Dies & Das: Der Mensch lässt die Erdachse kippen

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Der Mensch lässt die Erdachse kippen

Das Schmelzen der polaren Gletscher und die Umverteilung von Wasser auf den Kontinenten beeinflussen die Polwanderung

Das System Erde kippt – und zwar auch ganz buchstäblich.
Foto: Nasa

Welchen grundsätzlichen Einfluss das Klima auf das Erdsystem hat, verrät ein Blick auf die Folgen des globalen Eisverlustes: Das Schmelzen der Gletschermassen an den Polen hat in den 1990er-Jahren möglicherweise sogar die Position der Erdachse verändert, wie Forscher in einer aktuellen Studie berichten.

Der Äquatorradius der Erde ist um rund 21,4 Kilometer größer als die Entfernung der Pole vom Erdmittelpunkt. Diese Abplattung der Erdkugel bewirkt in Wechselwirkung mit Sonne und Mond eine Kreiselbewegung der Erdachse, die sogenannte Präzession. Abgesehen davon ist aber auch die Rotationsachse selbst keineswegs stabil, sondern in ständiger Bewegung: Die Ekliptik, derzeit um 23,45° Grad geneigt, wird gleichsam immer schiefer – und zwar um rund zehn Zentimeter pro Jahr. Forscher vermuten, dass unter anderem die Verteilung des Wassers über den Globus diese Drift antreibt.

Veränderter Wasserhaushalt

Diese Annahme wird nun durch eine Untersuchung in den „Geophysical Research Letters“ untermauert: Ein Team um Shanshan Deng von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking konnte die zusätzliche Menge an Süßwasser aus den abschmelzenden Gletschern und eine Umverteilung von terrestrischem nicht-polarem Wasser mit einer Richtungsänderung der Polarwanderung während der 1990er-Jahre in Zusammenhang bringen.

1995 verschob sich die Richtung der Polardrift von Süd nach Ost; darüber hinaus stieg die durchschnittliche Driftgeschwindigkeit zwischen 1995 und 2020 gegenüber den vorangegangenen 15 Jahren um das 17-Fache. „Das schnellere Schmelzen der Eismassen infolge der globalen Erwärmung war die wahrscheinlichste Ursache für die Veränderung der Polardrift in den 1990er-Jahren“, sagte Deng.

Das Schmelzen der Gletscher wurde Mitte der 1990er-Jahre zur Hauptursache dafür, dass die Erdpole gleichsam plötzlich mit einer Geschwindigkeit von 3,28 Millimeter pro Jahr in Richtung 26 Grad Ost drifteten.
Grafik: Deng et al (2021) Geophysical Research Letters/AGU

Seit 2002 beobachten Wissenschafter mithilfe von Daten der Mission Gravity Recovery and Climate Experiment (Grace) die Polverschiebungen und ihre möglichen Ursachen. Das von der Nasa und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt unterhaltene Satellitenprojekt sammelt Informationen über ungleichmäßige Änderungen der Schwerkraft an verschiedenen Punkten der Erdoberfläche.

Bedeutung unterschätzt

Bereits frühere Arbeiten haben aus den Grace-Daten geschlossen, dass Veränderungen bei der Wasserspeicherung an Land zumindest ein Faktor bei der Poldrift sein dürfte. Die Autoren der neuen Studie glaubten nun allerdings, dass dieser terrestrische Wasserverlust die Hauptursache für die Verschiebungen in den letzten zwei Jahrzehnten ist – also dass der indirekte Einfluss des Menschen unterschätzt worden war.

Auf Basis einer Neuberechnung des gesamten Wasserverlusts an Land in den 1990er-Jahren, also vor Beginn der Grace-Mission, kommen die Forscher zu dem Schluss, dass die Masseverschiebung durch die Kombination von polarer Gletscherschmelze der Wasserverlust in nichtpolaren Regionen ausreicht, um die festgestellte Polardrift zu verursachen. (tberg, 2.5.2021)

Studie:

Geophysical Research Letters: „Polar Drift in the 1990s Explained by Terrestrial Water Storage Changes.“

Nachlese:

Das sagen die Anderen…