Dies & Das: Streiflichter vom 13.6.2021

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Neos

Interview

Fabian Schmid

12. Juni 2021

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Meinl-Reisinger zu Koalitionsoptionen: „Mit dieser türkisen Partie ist das sehr, sehr schwer“

Die Neos-Chefin warnt vor den Kosten der Corona-Pandemie. Eine Koalition mit der Kurz-ÖVP schließt sie de facto aus

Beate Meinl-Reisinger fordert, dass öffentliche Themen nicht mehr in privaten Chats besprochen werden.
Foto: Heribert Corn

In den Jahren 2010 und 2011 haben sich die Wege von Beate Meinl-Reisinger und Sebastian Kurz schon einmal gekreuzt: Sie arbeitete im Klub der ÖVP Wien, er war dort Landtagsabgeordneter. Außer dem „sehr peinlichen Geilomobil“ habe sie aber nicht viel von ihm mitbekommen, erzählt die Neos-Parteichefin. Klar war beiden: Die alte ÖVP wird so nicht mehr funktionieren. Meinl-Reisinger gründete 2012 die Neos mit; Kurz machte seine Partei zur türkisen „neuen ÖVP“.

STANDARD: Wie froh sind Sie heute, 2012 die ÖVP verlassen zu haben?

Meinl-Reisinger: Schon damals standen aus meiner Sicht die Zeichen der Zeit auf Transparenz und Rechenschaftsablegung. Ich habe daher der ÖVP den Vorschlag gemacht, die Parteifinanzen offenzulegen, und hatte das Gefühl, als würde ich mit einem nassen Fetzen durch das Büro gejagt werden. Es war, als dürfte der Wähler alle fünf Jahre ein Kreuzerl machen und dazwischen Untertan sein.

STANDARD: Wie sehr überrascht Sie als Kennerin der ÖVP der Inhalt der zuletzt publik gewordenen Chats?

Meinl-Reisinger: Mich stört schon sehr, dass wir immer über Chats diskutieren. Aber was mich tatsächlich erschüttert, ist der Stil der Nachrichten, aber auch Aussagen wie „Jeder hat solche SMS am Handy“. Es hat nicht jeder SMS, in denen es darum geht, dass man Steuergeld „scheißt“. Oder dass man Volksvermögen untereinander aufteilt.

STANDARD: In den Chats wird wenig über Sachpolitik gesprochen. Ist das in der Politik der ÖVP auch spürbar?

Meinl-Reisinger: Ich hatte bei den Sondierungsgesprächen nicht das Gefühl, dass die ÖVP einen inneren Antrieb hat, Reformen voranzutreiben. Ich hätte es ja nicht schlecht gefunden, wenn Kurz wie versprochen tatsächlich Veränderung vorangetrieben hätte; Bedarf gibt es genug. Aber das tut er nicht. Es ist eine substanzlose Politik, bei der viel geredet, aber nichts auf den Boden gebracht wird – siehe grüner Pass.

STANDARD: Man sieht nicht nur in den Chats, wie die ÖVP mit Koalitionspartnern umgeht. Was bewirkt das bei Ihnen als potenzieller Partnerin?

Meinl-Reisinger: Mit dieser türkisen Partie ist das sehr, sehr schwer. Wir zeigen, dass wir mit der ÖVP in Salzburg, mit der SPÖ in Wien koalieren können. Es muss einen Willen geben, zu gestalten und fürs Gemeinwohl zu sorgen. Aber bei der türkisen ÖVP geht es nur um Selbstzweck; um Macht, die nicht genutzt wird. Reformen würden natürlich wehtun. Aber wenn man sich nur an Umfragen orientiert, dann ist das keine ernsthafte Politik.

STANDARD: Die ÖVP moniert, dass es im U-Ausschuss um „private Chats“ gehen würde, was sagen Sie dazu?

Meinl-Reisinger: Es geht hier nicht um private Angelegenheiten, sondern um öffentliche Themen. Wer Öbag-Chef wird, Budgets, wie die Justiz arbeitet – das ist im öffentlichen Interesse. Wenn man das in private Chats verschiebt, kann man nicht sagen: Das ist privat. Im Gegenteil: Das gehört veraktet und archiviert. Die Öffentlichkeit hat ein Interesse zu wissen, was die Mächtigen tun.

STANDARD: Stichwort Öbag: Wie sinnvoll ist es, dass der Staat an Kasinos beteiligt ist?

Meinl-Reisinger: Es ist nicht notwendig. Ich verstehe aber, dass manche sich sorgen, dass bei Privaten der Spielerschutz ausgehebelt wird. Aber ein maximales Augenmerk auf Spielerschutz gibt es gar nicht in Österreich! In Wahrheit casht die Republik bei einer steigenden Zahl von Spielsüchtigen ab. Und man sieht immer da, wo es Staatsbeteiligungen gibt, ein Biotop an Freunderlwirtschaft.

STANDARD: Prinzipiell wollen aber auch die Neos gewisse Staatsbeteiligungen behalten, oder?

Meinl-Reisinger: Bei der Grundinfrastruktur ist es gescheit, dass es zumindest eine Minderheitskontrolle gibt. An sich ist die Konstruktion der Öbag ja nicht so blöd – aber wie das gelaufen ist, ist fatal.

STANDARD: Wenngleich die Politik den Aufsichtsratsmitgliedern, die sie bestellt, natürlich vertrauen soll?

Meinl-Reisinger: Grundsätzlich ja, aber wir sehen bei der Wahl des Öbag-Aufsichtsrats, dass vor allem dessen „Steuerbarkeit“ wichtig war – das hat dort nichts verloren. Ein guter Eigentümer braucht keine steuerbaren Aufsichtsräte.

STANDARD: Sie sagten eingangs, die Debatten über Chats seien frustrierend, aber: Wie sinnvoll ist es, über Sachpolitik zu sprechen, solange diese Probleme existieren?

Meinl-Reisinger: Es ist der einzige Weg raus. Auch wenn immer mehr von Neuwahlen geredet wird: Jetzt muss gearbeitet werden. Ich finde es völlig verquer, dass zurzeit diskutiert wird, ob es eine „Allianz gegen Kurz“ gibt. Das interessiert mich nicht. Der Weg in die Zukunft muss ja ein „für etwas“ sein.

STANDARD: Und wofür sind Sie?

Meinl-Reisinger: Wir haben ja gesehen, was in der Krise nicht funktioniert, wir haben massive Defizite in der Digitalisierung. Wir haben ein massives Thema mit der Frage, wer die Ausgaben für die Pandemie zahlen soll. Aber auch wie junge Menschen den Einstieg ins Berufsleben meistern. Viele Frauen wurden in klassische Familienrollen zurückgedrängt; und die Frage des Klimaschutzes ist ganz drängend.

STANDARD: Wir haben in der Pandemie starke Eingriffe in die Grundrechte gesehen. Es gibt Stimmen, die sagen, die Klimakrise werde noch drastischere Auswirkungen haben. Wie stark muss der Staat hier eingreifen?

Meinl-Reisinger: Diese Eingriffe haben mich wegen des Gewöhnungseffektes mit Sorge erfüllt. Die Grünen sind da nicht verlässlich: Wenn ihnen der Eingriff moralisch passt, ist er okay. Da haben wir Liberale grundsätzlichere Überlegungen. Aber es ist schon ein Unterschied, ob man einen Lockdown verhängt oder über Preismechanismen in den CO2-Verbrauch eingreift.

STANDARD: Die Corona-Krise, aber auch Digitalisierung, mehr Kinderbetreuung – das wird viel kosten. Wie soll das finanziert werden?

Meinl-Reisinger: Grundsätzlich über Wachstum, aber dafür müssen Liberalisierungen und Erleichterungen bei Firmengründungen erfolgen. Wir müssen überlegen, was unser Standortvorteil sein wird: niedrige Löhne oder Rohstoffe wohl kaum. Unsere Landschaft ist schön, aber eine zu starke Tourismusabhängigkeit ist riskant. Also kann er nur in Innovationen liegen. Deshalb muss man in Bildung und Forschung investieren, weil sich das lohnt. Letztlich zahlt es wohl der Steuerzahler – ich fürchte, mit Steuererhöhungen. Da finde ich es befremdlich, dass sich Türkis-Grün rühmt, Weltmeister bei Corona-Ausgaben zu sein.

STANDARD: In Wien haben Sie die Chance zu zeigen, dass Sie sich durchsetzen können. Wie läuft es bislang?

Meinl-Reisinger: Sehr gut. Wir haben zum Beispiel eine Whistleblower-Plattform durchgesetzt. Als ich noch im Gemeinderat war, hat der damalige Bürgermeister Michael Häupl gesagt, ein Whistleblower sei jemand, der aus der Anonymität heraus jemanden feige denunziert. Auch bei der Frage der Schulöffnungen in der Pandemie hat Christoph Wiederkehr Flagge gezeigt. Und er packt jetzt die Frage der Ressourcenverteilung an Schulen an. (Fabian Schmid, 12.6.2021)

Beate Meinl-Reisinger (43) ist seit Juni 2018 Parteivorsitzende der Neos. Sie begann einst bei der ÖVP.

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