Dies & Das: Die Risiken für unsere Existenz sind heute tatsächlich anders

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Werner Wintersteiner

4. Mai 2021

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Die Risiken für unsere Existenz sind heute tatsächlich anders

Eine Replik auf Fred Luks und dessen Warnung vor dem „sinnfreien Bedeutsamkeitswahn“ der Klimaschützer

Seit dem Atombombenabwurf über Hiroshima 1945 wissen wir, dass die Spezies Mensch sich selbst vernichten kann.
Foto: AFP

Der Nachhaltigkeitsforscher Fred Luks hat im STANDARD am 14. 4. 2021 den „sinnfreien Bedeutsamkeitswahn“ von Klimaschützern kritisiert, deren Katastrophenszenarien kontraproduktiv seien. Als Beispiel zieht er ein Interview im STANDARD mit dem britischen Philosophen Toby Ord heran, wobei er sich vor allem an dessen Aussage „Wir leben in der wichtigsten Phase der Menschheit“ stößt.

In manchem hat Luks mit seinen Warnungen vor sprachlicher Eskalation und Gefühlsaufwallungen recht. Ich stimme ihm auch zu, wenn er betont, wie wichtig es ist, eine „plausible Hoffnung auf gelingenden Wandel“ zu vermitteln.

Aber es geht auch darum, was Luks auf auffällige Weise nicht sagt. Toby Ord hat keineswegs hauptsächlich mit Klima argumentiert, sondern an den Beginn seiner Ausführungen die Gefahr der Selbstvernichtung der Menschheit durch Atomwaffen gestellt.

Lebensweise infrage stellen

Dass wir als Spezies die Möglichkeit unserer eigenen Auslöschung geschaffen haben, ist tatsächlich ein historischer Wendepunkt. Das bedeutet zum einen, mit dieser Gefahr zu leben und alles zu tun, dass die Drohung niemals Wirklichkeit wird. Zu anderen müssen wir auch nach den Ursachen fragen, die uns zur Selbstvernichtung treiben. Das ungläubige Staunen und der tiefe Schrecken, dass wir riesige Anstrengungen darauf verwenden, uns selbst und viele anderen Gattungen zugleich zu vernichten, scheint verlorengegangen zu sein. Umso mehr müssen wir unsere bisherige Lebensweise, die auf Ausbeutung der Natur und Feindschaft gegenüber den Mitmenschen außerhalb des eigenen Kreises gegründet ist, grundsätzlich infrage stellen.

Es geht also um viel mehr als um nachhaltigere Technologien, es geht um eine radikale Veränderung der Lebensweise. Als einer der ersten hat Hans Jonas vor einigen Jahrzehnten Umweltkrisen, Atomwaffen und globale Vernetzung in seinem „Prinzip Verantwortung“ zusammengedacht: Die ungeheure Macht der Vernichtung müsse durch ethische Schranken gezügelt werden. Wir brauchten eine neue Demut, „nicht wie frühere wegen der Kleinheit, sondern wegen der exzessiven Größe unserer Macht“.

Planetare Bedrohung

Der französische Philosoph Edgar Morin sagt es noch schärfer: „Unser System ist entweder zum Tode verurteilt oder zur Metamorphose.“ Metamorphose oder Untergang – diese Alternative ist nicht neu in der Geschichte. Viele Gesellschaften sind an der Unfähigkeit, ihre Probleme zu lösen, untergegangen. Neu ist heute die planetare Dimension der Bedrohung. Nicht die Existenz der einen oder anderen Zivilisation steht auf dem Spiel, sondern das Überleben der Erdbevölkerung – und zwar nicht „wegen der Erderwärmung“, sondern wegen einer Lebens- und Produktionsweise und eines sie stützenden Weltbilds vom Menschen als Herrscher über die Natur.

Wir müssen diesen Glauben an die unbegrenzte technische Beherrschbarkeit der Natur und die nachträgliche Abfederung all der Schäden, die wir durch unsere Lebensweise anrichten, überwinden. Wir müssen eine planetare Ethik entwickeln.

Transformation oder Metamorphose sind gewiss große Worte, aber sie sind der Sache angemessen. Luks irrt, wenn er meint, dass es dabei um Effekthascherei oder Panikmache geht. Es geht nicht um Propaganda für das gute Ideal, es geht um Erkenntnis der herausfordernden Realität, um eine umfassende Analyse unserer gegenwärtigen Polykrise.

Es fehlt globale Solidarität

Dass wir tatsächlich an einem Wendepunkt stehen, macht etwa die Kampagne „Heimatland Erde“ klar, die das Friedensforschungszentrum in Stadtschlaining gerade gestartet hat (www.heimatlanderde.com). Deren Aussage lautet: Wir stehen vor globalen Problemen, aber es fehlt jede globale Solidarität. Wir müssen erkennen, dass wir eine „irdische Schicksalsgemeinschaft“ bilden, und den Planeten so erhalten, dass er eine Heimat für alle bildet.

Natürlich kann man darüber streiten, ob die heutige Zeit „die bedeutsamste“ ist, sicher soll man die „langen und mühevollen Kämpfe und Auseinandersetzungen“ von „Transformationsbeispielen“ studieren, wie Luks meint. Aber die Polemik gegen den „Bedeutsamkeitswahn“ verfehlt den Punkt. Es wäre schon viel gewonnen, wenn es gelänge, ein Verständnis von der Besonderheit der heutigen Zeit zu verbreiten. Denn dann stiege die Bereitschaft zu einer radikalen, das heißt an die Wurzeln gehenden Transformation oder Metamorphose. Und das ist heute auch bitter nötig. (Werner Wintersteiner, 4.5.2021)

Werner Wintersteiner war Gründer und Leiter des Zentrums für Friedensforschung und Friedensbildung an der Universität Klagenfurt. Sein Buch „Die Welt neu denken lernen – Plädoyer für eine planetare Politik. Lehren aus Corona und anderen existentiellen Krisen“ ist soeben bei Transcript erschienen.

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