Dies & Das: Ökonom Schulmeister: „Das Schlimmste kommt erst“

anfang

Ökonom Schulmeister: „Das Schlimmste kommt erst“

„Die Aktienkurse sind seit der Corona-Krise um 70 Prozent gestiegen. Ist das nicht verrückt?“, sagt Schulmeister im Interview.

© picturedesk.com / First Look / Günther Pichlkostner

Der Ökonom Stephan Schulmeister geht mit seiner Zunft hart ins Gericht: Er fordert eine Abkehr vom Finanzmarktfetisch und eine engagierte, aktive Covid-19-Krisenbewältigung.

Wiener Zeitung:Vor 100 Jahren endete die Spanische Grippe, eine Pandemie, die damals 20-50 Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Was kann man aus der Geschichte lernen?

Stephan Schulmeister: Ich halte die Unterschiede zwischen heute und den 20er Jahren für größer als die Parallelen – besonders in Europa. Der Hauptgrund liegt darin, dass nach dem Ersten Weltkriegs in Europa Welten – und zwar in allen Dimensionen – zusammengebrochen sind. Auf den Trümmern des zerstörten Finanzkapitals – Stichwort Hyperinflation – hat sich eine Haltung entwickelt, dass es nicht mehr schlimmer werden kann. Die Arbeiterbewegung hat viele Menschen politisiert. Die Menschen haben sehr aktiv an den Debatten der damaligen Zeit teilgenommen, waren auf den Straßen und haben für ihre Rechte demonstriert. Heute habe ich den Eindruck, dass die Menschen eher das dumpfe Gefühl haben, das Schlimmste kommt erst – ohne dass sie konkret wissen, wie dieses Schlimmste aussehen könnte. Und sie haben – zu Recht – den Eindruck, dass nicht nur sie, sondern auch die politischen Eliten die Orientierung im Prozess der gesellschaftlichen Entwicklung verloren haben. Dass diese Eliten gar nicht wissen, wohin die Reise geht und besonders, dass die Frage: „Wohin soll die Reise gehen?“ gar nicht mehr gestellt wird.

Die 20er waren aber auch die Zeit gesellschaftlicher und politischer Experimente. Wären die Voraussetzungen dafür auch heute gegeben?

Die Voraussetzung dafür ist gegeben, weil sich der Zweifel mit unglaublicher Stärke erhebt. Aber der Zweifel manifestiert sich vor allem in einer destruktiven Haltung gegenüber dem Bestehenden. Die Wochen im März – als der Welt die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie dämmerten – waren schon interessant. Was mich besonders frappiert hat, war die 180-Grad-Wende in der Rhetorik nahezu sämtlicher Macht- und Wirtschaftseliten innerhalb von zwei Wochen. 30 Jahre lang lautete das Mantra: Konkurrenzfähigkeit, Eigennutz, Eigenverantwortung, Sparpolitik – jetzt hieß es plötzlich: Zusammenstehen, Solidarität. Koste es, was es wolle. Selbst das Weltwirtschaftsforum – das Sprachrohr der transnationalen Konzerne – wird von WEF-Chef Klaus Schwab auf den großen Reset eingeschworen. Schwab sagt jetzt, dass man den Kapitalismus ganz neu denken muss. Das ist der Ausdruck des dumpfen Gefühls: „Wir können wirklich nicht mehr weitermachen wie bisher.“ Diesem Gefühl fehlt aber weitestgehend eine intellektuelle Analyse, was da in den letzten 50 Jahren eigentlich schiefgelaufen ist. Und diese Analyse fehlt unter anderem deswegen, weil man das Jahr 1989 nie wirklich verarbeitet hat. 1989 hat ja nicht dazu geführt, dass man sich stärker mit der Frage „wohin wollen wir gehen?“ beschäftigt hat. Im Gegenteil: 1989 brachte für den Neoliberalismus in der Praxis der Politik den Durchbruch. 1989 war die Konkurrenz der Systeme endgültig entschieden. Der liberale Kapitalismus hat obsiegt. Genau das meinte der US-Politikwissenschaftler Francis Fukuyama, als er vom „Ende der Geschichte“ sprach. Gleichzeitig begann die Neoliberalisierung der Sozialdemokratie. Somit gab es keine Alternative mehr zum Neoliberalismus. Und dieses Einknicken der Sozialdemokratie erwies sich als besonders verhängnisvoll, weil die Sozialdemokratie die Vertreterin für jene Werte hätte sein müssen, die Europa in fast 150 Jahren geschaffen hat – insbesondere in Gestalt des Sozialstaats, der ja eine europäische Erfindung ist. Aber was ist stattdessen geschehen? Genau dieser Sozialstaat wurde durch die Politik von Sozialdemokraten geschwächt. Es wurde die Krise 1989 nicht für einen weiteren Fortschritt genützt, sondern 1989 brachte für Westeuropa letztlich einen Rückschritt. Und dieses Zurückschlittern sollte dann 30 Jahre – bis heute! – andauern. Die Finanzkrise 2008 brachte auch keinen Nachdenkprozess in Gang, denn darauf wurde reagiert, als hätte man lediglich einen sanften Klaps auf den Hinterkopf bekommen.

2008 war das Geburtsjahr von Occupy Wall Street. Nährte die Lehman-Pleite samt nachfolgender Finanzkrise 2008 nicht Zweifel am System?

Ich erinnere mich sehr gut, wie innerhalb dieser sechs Monate zwischen September 2008 – Lehman-Pleite – und März 2009 die Politik zur Meinung gelangte: „Wir können nicht weitermachen wie bisher.“ Damals sind reihenweise Artikel erschienen – selbst in der konservativen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ mit der Stoßrichtung: „Der Neoliberalismus ist am Ende!“ Aber genau diese Erfahrung von Damals ist mir heute ein Warnsignal, weil sie mir zeigt, dass eine Weltanschauung, die Jahrzehnte lang Zeit hatte, um sich in den Köpfen der Eliten einzunisten, dann nicht so einfach über Bord geworfen wird. Über 30 Jahre wurde an den Universitäten nur mehr eine Art von Wirtschaftswissenschaft gelehrt – die der Neoliberalen. Jene, die durch diese Schule gegangen sind, sitzen heute in der Europäischen Kommission und haben Regierungs- und Spitzenpositionen inne. Die tun sich nun sich schwer mit diesem Zweifel, der auch sie nun erfasst hat und dem Mangel an Analyse, was denn die konkreten Ursachen dafür sind, dass wir in Europa 25 Jahre lang Vollbeschäftigung hatten, die Staatsverschuldung gesunken ist und der Sozialstaat ausgebaut wurde und dann plötzlich, nach dem Drehen vom sozialdemokratischen Modell zum neoliberalen Modell die soziale Ungleichheit zugenommen hat, atypische Beschäftigungsverhältnisse im Vormarsch waren und die Staatsverschuldung gestiegen ist.

Dazu kommt nun das Bewusstsein der nahenden Katastrophe – der Erderwärmung. Das ist das Wesen dieses Zwischenzustandes: Man erahnt, dass es in eine andere Richtung gehen muss.

Sie malen ein düsteres Bild. Sehen Sie irgendwo…

… Hoffnung? Ja. Der European Green Deal oder der Next-Generation-EU-Fund – das sind Zeichen der Hoffnung und des Umdenkens.

Es gibt aber ein weiteres Problem: Man reagiert auf die Wirtschafts-Krise mit einer noch nie dagewesenen Geldspritzen-Politik. Doch so wie das derzeit gemacht wird, bringt das wenig. Es ist eine alte Weisheit, dass man in einer Krise das Geld dorthin stecken muss, wo die reale Nachfrage durch einen solchen Stimulus steigt. Was macht man stattdessen? Man steckt einem wohlsituierten Tiroler Hotelier unter dem Titel „Fixkostenzuschuss“ eine halbe Million Euro zu. Das ist zwar sicher gut für dessen Nerven, wird aber die Tiroler Wirtschaft null stützen, weil der gute Mann völlig zu Recht in der jetzigen Situation keine Investitionsprojekte angehen wird.

Was hätte man Ihrer Meinung nach stattdessen tun sollen?

Wenn man das Lippenbekenntnis des Green Deal bereits mit Ausbruch der Krise in konkrete Projekte übersetzt hätte, dann wäre mit dem Ausbruch der Krise folgendes passiert: Die österreichische Bundesregierung – in der ja auch Grüne sitzen – hätte in einer Pressekonferenz verkündet, dass der gesamte Gebäudebestand in Österreich innerhalb von 10 Jahren energetisch saniert wird. Mit der Kombination von Wärmedämmung, Photovoltaik, Wärmepumpen und Stromspeicher hätte man die Abhängigkeit von Energieimporten drastisch verringert und die CO2-Bilanz Österreichs stark verbessert. Das wiederum hätte zu einem deutlichen Wachstumsschub geführt – pro Jahr um bis zu 2,5 Prozentpunkte. Das Schöne daran: Diese Investitionen wären flächendeckend – von Vorarlberg bis ins Burgenland. Die regionale Wirtschaft würde kleinräumig stimuliert und Österreich würde einen Beitrag zur Bekämpfung der Erderwärmung leisten. Und dieses Projekt würde sich selbst finanzieren: Anstatt für Energieimporte zu zahlen, zahlt man die Investitionen in die Anlagen zur Produktion der erneuerbaren Energieträger. Es fehlt aber bisher ein bundesweiter, umfassender Plan für die Implementierung der vier Komponenten – Wärmedämmung, Photovoltaik, Wärmepumpen und Stromspeicher – stattdessen gibt es in den neun Bundesländern unterschiedliche Förderinstrumente. So wird das nichts werden mit einem österreichischen Green New Deal.

Das führt mich zum nächsten Gedanken: Die Politik hat sich nach 30 Jahren Neoliberalismus selbst entmächtigt und entmündigt. Die Politikerinnen und Politiker kommen gar nicht mehr auf die Idee zu sagen: Jetzt sind wir dran! Außer die Populisten vom Typus Donald Trump – und das war in den 1930er Jahren ja auch so.

Sehen Sie Bedingungen für Roaring 2020ies?

Unmöglich ist es nicht. Aber: Für einen Kurswechsel braucht man eine Standortbestimmung. Für eine Standortbestimmung braucht man eine Analyse. Danach braucht es so etwas wie eine Navigations-Karte. Aber: Diese Navigations-Karte gibt es nicht. Ich verstehe auch nicht, dass man auch in dieser Situation wieder zum Navigationskarten-Ersatz des Neoliberalismus greift, statt darüber nachzudenken, wie man neue Wege gehen kann. Man unterwirft sich den Marktkräften in der Hoffnung, dass die unsichtbare Hand einen schon irgendwohin führen wird – das ist doch absurd! Aber: So grotesk können die Entwicklungen auf den Märkten gar nicht sein, dass man weiter unerschrocken den Marktfundamentalisten hinterhermarschiert. Seit dem Ausbruch der Corona-Krise sind die Aktienkurse weltweit um 70 Prozent gestiegen. Um 70 Prozent! Und das in der größten Wirtschaftskrise der jüngeren Geschichte! Ist das nicht verrückt?

Wie kam es dazu?

Die Notenbanker sind Ende Februar, Anfang März 2020, als die Kurse im freien Fall waren, in Panik geraten. Sie waren in – durchaus berechtigter – Sorge, dass sich der Crash von 1929 wiederholen könnte. Also haben sie gegengesteuert. Aber die Notenbanken sind mittlerweile zu Gefangenen ihrer eigenen Finanzmarkt-Liberalisierungs-Philosophie geworden. Denn man kann die Finanzmärkte nicht im Geringsten steuern. Die Zentralbanker konnten einen Crash verhindern, indem sie Wertpapiere gekauft haben. Damit haben sie aber den Spekulanten das Signal gegeben, dass sie wieder risikolos auf steigende Kurse setzen können. Die Botschaft war: „Was immer ihr treibt, wir werden euch retten!“ Doch das bekam eine irrwitzige Eigendynamik. Ein groteskes Beispiel: Die Bitcoins der Welt repräsentieren heute einen Wert von fast 1.000 Milliarden Dollar (830 Mrd. €). Da ist doch etwas faul, denn das entspricht ja der gesamten Wirtschaftsleistung eines Jahres von Österreich und Dänemark zusammengenommen. Karl Marx würde von fiktivem Kapital sprechen. Das dritte Beispiel wären die jüngsten Exzesse um den Aktien-Titel Gamestop an der New York Stock Exchange. Mein Fazit: Alle Phasen, in denen sich die Finanzmärkte eine Zeitlang völlig frei entfalten konnten, endeten mit riesigen Crashs. Egal ob 1873, 1921 oder 2008. Und 2008 – das ist meine Prognose – war nur das Vorspiel. Angesichts dieser Exzesse könnte man jetzt mit einer systemkonformen Sache wie einer Finanztransaktionssteuer ein wenig Sand ins Getriebe streuen und damit an erhebliche Finanzmittel, die man ohnehin für die Finanzierung des Next Generation EU-Fonds, kommen. Aber selbst das wird derzeit nicht ernsthaft in Erwägung gezogen.

Wenn Sie aus dem der aktuellen Situation ein wenig herauszoomen, welches Bild erkennen Sie?

Wir sind in einer prekären Übergangsphase. Das Alte funktioniert nicht mehr und das Bewusstsein, dass es so nicht mehr weitergeht, nimmt zu. Aber das heißt noch lange nicht, dass das Neue gefunden ist. Da fehlt es an den elementarsten Vorarbeiten für einen Systemwandel. Die Linken und die Sozialdemokratie haben ihre Zeit nicht genützt, systematisch eine Gegen-Theorie zum real existierenden Neoliberalismus aufzubauen. Ich spreche von der harten Knochenarbeit, an der Fragestellung zu arbeiten: Wie lässt sich der Kapitalismus bändigen? Denn zähmen lässt er sich nicht. Ein wildes Tier kann man auch nicht zähmen, aber bändigen kann man es. Genau das ist in den 50er und 60er Jahren gelungen. Bändigen heißt, dass man erkennt, dass der Kapitalismus eine unglaubliche Dynamik hat. Wenn es gelingt, das Profitstreben als die elementare Antriebskraft des Kapitalismus nur auf die Turbine der Realwirtschaft zu lenken, dann wäre viel geschafft. Wenn man signalisiert: Auf den Finanzmärkten ist nichts zu holen, denn es gibt feste Wechselkurse, niedrige Zinssätze, dann würden die Aktienbörsen schlafen und die Rohstoffpreise bleiben relativ stabil. Dann gäbe es auf dem Börsenparkett nichts zu holen. Kapital ist ein flexibles, aber gefräßiges Viech, das dorthin geht, wo es was zu fressen gibt. Das ist übrigens einer der wichtigsten Gründe für den Aufstieg von China, dass nämlich die Volksrepublik China seit vierzig Jahren real-kapitalistisch organisiert ist. Das wird oft übersehen. China will die Welt im Bereich der Realwirtschaft – und nicht der Finanzwirtschaft – erobern. Genau darum ist China auf der Überholspur – und wird das auch bleiben. Das kann leider bis hin zu einem Krieg führen, denn die Geschichte hat gezeigt, dass sich die Hegemone nicht so mir nichts, dir nichts von ihren Nachfolgern vom Thron stoßen lassen.

Sehen Sie heute Parallelen zu 1929?

Wenn soziale Ungleichheit, Ungerechtigkeit und damit auch die Gefühle der Verbitterung von Menschen langsam zunehmen, wenn ihnen das Wasser immer näher zum Hals steigt, das aber ganz langsam geht, dann passen sich viele Menschen an, gehen auf Zehenspitzen, recken die Hälse, versuchen hochzuklettern. In Deutschland erschien nach dem Crash der Roman von Hans Fallada: „Kleiner Mann, was nun?“ – und wurde zum Bestseller. Dieser Roman zeigte eine ungerechte Welt, war aber nicht im strengen Sinne politisch. Aber die Menschen wurden in der Krise politisiert. In den USA war die Lage nach dem Börsenkrach von 1929 ebenfalls dramatisch. In so einer Situation kamen dort aber Persönlichkeiten wie Franklin Delano Roosevelt zum Zuge. In Deutschland haben bekanntlich ganz andere politische Kräfte ihre Chance ergriffen. Ich fürchte: Die Krise wird sich vertiefen. Und dann gibt es eine Chance auf ein Umdenken.

Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Weil es für ein Umdenken neue Verbündete gibt. Es gibt die drohende Klimakatastrophe. Diese Situation wird die Politik immer mehr unter Druck setzen. Es gibt auch noch recht seltsame weitere „Verbündete“: Nämlich die Rechtspopulisten. Die aufgeklärten Teile der Eliten – auch der konservativen – könnten endlich verstanden haben, wohin Austeritätspolitik führt und könnten auch verstanden haben, dass man mit Rechtspopulisten und Rechtsextremisten keine Politik machen kann. Sie haben hoffentlich die Lektion von 1933 gelernt. Das Bedrückende: Es müssten wieder – wie Phönix aus der Asche – Persönlichkeiten in der Politik auftauchen, die über politische Visionen, Phantasie und Format verfügen und die mit den Menschen in einer Sprache kommunizieren können, wie Bruno Kreisky, Olof Palme oder Willy Brandt sie beherrschte. Ich spreche von einer empathischen Politik, wo die Menschen spüren, das ist keine PR-Masche, um die nächste Wahl zu gewinnen, sondern die Politikerin oder der Politiker sind von wahrer Anteilnahme getrieben, er oder sie will das Land und die Welt verbessern.

Was erwarten Sie nun kurzfristig?

Sehr schwer zu sagen. Nach 40 Jahren von Prognosedesastern bin ich sehr vorsichtig geworden und denke eher in Möglichkeitsräumen.

Und welche Möglichkeitsräume sehen Sie?

Da wäre einerseits das Durchwurschtel-Szenario: Wenn die Pandemie tatsächlich eines Tages überwunden sein wird, dann wird natürlich wieder mehr gereist werden, die Menschen werden wieder ins Café gehen, ins Wirtshaus. Aber diese Art von Euphorie, die sich in den 1920ern auf den Trümmern untergegangener miefiger Monarchien, nach dem Ende eines mörderischen Krieges und nach dem Ende der Pandemie entwickelt hat – das wird es in den 2020ern nicht geben. Dieses Mal ist die Welt – noch – nicht untergegangen. Ja, es gibt es das nagende Gefühl, dass da noch etwas passieren könnte. Ja, die Menschen hat das Gefühl ergriffen, dass die, die regieren auch keine so richtige Vorstellung davon haben, wohin die Reise gehen soll. Und daher wird die Überwindung der Pandemie allein zu keinem kräftigen Aufschwung führen. Weil eben das nächste große Problem – die drohende Klimakatastrophe – schon auf uns wartet. Auch auf den Finanzmärkten sind die Dinge noch nicht ausgestanden, es wird auch dort noch zu beträchtlichen Turbulenzen kommen. Und wenn das passiert, dann lösen sich Milliarden von Pensionsansprüchen über Nacht in Luft auf. Zumindest in jenen Ländern, die kein umlagebasiertes, sondern ein finanzmarktbasiertes Pensionssystem haben.

Haben sie auch ein optimistisches Szenario?

In dem von mir skizzierten Durchwurschtel-Szenario gibt es die Möglichkeit für einen Traum der Umsetzung des European New Green Deal. Es gibt den Traum, dass man erkennt, dass der Staat im Bereich der Bereitstellung öffentlicher Güter eine viel größere Aufgabe hat, als man bislang glaubte – im Gesundheitssystem, in der Infrastruktur, im Bildungswesen, im Sozialsystem. Es gibt den Traum, Menschen wieder aktiv in Arbeit zu bringen und den sozialen Zusammenhalt wieder zu stärken. Das wäre mein Traum-Szenario.

Zur Person: Stephan Schulmeister ist Ökonom und Jurist. Er war viele Jahre beim Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) beschäftigt und ist Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschien „Der Weg zur Prosperität„, Ecowin-Verlag, 2018.