Dies & Das: Schiffsroute durch die Arktis

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David Hess, Conradin Zellweger, Sabrina Weiss

24.07.2021

Die neue Schiffsroute durch die Arktis ist eine Abkürzung und könnte der Umwelt helfen – wäre da nicht der Russ

Das Eis der Arktis schwindet, und so befahren immer mehr Schiffe den Arktischen Ozean. Die Emissionen verschmutzen das Eis, was die Schmelze zusätzlich beschleunigt.

Die Arktis: eine Eiswüste. Unberührt. Undurchdringbar.
Das war einmal.
Denn das Meereis schmilzt immer schneller, und so werden neue Routen für Frachtschiffe frei. Zum Beispiel von Schanghai nach Rotterdam.
Die Abkürzung durch die Arktis gefährdet aber das lokale Ökosystem. Und sie lässt das Meereis noch schneller schmelzen.

Das ist die Wilkizkistrasse – ein Nadelöhr der arktischen Seeroute. Sie ist nach dem russischen Marineoffizier Boris Wilkizki benannt. Er versuchte 1913, mit einem Frachtschiff durchzukommen, blieb jedoch im Eis stecken.

Doch der Traum von einer Abkürzung durch die Arktis blieb bestehen.

Ausschnitt aus der Dokumentation «The Great Northern Sea Route» von 1947: «Forscher sind auf dem Weg, mit dem Ziel, diese Seeroute bis 1950 in eine normale Schiffsroute zu verwandeln. Das Eis wird mit jeder Meile dichter. Aber die starken Motoren des Eisbrechers pressen weiter.»

Die Eisbrecher wurden immer stärker, für normale Frachtschiffe blieb die Arktis aber unpassierbar.
Doch dann kam der Klimawandel.

Seit 1970 ist die durchschnittliche Jahrestemperatur auf der Erde um 1 Grad gestiegen. Zur gleichen Zeit hat sich die Arktis deutlich stärker erwärmt. Das ist schlecht für die Umwelt – aber gut für die Schifffahrt: Denn das Eis schmilzt immer schneller.


Und so konnte 2009 das erste Mal ein Eisbrecher den Weg durch die Arktis für zwei kommerzielle Transportschiffe frei machen: von Südkorea nach den Niederlanden.

2017 schaffte dann dieser Gastanker die Route in der Gegenrichtung – ganz ohne Eisbrecher.

Unterdessen sind auf Teilstrecken bereits über 2000 Fischerboote, Öltanker und Frachtschiffe unterwegs. Und die Zahl der Schiffe, die die gesamte arktische Seeroute durchfahren, nimmt jährlich zu.


Kein Wunder: Von Schanghai nach Rotterdam zum Beispiel ist die Strecke durch die Arktis 20 Prozent kürzer als die Route durch den Suezkanal. Die neue Route kann Lieferzeiten verkürzen und Treibstoff einsparen. Eine der grössten Reedereien der Welt bewirbt die neue Route schon jetzt als die saubere Abkürzung.

Doch das Problem daran: Die Abgase werden in einem fragilen Ökosystem ausgestossen. Wenn ein Unfall passiert und Öl ausläuft, ist keine schnelle Hilfe möglich. Und eine Ölkatastrophe ist in der Arktis besonders bedrohlich für das Ökosystem, da die tiefen Temperaturen die Abbauprozesse verlangsamen.


Das Arktiseis ist aber nicht nur wegen des lokalen Ökosystems wichtig, sondern es kühlt auch den ganzen Planeten. Doch dieses Kühlsystem ist in Gefahr. Schauen wir uns das genauer an. Die meisten Schiffe fahren immer noch mit Schweröl – ein sehr dreckiger Treibstoff, der viel Russ verursacht.


Der schwarze Russ lagert sich auf dem weissen Eis ab. Im Normalfall reflektiert die weisse Arktis fast die gesamte Sonneneinstrahlung. Liegt jedoch schwarzer Russ auf dem Eis, wird weniger Sonnenstrahlung reflektiert. Das Eis schmilzt schneller.

Die Schweizer Forscherin Julia Schmale hat auf einer Arktismission die Auswirkungen von Russ untersucht:

Julia Schmale, Tenure Track Assistant Professor, Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne: «Ein Schiff fährt durch die Arktis und emittiert eine Tonne Russ. Dann hat der Russ dort eine direkte Auswirkung auf die Energiebilanz in der Arktis. Wenn permanent Schiffe vorbeifahren werden, dann wird es sicher einen grossen Effekt haben.»

Russ und andere Abgaspartikel gelangen aber auch in die Atmosphäre und können dort die Wolkenbildung beschleunigen. Das kann dazu führen, dass weniger Erdwärmestrahlung entweicht und das Eis schneller schmilzt.

Julia Schmale: «Unsere Modelle sagen uns ganz klar, dass die Effekte auf die Wolken grösser sind als der direkt abgelagerte Russ.»

Ob Russemissionen oder Öllecks: Die Schifffahrt ist für die Arktis eine Bedrohung. Im Juni 2021 wurde deshalb für die Region ein Schwerölverbot beschlossen.

Doch Kritiker bleiben skeptisch. Denn das Verbot gilt nur für Schweröl, nicht aber für andere fossile Brennstoffe wie Diesel oder Erdgas. Und auch Russpartikelfilter sind nicht vorgeschrieben.

Trotzdem werden die Schiffe in der Arktis wohl weiter zunehmen. Das lässt das Eis noch schneller schmelzen. Und je weniger Eis, desto attraktiver ist die Arktis für die Schifffahrt. Ein Teufelskreis – zumindest so lange, wie die Schiffe Russ ausstoßen.