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Globale Erwärmung

INTERVIEW: Julia Sica

29. Mai 2021

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Klimawissenschafter: „Wir müssten schon Negativemissionen erzeugen“

Beim Klimaschutz kommt es vor allem auf politischen Willen an, sagt Michael Obersteiner, der zu den 30 einflussreichsten Klimaforschenden zählt

Influencer gibt es auch in der Forschungsgemeinschaft, selbst wenn sich diese nicht immer in sozialen Netzwerken engagieren. Der Versuch, die einflussreichsten Klimaforscherinnen und -forscher festzustellen, wird ab jetzt jährlich mit der „Reuters Hot List“ unternommen. In dem Ranking ist weit vorn, wer in drei Aspekten hohe Werte erzielt.

Der erste ist die Anzahl der veröffentlichten Arbeiten einer Person, die sich in Titel oder Kurzzusammenfassung auf Klimawandel und verwandte Begriffe beziehen. Beim zweiten geht es darum, wie oft diese Arbeiten im Verhältnis zu anderen Papers im Forschungsfeld im selben Jahr zitiert wurden. Zuletzt floss in die Bewertung mit ein, wie häufig die Arbeiten etwa in öffentlichen Strategiepapieren, Mainstream- und sozialen Medien zitiert wurden.

Besonders gut schneidet das österreichische Internationale Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) ab, das auch in anderen Rankings, etwa zu den meistzitierten Forschenden, hervorsticht. Platz eins geht 2021 an den Leiter Keywan Riahi, Platz sechs an Ressourcenforscher Petr Havlík. Michael Obersteiner, der bis vor kurzem ebenfalls am Institut forschte, liegt auf Platz 30 – mittlerweile leitet er an der Universität Oxford das Institut für Umweltveränderungen. DER STANDARD sprach mit dem gelernten Forst- und Wirtschaftswissenschafter über diesen Wechsel, wenig ambitionierte Klimapolitik und die Notwendigkeit von Innovationen.

STANDARD: Sie und das IIASA sind beim Reuters-Ranking und anderen Vergleichen oft zitierter Forschender sehr gut positioniert. Warum?

Obersteiner: Jedes Ranking funktioniert ein bisschen anders. Hier ging es auch um Zitationen im Mainstream. Keywan Riahi, der ganz oben steht, hat sich im IPCC (UN-Klimarat, der den aktuellen Kenntnisstand zum Klimawandel zusammenfasst, Anm.) stark engagiert, was für dieses Ranking die richtige Strategie war. Beim IPCC ist man aber sehr eingespannt, Literatur zu sammeln und zu bewerten. Mein Ziel ist, dass ein Paper oder eine Idee von mir in hundert Jahren noch zitiert wird.

Michael Obersteiner wechselte vom IIASA zur Universität Oxford. Foto: IIASA

Aber dank des Rankings weiß ich endlich, was ich bin – ich hätte mich nie als Klimaforscher bezeichnet.

STANDARD: Warum nicht?

Obersteiner: Weil ich eine forstwirtschaftliche und eine ökonomische Ausbildung habe und eher dort zu Hause bin. Das Klimathema habe ich neben vielen anderen Sachen bearbeitet. Am IIASA habe ich die weltweit größte Gruppe zur globalen Landnutzungsmodellierung aufgebaut, wir sind gerade State of the Art.

STANDARD: Weshalb zog es Sie nach Oxford?

Obersteiner: Bei einigen Mitarbeitern fehlte der Einsatz für Open Source, für das Öffentlichmachen der Modellierungscodes und Daten. Viel wichtiger ist, dass es in Oxford einen größeren Pool an Wissensträgern gibt, die völlig neue wissenschaftliche Ansätze ermöglichen, etwa in Bezug auf künstliche Intelligenz. Ich gründe in Oxford ein Institut zu KI und dem Planeten Erde, wo wir viel mit Machine-Learning-Experten zusammenarbeiten werden. Dahin geht auch die neue Generation der analytischen Methoden, da möchte ich bei den Pionieren dabei sein und noch einmal etwas Großes aufziehen. Ich wollte nur wechseln, wenn ich sicher bin, dass ich mich verbessere, was vom IIASA aus nicht leicht ist.

STANDARD: Eine Frage an den Ökonomen und Forstwissenschafter: Wie lässt sich etwa Regenwaldabholzung angesichts wirtschaftlicher Interessen eindämmen?

Obersteiner: Als Erstes wird hier meist das Argument gebracht, das müssten wir tun, weil wir die Welt sonst nicht ernähren können. Wir haben mittlerweile mehrfach gezeigt: Das stimmt nicht. Wir kämen auf dem aktuellen Stand mit etwa der Hälfte der landwirtschaftlichen Flächen gut aus. Wir pumpen nur zu wenig Kapital in die landwirtschaftliche Produktion, damit diese wirklich effizient wird.

STANDARD: Warum wird die Rodung trotzdem nicht gestoppt?

Obersteiner: In Brasilien weiß man, dass viel Landspekulation und Korruption dahinter ist. Ein Rodungsstopp hat aber unter Präsident Lula da Silva schon einmal funktioniert: Nach massiven Abholzungen gab es von internationaler Seite Druck und auch finanzielle Anreize. Daher kam es zu Polizeimaßnahmen, Politiker und Kriminelle wurden eingesperrt, illegale Entwaldung vor Ort eliminiert. So gesehen ist das weniger ein ökonomisches Problem, sondern eines des politischen Willens – und wie dieser gekauft wird. Aber wo es diesen politischen Willen gibt, ist das möglich.

Von Negativemissionen weit entfernt: Die jährliche Rodung des Regenwalds in Brasilien ist auf dem höchsten Wert seit zwölf Jahren.

Foto: AFP / Carl de Souza

STANDARD: Wie schätzen Sie die europäische Klimapolitik ein?

Obersteiner: Bei den internationalen Klimaverhandlungen hat Europa versucht, eine kleine Großmachtstellung zu erreichen, die wir in anderen Bereichen ja nicht haben. Aber ambitioniert schaut anders aus. Wir können stolz sein, dass wir etwa die Energiewende angestoßen haben, aber wenn wir anhand unserer historischen Emissionen einen gerechten Beitrag für ein 1,5-Grad-Ziel berechnen, müssten wir jetzt schon Negativemissionen erzeugen. Die meisten glauben, wenn wir mit fossilen Emissionen auf null gehen, haben wir das Klimaproblem gelöst. Dabei müssen wir den Mist, den wir erzeugt haben, auch aufräumen.

STANDARD: Wie würde das funktionieren?

Obersteiner: Das wissen wir erst ungefähr. Vor 20 Jahren haben wir festgestellt, dass Bioenergie mit CO2-Abscheidung und -Speicherung für Negativemissionen sorgen kann. Kohlenstoffdioxid wird von Bäumen aufgenommen, verfeuert und quasi in geologischen Formationen versenkt. Das ist eine sehr umstrittene Technologie, weil es große Landflächen bräuchte, um so viel CO2 aus der Atmosphäre zu nehmen, wie wir hinausgeblasen haben. Das beeinflusst Welternährung, Wasserhaushalt und Biodiversität. Aber hätten wir die Technologie nicht in Klimamodelle eingebaut und so gezeigt, dass ein Zwei- oder 1,5-Grad-Ziel damit möglich wäre, würde man gar nicht über diese Ziele sprechen können. Sie wird so nicht kommen – aber andere Technologien, die man vielleicht noch erfinden muss, können das schaffen.

STANDARD: Dessen sind Sie sich sicher?

Obersteiner: Uns Menschen macht aus, dass wir gottbegnadet innovativ sind. Ingenieure finden immer eine Lösung, in Sachen Energie hat man sie teilweise schon gefunden, und auch in diesem Bereich wird einiges kommen. Es wird allerdings viel kosten: Laut unseren Berechnungen muss man 2030–40 mehr als die Hälfte des staatlichen Budgets zur Unterstützung der Negativemissionen aufwenden, wenn man das ernst nimmt. Wenn ich heute nicht auf die Schokolade verzichten kann, bekomme ich später Gesundheitsprobleme, weil ich zu viel davon gegessen habe. Dann zum Doktor gehen und aufgrund meiner Krankheiten operieren lassen wird aber teurer. (Interview: Julia Sica, 26.5.2021)

Zur Person:

Michael Obersteiner (53) wuchs in Weißensee (Kärnten) auf und studierte u. a. an der Universität für Bodenkultur in Wien und der New Yorker Columbia University. Von 2011 bis 2019 war er Seniorforscher und Programmdirektor für Ökosystemservices und -management am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg. Seitdem ist er Direktor des Instituts für Umweltveränderungen der Universität Oxford.

Reuters Hot List of the world’s top climate scientists

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