Dies & Das: Hitze ließ Methan aus der Tiefe entweichen

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Hitze ließ Methan aus der Tiefe entweichen

Wenn der arktische Permafrost taut, wird Methan freigesetzt – womöglich deutlich mehr als bisher angenommen. Messungen aus Nordsibirien nach der letztjährigen Hitzewelle legen nahe: Das extrem klimaschädliche Treibhausgas entweicht auch aus tiefliegenden Erdgaslagern.

In den Permafrostböden der Arktis ist sehr viel Kohlenstoff und Methan gespeichert. Taut das Eis durch die Erderwärmung auf, werden zunehmend klimaschädliche Treibhausgase freigesetzt und der Klimawandel weiter beschleunigt – ein fataler Kreislauf. Besonders das hochwirksame Methan könnte dabei eine bisher unterschätzte Rolle spielen, wie Forscher in der soeben in den „Proceedings of the National Academy of Sciences“ erschienenen Studie schreiben.

„Methan kommt zwar nur in geringer Konzentration vor, ist dabei aber besonders gefährlich, da sein Erwärmungspotenzial um ein Vielfaches höher ist als bei CO2“, erklärt Nikolaus Froitzheim vom Institut für Geowissenschaften der Universität Bonn in einer Aussendung. Bisherige Prognosen ergaben, dass die Treibhausgase aus tauendem Permafrost bis 2100 „nur“ etwa 0,2 Grad Celsius zur globalen Erwärmung beitragen.

Thermogenes Methan

Dabei wurden aber vor allem natürliche Zerfallsprozesse berücksichtigt: Wenn der Boden taut und dabei pflanzliche und tierische Überreste von Bakterien zersetzt werden, entweicht das klimaschädliche Methan. Wie nun zumindest die spektroskopischen Messungen von Froitzheim und Co. in zwei nordsibirischen Regionen, dem Taymyr-Faltengürtel und dem Rand der Sibirischen Plattform, nahelegen, kann durch die Schmelze auch tiefergelegenes – sogenanntes thermogenes – Methan frei werden. Dieses entsteht in tiefen Gesteinsschichten, wenn Biomasse unter Druck und bei hohen Temperaturen umgewandelt wird.

Sibirien hat 2020 eine extreme Hitzewelle erlebt: Die Oberflächentemperatur lag bis zu sechs Grad Celsius über dem langjährigen Schnitt (1979-2000). Laut den Studienautoren stiegen die Methankonzentrationen seit Juni 2020 um etwa fünf Prozent. Am deutlichsten war der Anstieg im Juli/August 2020 und dann wieder im März/April 2021.

Erdgas entweicht

Auffällig an den beiden vom Anstieg betroffenen langgestreckten Gebieten ist, dass der Untergrund dort von Kalksteinformationen aus dem Paläozoikum gebildet wird. Genau das könnte wiederum mit der erhöhten Methankonzentration zu tun haben. „Die Bodenbildungen in den beobachteten Gebieten sind sehr dünn oder fehlen ganz, was die Zersetzung von organischer Substanz in den Böden als Quelle des Methans unwahrscheinlich macht“, so Froitzheim.

Geologische Zonen (links) und Methanmessungen (rechts)
Abbildung von N. Froitzheim & D. Zastrozhnov unter Verwendung von Daten von GHGSat (https://pulse.ghgsat.com/)

Er und seine Kollegen befürchten daher, dass die bisher mit Eis und Gashydrat gefüllten Kluft- und Höhlensysteme im Kalkstein durch die Erwärmung durchlässig wurden. „Dadurch dürfte Erdgas, das zum größten Teil aus Methan besteht, aus Lagerstätten im Permafrost und unter dem Permafrost den Weg an die Erdoberfläche gefunden haben.“

Fehlende Belege

Dieser Hypothese wollen die Wissenschaftler nun mit Messungen vor Ort und mit Modellrechnungen nachgehen, um herauszufinden, wie schnell und in welchem Umfang Erdgas freigesetzt werden kann. Solche Belege wird das Team um Froitzheim auch noch nachreichen müssen, denn auf Basis der derzeitigen Daten haben einige andere, nicht an der Studie beteiligte Fachkollegen noch Zweifel an den Ergebnissen, so etwa Guido Grosse vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, der gegenüber dem deutschen „Science Media Center“ sagt: „Das ist in meinen Augen sehr spekulativ.“

Laut ihm fehlen unter anderem ein Vergleich mit unabhängigen Kontrollzeiträumen vor 2020, eine Modellierung der Hitzewelle ins Gestein und eine Erklärung für manche Messdaten: „Warum hat der April 2021 die höchsten Emissionen?“ Aber auch Grosse räumt ein, dass hier ein umfangreiches Problem auftauchen könnte. Er habe schon vor Jahren mit Kollegen darauf hingewiesen, „dass Permafrost als ein Deckel für darunter liegende geologische Gaslager fungieren kann und dass der Deckel löchriger wird, wenn Permafrost taut.“ Sollten die Ergebnisse halten, könnte das für das bereits überhitzte Klima dramatische Folgen haben, betont Studienautor Froitzheim: „Die Mengen von Erdgas, die im Untergrund Nordsibiriens vermutet werden, sind gewaltig.“

evob, science.ORF.at

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