Dies & Das: Ein Igel als Mitbewohner für den Winter

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Igel-Pflege

Franziska Zoidl

19. Dezember 2020

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Ein Igel als Mitbewohner für den Winter

Zu kleine Igel können den Winter nicht überleben. Gefundene Tiere müssen aufgepäppelt werden. Wie sich grantige Igel mit dem WG-Alltag vertragen

Ein Igel ist kein Haustier, sondern ein Wildtier.
Foto: Istockphoto/DamianKuzdak

Ein wohlgenährter Igel liegt entspannt auf seinem stacheligen Rücken, lässt sich seinen flauschigen Bauch mit einer winzigen Bürste massieren und gähnt behaglich. Auf Youtube sind Videos kleiner Igel ein Hit. Aber mit den süßen Weißbauch-Igeln im Internet hatte der grantige Pflege-Igel Ignaz, der meine WG vor drei Jahren auf Trab hielt, gar nichts gemeinsam.

Aber der Reihe nach. Hierzulande befinden sich Igel Anfang Dezember längst im Winterschlaf, zumindest im besten Fall. Denn Igel, die zu klein und dünn sind, können den Winter ohne Nahrung nicht überleben. Manche werden im Herbst von Menschen beim Spazierengehen oder bei der Gartenarbeit gefunden. Oft landen sie im Tierheim oder bei einer Igel-Pflegestation, wo sie entwurmt, von Parasiten befreit und aufgepäppelt werden.

Tierfreunde mit Platz

Im Linzer Tierheim landeten im Herbst pro Tag bis zu 25 kleine Igel. 586 Igel seien heuer bereits abgegeben worden, schrieb das Tierheim in einem Facebook-Post Ende November, und „kein Ende in Sicht“. Daher wurden Tierfreunde und Tierfreundinnen mit Platz gesucht, die einen Igel in ihrem Zuhause durch den Winter bringen können (siehe Infokasten unten). „Dadurch hat sich eine rege Nachfrage ergeben“, erzählt Sarah Hackl vom Tierheim Linz. Dabei könnte auch Corona eine Rolle spielen. Viele Menschen sitzen mehr zu Hause und haben mehr Zeit als sonst.

In einer Zeit lange vor Homeoffice und Corona kam vor drei Jahren der erwähnte Igel Ignaz aus einem Tierheim zu uns. Mickrige 300 Gramm wog er, und er war nicht mehr als eine stachelige Kugel mit zwei glänzenden Knopfaugen und einer spitzen Nase. Aber das unschuldige Äußere war trügerisch: Ignaz fauchte und knurrte wie ein Hund, sobald wir ihn störten.

Und das taten wir häufig, weil wir ihn täglich auf die Küchenwaage setzen mussten, um seine Gewichtszunahme ganz genau zu dokumentieren. Um seine Abneigung zu zeigen, stellte er blitzschnell seine Stacheln auf, sodass man den Grantscherben nur mit Gartenhandschuhen angreifen konnte. Seine Artgenossen in Youtube-Videos würde Ignaz garantiert mit mindestens genauso viel Verachtung strafen. Der Igelstall musste täglich gereinigt werden. Geruchsneutral sind Igel nämlich ganz und gar nicht.

Kein Haustier

Aber wir waren vorgewarnt. Ein Igel ist kein Haustier, sondern ein Wildtier. Das betonen Tierheime gebetsmühlenartig, wenn sich Interessenten bei ihnen melden. Das erklärte Ziel der Igel-Adoption ist, den Igel auf ein winterliches Wohlfühlgewicht von etwa 800 Gramm zu bringen – und dann bis zum Frühjahr in einen kontrollierten Winterschlaf zu schicken. Er soll nicht an Menschen gewöhnt, sondern in Ruhe gelassen werden.

Das stellen sich viele anders vor. In der Wildtierabteilung des Innsbrucker Tierheims Mentlberg kann man davon ein Lied singen. Eine der Mitarbeiterinnen ist daher gar nicht so unglücklich darüber, dass sich bei ihr heuer deutlich weniger Privatleute als sonst für die Igelpflege gemeldet haben. Oft würden Menschen mit den falschen Erwartungen kommen. Familien mit Kindern etwa, die sich ein Haustier wünschen. „Ein Igel gehört ganz sicher nicht ins Kinderzimmer“, betont die Mitarbeiterin. „Wenn ich sehe, wie die Kinder beim Abholen in die Box reingrapschen, während der Igel Angst um sein Leben hat, behalte ich ihn lieber gleich da.“

Manche würden die Igel absichtlich nicht in den Winterschlaf schicken und immer wieder aufwecken, auch wenn sie längst schwer genug sind. In Tierheimen wird Interessierten der Igel daher manchmal auch wieder ausgeredet. Mitunter seien Menschen von der Pflege der Tiere auch später überfordert, etwa wenn diese krank werden. So landen manche Igel am Ende erst Recht wieder im Tierheim.

Haus voller Zeitungen

Im Tierschutzhaus in Wien vergibt man Igel seit einigen Jahren nicht mehr an Privatpersonen. Nicht nur, weil das nicht immer funktioniert hat. Sondern auch, weil man ohnehin genug Platz habe, heißt es hier auf STANDARD-Anfrage.

Meine WG hielt vor drei Jahren schon ein einziger Igel auf Trab. Auch wenn wir ihn nicht häufig zu Gesicht bekamen. Igel sind nachtaktiv, daher saß Ignaz untertags in seinem Häuschen im Käfig, das wir jeden Tag mit neuen zerknüllten Zeitungen – selbstverständlich dem Vortages- STANDARD – anfüllten. Meistens hörten wir ihn hier nur ein wenig rascheln.

Nur wenn es Essen gab, steckte er prüfend seine Nase aus dem Haus heraus. Und sobald die Luft rein war, grub er sich lautstark aus seinem Zeitungsberg aus. Obwohl der Arme in einem veganen Haushalt gelandet war, bekam Ignaz feinstes Katzenfutter. Der Gatsch wurde mit Haferflocken und Kürbiskernen gestreckt. Das dürfte gemundet haben. Zumindest schmatzte er so laut, dass es in der ganzen Wohnung zu hören war.

Abschied von Ignaz

Sobald seine Mitbewohner – also wir – ins Bett gegangen waren, legte Ignaz richtig los. Er kletterte aus seinem Käfig und machte sich auf Erkundungstour. Zuvor mühsam aufgebaute Hindernisse waren ihm dabei herzlich egal. Einmal ertappte ich ihn dabei, wie er mitten in der Nacht versuchte, über eine Wand aus Möbelstücken und Büchern in die Freiheit – also ins Wohnzimmer – zu klettern.

Kurz vor Weihnachten hatte Ignaz seine Traumfigur mit ordentlich Speckrollen erreicht. Er hatte sich in seiner Zeit bei uns mehr als verdoppelt und wurde in eine durch eine Abzäunung geschützte Höhle im Garten entlassen. Sein Futter rührte er hier nach wenigen Tagen nicht mehr an. Das bedeutete: Ignaz out. Bis er Anfang Mai wieder aufwachte – und sich kurz darauf vom Acker machte. Der grantige Ignaz war vom Abschied erwartungsgemäß ungerührt. Wir schauten ihm wehmütig nach. Und jedes Jahr im Sommer, wenn ein knurrender Igel im Garten Krawall macht, sind wir sicher, dass es unser Ignaz ist. (Franziska Zoidl, 19.12.2020)

Was zu tun ist, wenn man einen Igel findet:

Igel, die jetzt noch unterwegs sind, brauchen ziemlich sicher Hilfe. Bei der Wildtierabteilung des Innsbrucker Tierheims Mentlberg rät man dazu, die Tiere erst zu beobachten. Ist der Igel wohlgenährt, wurde er möglicherweise nur aufgeschreckt – und geht hoffentlich wieder in den Winterschlaf. Wirkt das Tier krank und unterernährt, sollte es zu einem Tierarzt, einem Tierheim oder einer Igel-Pflegestation gebracht werden. Wer von dort einen Igel adoptieren möchte, braucht einen ungenutzten Raum, in dem der Igel Ruhe hat, aber Tageslicht abkriegt. Der Raum muss auf 18 bis 22 Grad geheizt sein. Kellerräume sind dafür nicht geeignet. Die Igel werden in einem Käfig oder einer Box gehalten. Hier brauchen sie Platz und ein Haus, in das sie sich zurückziehen können. Sobald die Igel ca. 800 Gramm wiegen, können sie an einem geschützten, eingezäunten Ort im Freien in den Winterschlaf geschickt werden. Dort müssen sie weiterhin kontrolliert und auch gefüttert werden, falls sie doch wieder aufwachen.

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