Dies & Das: Gehörte Literatur-Anne Seghers: Der Ausflug der toten Mädchen

Anne Seghers: Der Ausflug der toten Mädchen

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1943 erholt sich Anna Seghers im mexikanischen Exil von einem schweren Verkehrsunfall. Sie erinnert sich an einen dreißig Jahre zurückliegenden Schulausflug in ihrer Heimatstadt Mainz. Zum 120. Geburtstag der Autorin sendet WDR 3 eine ihrer schönsten und traurigsten Erzählungen.

In einem Tagtraum beschwört die Autorin die unbeschwerte und heitere Welt herauf, in der ihre Schulkameradinnen und sie selbst bis kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gelebt haben – eine Welt, die für immer verloren ist. Denn außer der Erzählerin sind später alle Mädchen ums Leben gekommen. Sie starben auf der Flucht, im Lager oder bei einem Bombenangriff. Manche waren ihren Idealen treu geblieben, andere, von der nationalsozialistischen Ideologie verblendet, schuldig geworden. Das Wissen um die späteren Schicksale der Mädchen überschattet den Blick zurück mit tiefer Trauer, gelegentlich auch mit Sarkasmus, und lässt die Unversehrtheit der Figuren umso unwirklicher erscheinen. Vom Ausflug heimkehrend, erblickt die Erzählerin am Ende ihre sie erwartende Mutter, zu ihrer Verwunderung viel jünger als sie selbst.
Als Anna Seghers dieses meisterhafte Gewebe aus Bericht und Reflexion verfasste, hatte sie auch bereits vom Tod ihrer Mutter in einem Lager nahe Auschwitz erfahren.

Anna Seghers: Der Ausflug der toten Mädchen und andere Erzählungen. Aufbau Verlag Berlin 2018, 151 Seiten, 10,90 Euro
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Anna Seghers, 1966