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Empörung in der Justiz über Angriffe des Kanzlers auf Korruptionsankläger

Richter, Staatsanwälte und namhafte Juristen stellen sich hinter die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Sie sprechen von „unangebrachten Vorwürfen“ und „gefährlichem“ Verhalten von Sebastian Kurz

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Kanzler Sebastian Kurz sprach von „zahlreichen Verfehlungen“ in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft.

Wien – In der Justiz herrscht seit Montagabend helle Aufregung. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hatte zuvor in einer Pressekonferenz, eigentlich zum Thema Lockdown, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) angegriffen. Konkret formulierte er in Bezugnahme auf die Anklagebehörde: „Es hat so viele Verfehlungen gegeben, dass ich glaube, dass es dort dringenden Änderungsbedarf gibt.“ Die Korruptionsanwaltschaft ermittelt derzeit gegen Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), einen engen Vertrauten von Kurz.

Richter, Staatsanwälte sowie namhafte Juristen stellen sich nun hinter die Anklagebehörde und wehren sich gegen die Anschuldigungen.

„Der Vorwurf des Fehlverhaltens ist völlig unangebracht und zurückzuweisen“, sagt Sabine Matejka, Präsidentin der österreichischen Richtervereinigung, zum STANDARD. „Dass eine Staatsgewalt eine andere Staatsgewalt auf eine solche Art anschwärzt, würde man sich in einem Land wie Österreich eigentlich nicht erwarten.“ Jeder Beschuldigte, auch der Finanzminister, habe das Recht auf eine gerichtliche Überprüfung der Maßnahmen einer Staatsanwaltschaft, erklärt Matejka. „Aber diese inhaltliche Kontrolle ist die Aufgabe der unabhängigen Gerichte, nicht der Politik.“

„Entrüstung“ der Staatsanwälte

Ähnliches ist von der Präsidentin der Vereinigung österreichischer Staatsanwälte zu hören: „Diese pauschalen Unterstellungen durch den Kanzler sorgen bei uns für Entrüstung“, sagt Cornelia Koller.

Kurz hatte Beispiele für Fehler der Korruptionsstaatsanwaltschaft angeführt – etwa die rechtswidrige Hausdurchsuchung im Bundesamt für Verfassungsschutz (BVT) und die Anzeige gegen eine Journalistin. „Die Hausdurchsuchung im BVT war nicht korrekt, aber das wurde analysiert und aufgearbeitet“, sagt Koller. Die Anzeige gegen die Journalistin wertet auch sie als Grenzüberschreitung, die aber von der Staatsanwaltschaft Wien sofort korrigiert worden sei. Zu einem Verfahren kam es nie. „Das zeigt doch, dass das System funktioniert – und nicht das Gegenteil“, erläutert Koller. „Bei den Vorwürfen stimmen die Fakten nicht.“

Und in Bezug auf die Causa Blümel betonen Koller wie auch andere Staatsanwälte, mit denen DER STANDARD gesprochen hat: „Ein Skandal wäre es, wenn eine Staatsanwaltschaft Vorwürfe gegen einen Finanzminister nicht prüfen würde – egal, was schlussendlich dabei herauskommt.“

Mayer: Angriff des Kanzlers „schamlos und gefährlich“

Der Verfassungsjurist Heinz Mayer geht noch einen Schritt weiter: Dass ein Kanzler eine Staatsanwaltschaft angreife, „weil ein Freund von ihm mit ihr Kontakt hat“, bezeichnet er als „schamlos, durchsichtig und gefährlich“. Denn dadurch werde eine unabhängige Behörde delegitimiert. „Gerade Spitzenpolitiker müssen sich hier zurückhalten“, sagt Mayer. Den immer wieder aufkommenden Vorwurf der parteipolitischen Motivierung der Korruptionsankläger hält er für aus der Luft gegriffen: „Fast alle Staatsanwälte der WKStA sind unter ÖVP-Ministern ernannt worden.“

Auch Koller hält fest: „Ich arbeite seit 14 Jahren als Staatsanwältin, seit zehn Jahren in der Standesvertretung, und habe in der Zeit gesehen, dass Politiker aus allen Parteien schon drangekommen sind.“

Die Justiz – aber insbesondere die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft – ist in den vergangenen Jahren immer wieder in negativem Zusammenhang in den politischen Fokus gerückt worden. In Justizkreisen sorgt das auch ganz generell für Unwohlsein. Ein hochrangiger Vertreter der Justiz sagt dazu: „Inmitten dieser bedenklichen Entwicklung kann man die Äußerungen des Kanzlers als Höhepunkt bezeichnen.“

Unabhängiger Bundesstaatsanwalt wird begrüßt

Gleichzeitig wird in der Justiz die Ankündigung begrüßt, dass nun ein Bundesstaatsanwalt etabliert werden soll. Grüne und SPÖ fordern seit Jahrzehnten, dass eine solche unabhängige Person an der Spitze der Weisungskette stehen soll anstatt des Justizministers. Die ÖVP hatte sich immer dagegen gewehrt, am Montag ist Kurz dann umgeschwenkt.

Auch Matejka ist über den Schritt erfreut, stellt aber klar: Über die konkrete Ausgestaltung des Amts müsse noch viel diskutiert werden, damit die Unabhängigkeit in der Funktion dann auch wirklich gewährleistet sei. „Einmischung der Politik in laufende Verfahren muss ausgeschlossen werden“, sagt die Präsidentin der Richtervereinigung. (Katharina Mittelstaedt, 16.2.2021)

Das sagen die Anderen…