zu wollen.»

Seit dem letzten Gespräch mit der zweifachen Mutter Marina Schmid sind ein paar Wochen vergangen. Kurze Zeit nach dem Treffen ist eingetroffen, was sie nicht mehr für möglich gehalten hatte: Sie ist schwanger. Erzählt hat sie davon fast niemandem, weshalb sie ihren richtigen Namen auch nicht in der Zeitung lesen will. Ihre Überzeugungen seien so stark, dass sie zu einer Abtreibung tendiere. Sie habe bereits eine Familienberatung in Anspruch genommen, fühlte sich aber nicht ernst genommen.

«Die Entscheidung, ein von mir abhängiges Wesen ‹kaputtzumachen›, fällt mir schwer – es kann schliesslich nichts dafür», sagt sie. Sie weiss, dass die Zeit, sich zu entscheiden, eilt. «Doch das tut sie für unseren Planeten auch.»