Dies & Das: Freiheit, die sie meinen

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GLOSSE

Konrad Paul Liessmann

26.02.2021

Freiheit, die sie meinen

Freiheit ist ein hohes Gut und deshalb stets bedroht. Was aber unter Freiheit verstanden wird und wann sie unter Druck gerät, ist keineswegs ausgemacht. Blickt man genauer hin, ergeben sich signifikante Unterschiede. Zurzeit wächst der Unmut über die Einschränkungen, die die Regierungen ihren Bürgern im Kampf gegen die Pandemie abverlangen. Der Verzicht auf die schrankenlose Freiheit der Bewegung, des Konsums und der sozialen Kontakte erscheint mittlerweile als ein zu hoher Preis für die Eindämmung einer Gefahr, deren Bedrohungspotenzial noch immer sehr unterschiedlich eingeschätzt wird. Dazu kommt das Gefühl, lange genug folgsam gewesen zu sein. Eigentlich sollte das Virus das allmählich anerkennen und endlich verschwinden. Da solche Affekte den Krankheitserreger wenig kümmern, lädt sich die Frustration an der Politik ab, so, als drangsalierte diese die Bürger aus Jux und Tollerei – was nicht bedeutet, dass man Regierungen nicht Fehler, Mängel und Inkonsistenzen vorwerfen könnte. Leider liegt es – so hören wir von den Virologen – im Wesen einer Pandemie, dass die Freiheit der Bürger die Infektionszahlen nach oben treibt. Aber wie frei ist eine Wissenschaft, die der Politik die Einschränkung der Freiheit empfiehlt?

Die Freiheit der Wissenschaft, selbst ein Grundrecht der modernen Gesellschaft, ist aktuell alles andere als unumstritten. Die Tendenz, dass sich die Wissenschaft zunehmend an politischen und moralischen Vorgaben orientiert und sich Wissenschafter nicht nur als Forscher, sondern auch als politische Akteure begreifen, ist unübersehbar. Max Webers berühmtes Postulat, Wissenschaften sollten „wertfrei“ agieren, wirkt ziemlich antiquiert angesichts der Versuchung, nicht nur etwas zu erkennen, sondern die Welt damit gleich ein wenig zu verbessern. Das führt rasch zur ideologischen Verzerrung von Forschungsfragen und Anwendungsstrategien und vor allem dazu, Positionen, die dem eigenen Weltbild widersprechen, nicht zu widerlegen, sondern zu „canceln“. An die Stelle des offenen Disputs tritt dann die soziale Ächtung.

Dankenswerterweise hat sich im akademischen Betrieb jüngst das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ gebildet, das solchen Entwicklungen entgegentreten will. Bezeichnend, dass den Proponenten sofort vorgeworfen wurde, nicht die Freiheit des Denkens, wohl aber die Privilegien von Professoren im Auge zu haben.

Der Zusammenhang von Freiheit und Privilegien wird an anderer Stelle allerdings enthusiastisch begrüßt: wenn es um die Vorteile geht, die Corona-Geimpfte genießen sollen. So plausibel diese Forderung ist, so zynisch ist sie in einem Land, in dem kaum ein Mensch die Möglichkeit hat, sich impfen zu lassen. Die im Moment unnötige Debatte über einen Impfpass und damit verbundene Vorrechte soll vom Impfdesaster, durch das der Mehrheit diese Freiheiten vorenthalten werden, ablenken. Diese zweifelhafte Haltung hat zumindest den Vorzug der Deutlichkeit: Freiheit wird zum Bonus für jene, die es ohnehin mit den Regeln, die sie anderen zumuten, nicht so genau nehmen.

Das Vertrackte an der Freiheit besteht darin, dass sie von Unfreiheit so schwer zu unterscheiden ist. Die Geschichte ist voll von Unterdrückungen im Namen der Freiheit, und nicht alles, was gegen eine Zumutung aufbegehrt, ist Ausdruck eines großen Freiheitsdrangs. Max von Schenkendorfs Gedicht „Freiheit, die ich meine“ wurde dann auch gerne zitiert – von ganz rechts bis ganz links. Vielleicht sollte man mit dem großen Wort Freiheit etwas sorgsamer umgehen. Aber Zurückhaltung ist in einer Gesellschaft, in der jeder der Erste sein will, keine Tugend mehr.

Zur Person: Konrad Paul Liessmann ist ein österreichischer Philosoph, Essayist und Kulturpublizist. Er ist Universitätsprofessor für „Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik“ an der Universität Wien. 

© Heribert Corn

Konrad Paul Liessmann in Wikipedia