Dies & Das: Wenn der Klimawandel die Antarktis ergrünen lässt

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Unabsehbare Folgen

Susanne Strnadl

14. Februar 2021

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Wenn der Klimawandel die Antarktis ergrünen lässt

Die Erwärmung könnte der Antarktis ein neues Gesicht geben. Internationale Forscher untersuchten, was auf Flora und Fauna zukommt

Flechten und Moose – die nahezu einzige Vegetation auf dem antarktischen Kontinent – breiten sich immer weiter aus.
Foto: Claudia Colesi

Es ist der fünftgrößte Kontinent der Erde, und doch ist bis auf Forschende kaum ein Mensch dort zu finden. Die Antarktis ist das Land der Pinguine, der Robben, der Wale. Als Antarktis wird das gesamte Gebiet südlich von 60 Grad südlicher Breite bezeichnet.

Dazu gehört nicht nur der antarktische Kontinent mit der rund eineinhalbfachen Größe von Europa, sondern auch die in dem Gebiet liegenden Inseln, Schelfeisflächen und das Meer. Die Landfläche ist fast vollständig mit Eis bedeckt, das eine Dicke von knapp 5000 Metern erreichen kann.

„Bei einer Erwärmung des Meeres um drei Grad sind viele Antarktis-Arten tot“, sagt der Meeresbiologe Julian Gutt.
Foto: AWI / Kerstin Rolfes

Die winterlichen Durchschnittstemperaturen betragen im Landesinneren minus 60 bis minus 70 Grad Celsius und steigen im Sommer nicht weiter als auf minus 40. An den Küsten ist es vergleichsweise warm: Hier werden im Winter im Mittel minus 20 bis minus 30 Grad gemessen und im Sommer minus 25 bis null.

Bei solchen Werten scheint es vernachlässigbar, dass sich der Kontinent in den letzten 50 Jahren pro Jahrzehnt um etwa 0,5 Grad erwärmt hat, aber der Klimawandel macht auch vor der Antarktis nicht halt – er könnte im Gegenteil durchaus dramatische Auswirkungen haben.

Potenzielle Gefahren

In einem internationalen Großprojekt mit dem Titel AnT-ERA (Antarctic Thresholds – Ecosystem Resilience and Adaptation) haben 25 Wissenschafterinnen und Wissenschafter unter der Leitung des deutschen Alfred-Wegener-Instituts (AWI) zusammengetragen, was man derzeit über die Auswirkungen des Klimawandels auf Biologie und Biochemie der Antarktis sagen kann.

Zu diesem Zweck haben sie hunderte Fachartikel zu dem Thema durchforstet, die in den letzten zehn Jahren veröffentlicht wurden, und die Ergebnisse in zehn Kernthemen zusammengefasst, darunter Ozeanversauerung, Klimawandel-Hotspots, Verschiebung von Verbreitungsgebieten, Anpassungen an Hitze und Kälte und Umweltverschmutzung. Darin zeichnen sich eine Menge potenzielle Gefahren für den sechsten Kontinent ab.

See-Elefanten sind von den marinen Nahrungsnetzen abhängig, die stark vom Klimawandel betroffen sind.
Foto: Ryan Reisinger

Besonders interessant ist die Frage, ob die Antarktis in puncto Kohlendioxid im Zuge steigender Temperaturen eher als Quelle oder als Senke agieren wird. Allerdings: „Ganz einheitliche Trends gibt es dazu nicht“, wie AnT-ERA-Koordinator und Meeresbiologe Julian Gutt vom AWI erklärt.

Das Problem: Zwischen West- und Ostseite des Kontinents gibt es deutliche klimatische Unterschiede, und die Antarktische Halbinsel, also der 1200 Kilometer lange Zipfel, der sich in Richtung Südamerika erstreckt, ist überhaupt anders: Aufgrund eines riesigen stabilen Tiefdruckgebietes ist die Erwärmung dort deutlich ausgeprägter als der globale Mittelwert.

Weniger Meereis, mehr Algen

Zu den großklimatischen Faktoren kommen zahlreiche andere hinzu, wie lokale Eisbedeckung und Windverhältnisse, aber auch biotische Einflussgrößen wie Zusammenhänge der Nahrungsnetze und innerartliche Konkurrenz. Sie alle spielen eine Rolle dabei, dass dieselben Prozesse an jeweils anderen Orten unterschiedliche Folgen haben können.

So gehen die Wissenschafter weitgehend davon aus, dass ein Rückgang des Meereises das Wachstum von Algen begünstigt, da diesen dann mehr Licht zur Verfügung stünde. Da für dieses Wachstum Kohlenstoff notwendig ist, würden die Algen vermehrt CO2 binden. So weit, so wünschenswert, aber wie geht es mit dem solcherart gebundenen Kohlendioxid weiter?

Wie Gutt ausführt, gibt es im Großen und Ganzen zwei Szenarien: Die Algen können auf den Meeresboden sinken und dort Jahrmillionen bleiben, womit das CO2 auf lange Sicht unschädlich gemacht wäre – oder aber von anderen Organismen zersetzt werden, sodass der in ihnen enthaltene Kohlenstoff innerhalb weniger Wochen oder Monate wieder in Umlauf wäre.

Was unter welchen Umständen wirklich eintritt, ist ungeklärt. „Wir haben hier eine ganz große Komplexität“, wie Gutt zu bedenken gibt. Es gibt sogar Gebiete, in denen sowohl das Meereis als auch die Algen zurückgehen. Auf jeden Fall wurde in den letzten drei bis vier Jahren ein Rekordminus des Meereises beobachtet, nachdem es bis dahin im Mittel über die ganze Antarktis gewachsen war. Wodurch die plötzliche Umkehr bewirkt wurde, weiß man bisher nicht.

Dieser vielarmige Seestern lebt nur unter dem Schelfeis und in der Tiefsee. Da das Schelfeis klimabedingt zerbricht, ist das Überleben solcher Arten in der Antarktis gefährdet.
Foto: MARUM / Alfred-Wegener-Institut

Die einschneidendsten Veränderungen dürfte der Klimawandel in der Antarktis aber auf dem Gebiet der Biodiversität bewirken. Die dort ansässigen Arten sind so perfekt an die extreme Kälte angepasst, dass sie schon bei vergleichsweise geringer Erwärmung an die Grenzen ihrer physiologischen Möglichkeiten stoßen.

Speziell angepasste Tiere

So wird das Eismeer, das das ganze Jahr über eine Temperatur von knapp minus zwei Grad Celsius aufweist, unter anderem von Eisfischen besiedelt. Fische sind wechselwarm, das heißt, ihre Körpertemperatur schwankt normalerweise mit der der Umgebung. Das Blut der Eisfische enthält jedoch spezielle Frostschutz-Proteine, die die Eisbildung im Körper verhindern. Gleichzeitig fehlen ihm rote Blutkörperchen, wodurch es dünnflüssiger wird und die Organe trotz der Kälte noch mit Sauerstoff versorgen kann.

So spezielle Anpassungen erlauben ihren Trägern gewöhnlich keine größeren Abweichungen: „Bei einer Erwärmung des Meeres um drei Grad sind viele Antarktis-Arten tot“, sagt Gutt. Das gilt übrigens auch für den Kaiserpinguin: Er dürfte bei steigenden Temperaturen vom Aussterben bedroht sein.

Schwierig könnte sich die Zukunft auch für Lebewesen gestalten, die Kalkschalen ausbilden, wie Muscheln und Schnecken. Da zwischen Luft und Ozean nämlich ein permanenter Gasaustausch stattfindet, nimmt bei steigendem Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre auch die CO2-Konzentration in der Oberfläche der Meere zu. Dadurch wird das Meerwasser, das mit einen durchschnittlichen pH-Wert von 8,2 eigentlich leicht basisch ist, weniger basisch bzw. saurer.

Verlierer und Gewinner

Seit dem Beginn der industriellen Revolution sind die Meere um fast 30 Prozent saurer geworden. Da sich Kohlendioxid in kaltem Wasser besonders gut löst, schreitet die Ozeanversauerung vor allem in den Polarregionen voran. Das könnte schon in den nächsten Jahrzehnten im Arktischen Ozean zu einem Mangel an Aragonit führen, einem wichtigen Baustoff für Kalkschalen. Diese können dadurch dünner werden oder sich im Extremfall ganz auflösen, was ihre Besitzer unter anderem anfälliger gegenüber Fressfeinden macht.

Neben Verlierern wird es aber auch Gewinner des Klimawandels geben: Bis zum Ende des Jahrhunderts wird damit gerechnet, dass die eisfreie Fläche auf dem Festland um ein Viertel zunimmt. Damit entstünde Lebensraum für diverse Bakterien, Flechten und Moose, die bisher nicht Fuß fassen konnten. Endemische Flechtenarten haben hingegen wenig Anpassungspotenzial. Die Wissenschafter rechnen damit, dass sich in den kommenden Jahrzehnten das Ergrünen eisfreier Küstengebiete während des Südsommers verstärken wird.

Regionen unter Schutz stellen

Auch im Meer ist mit einer Ausbreitung mancher Krill-Arten und anderer Arten tierischen Planktons zu rechnen, während andere abnehmen dürften – mit entsprechenden Folgen für die von ihnen abhängigen Nahrungsnetze.

Königspinguine leben am Rand der Antarktis und reagieren damit sensibel auf Umweltveränderungen.
Foto: Ryan Reisinger

Die Bestände der hauptsächlich auf der Antarktischen Halbinsel lebenden Zügel- und Eselspinguine haben in den letzten Jahren zugenommen, während die um den Südpol vorkommenden Adeliepinguine im Rückgang begriffen sind. Bei einer andauernden Erwärmung werden jedenfalls die an extrem tiefe Temperaturen angepassten Arten das Nachsehen haben.

„Wir rechnen damit, dass sich solche Arten in die letzten verbliebenen sehr kalten Bereiche der Antarktis zurückziehen werden“, sagt Gutt. „Das heißt auch, dass man diese Regionen wird unter Schutz stellen müssen, um diese Arten zu erhalten.“

Antarktische Miesmuscheln

Wenn die Antarktis weniger lebensfeindlich wird, ist aber nicht nur mit der Arealausweitung „benachbarter“ Spezies zu rechnen, sondern es steigt auch die Gefahr invasiver Arten. Pro Jahr dringen rund 180 Schiffe auf mehr als 500 Fahrten in die Antarktis vor, was das Risiko erhöht, dass Pflanzensamen oder wirbellose Tiere unbemerkt eingeschleppt werden.

Für den Großteil der potenziellen Eindringlinge dürfte die Antarktis zwar weiterhin keinen passenden Lebensraum bieten, aber einige wenige, wie verschiedene Miesmuscheln, könnten sich in nächster Zeit vor allem im Gebiet der Antarktischen Halbinsel dauerhaft etablieren.

Auch wenn zuverlässige Prognosen noch nicht möglich sind, hat AnT-ERA eines auf jeden Fall ergeben: „Nach den Fortschritten der letzten zehn Jahre wissen wir zwar noch lange nicht alles“, sagt Gutt, „aber wir wissen zumindest, wo wir genauer hinschauen müssen.“(Susanne Strnadl, 14.2.2021)

Biological Reviews: „Antarctic ecosystems in transition – life between stresses and opportunities“

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