Dies & Das: Klimaflüchtlinge

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Kommentar der anderen Hildegard Bedarff,

Cord Jakobeit

14. August 2021

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Klimaflüchtlinge: Die Hauptlast stemmt der Süden

Bei Populisten ist Panikmache beim Thema Klimaflüchtlinge Programm. Handelt die EU entschlossen, besteht dafür aber kein Grund. Europa zur Festung auszubauen ist der falsche Weg

Die Politologen Hildegard Bedarff und Cord Jakobeit beschäftigen sich in ihrem Gastkommentar mit der Frage der Klimaflucht. „Angesichts der zunehmenden Wucht und Zerstörungskraft der globalen Erwärmung“ sei entschlossenes Gegensteuern auf allen Ebenen gefordert.

Die Klimakrise zerstört Lebensgrundlagen und vertreibt Menschen aus ihrer gewohnten Umgebung. Sie entfaltet ihre zerstörerische Wucht nicht länger nur im Globalen Süden und bei den Ärmsten der Armen, die am wenigsten zur Entstehung dieser Krise beigetragen haben, sondern hat inzwischen auch die eigentlichen Verursacher im Globalen Norden erreicht. Für die Prognose, dass dies auf absehbare Zeit so bleiben und sich weiter steigern wird, muss man kein Prophet sein.

Inzwischen vergeht kaum ein Tag, ohne dass über neue Rekordtemperaturen, Hitzewellen, riesige Waldbrände, zerstörerischen Starkregen, Flutkatastrophen oder anhaltende Dürren berichtet wird – in Nordamerika, in China, in Europa. Zwar handelt es sich häufig um extreme Wetterereignisse, die lokal beziehungsweise regional und zeitlich begrenzt sind. Aber ihre Häufung und zunehmende Intensität hängen eng mit dem Klimawandel zusammen.

Ob Hitzewellen, Dürre, Waldbrände oder Flutkatastrophen – die Häufung dieser Ereignisse hängt stark mit dem Klimawandel zusammen.
Foto: Imago Images/Hans Lucas

Während im Globalen Norden in der Regel noch genügend finanzielle und ökonomische Ressourcen zur Verfügung stehen, um trotz der Verluste und der Traumatisierung der betroffenen Bevölkerung die Schäden der Wetterextreme zu beheben, den Katastrophenschutz zu verbessern und mittelfristig zu einer gewissen Normalität zurückzukehren, bleiben den Menschen im Globalen Süden weit weniger Optionen. Bei ihnen verstärkt – häufig unter dem Radar der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit – die globale Erwärmung die ohnehin prekäre Situation beziehungsweise die existenzielle Bedrohung.

Perspektivlosigkeit

Der Anstieg des Meeresspiegels und/oder die Zunahme der Wetterextreme treffen auf schwache, häufig ländliche Bevölkerungsgruppen und schaffen im Zusammenspiel mit Hunger, wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit, Konflikten und Kriegen sowie dem Fehlen oder Versagen staatlicher Institutionen eine Situation, die Fluchtbewegungen auslösen oder massiv verstärken kann. Der Klimawandel ist häufig eng verknüpft mit den anderen Ursachen für diese Migrationsbewegungen. Als Risikomultiplikator hat er im Laufe der letzten Jahre stetig an Bedeutung gewonnen und schiebt sich kontinuierlich weiter in den Vordergrund.

Die europäischen Industrieländer haben ihre wirtschaftliche Entwicklung über die letzten 250 Jahre mit massiven Treibhausgasemissionen in die Atmosphäre erkauft. Sie hatten zudem die Möglichkeit, die verbliebenen sozialen und ökonomischen Probleme durch Massenauswanderungen nach Nord- und Südamerika, in das südliche und östliche Afrika sowie nach Australien und Ozeanien abzufedern. Dieser Ausweg ist den heutigen Entwicklungsländern verbaut. Zwar hat sich die Zahl der Flüchtlinge im letzten Jahrzehnt nahezu verdoppelt, aber nur ein Bruchteil davon erreicht tatsächlich den Globalen Norden.

Die Hauptlast der Aufnahme und Integration wird unter großen Mühen von den Nachbarregionen und Nachbarländern im Globalen Süden geschultert, denen dafür weitgehend die Ressourcen fehlen. Vergessen wird auch leicht, dass sich vor allem die jüngeren und etwas besser situierten Menschen die lebensgefährliche Flucht Richtung Europa versuchen, wohingegen die ärmeren Menschen zur „gefangenen Bevölkerung“ gehören. Ihnen bleibt oft nur das vergebliche Warten auf Hilfe vor Ort.

„Zuallererst bleiben diejenigen in der Pflicht, die historisch für den Temperaturanstieg verantwortlich sind. Sie müssen sich noch schneller und konkreter dem Ziel der Null-Emissionen nähern.“

Gleichzeitig mehren sich in Europa die Stimmen, die angesichts der wieder wachsenden Flüchtlingszahlen auf der Balkanroute und im Mittelmeer auch die Verbindung zur Klimakrise herstellen und erneut vor einer riesigen Fluchtwelle und dem anrückenden Millionenheer der Klimaflüchtlinge warnen. Bei den Populisten ist Panikmache beim Thema Migration beliebt, auch wenn sie fehl am Platz ist. Wenn es um die Anzahl der zu erwartenden Klimaflüchtlinge geht, gibt es auch in Teilen der Literatur ein unsägliches „Wer bietet mehr“, bei dem die notwendige Trennschärfe und Differenzierung der Ursachen und Hauptaufnahmeräume leider häufig unterbleibt.

Was konkret die EU betrifft, so baut sie die Außengrenzen zur Festung aus, untergräbt im Umgang mit den Flüchtlingen die eigenen humanitären Normen und Werte, stattet Autokraten im Rahmen einer fragwürdigen „Amtshilfe“ mit Milliardenbeträgen aus und schafft es nicht, sich intern auf eine angemessene Verteilung der Flüchtlinge zu verständigen. Damit provoziert sie harsche Reaktionen der zentralen Aufnahmeländer an der europäischen Peripherie, verschiebt die Probleme in das europäische Vorfeld und fördert das Geschäftsmodell der Schlepperbanden.

Schneller und konkreter

Angesichts der zunehmenden Wucht und Zerstörungskraft der globalen Erwärmung ist entschlossenes Gegensteuern auf allen Ebenen gefordert. Denn für die Erfolgsaussichten der Gegenmaßnahmen schrumpft das Zeitfenster rasant. Zuallererst bleiben diejenigen in der Pflicht, die historisch für den Temperaturanstieg verantwortlich sind. Sie müssen sich noch schneller und konkreter dem Ziel der Null-Emissionen nähern. Bei den globalen Verhandlungen sind sie in der Verantwortung, mit gutem Beispiel voranzugehen und die anderen Staaten bei deren energetischer Transformation nach Kräften zu unterstützen.

In den betroffenen Gebieten im Globalen Süden muss das entwicklungspolitische und privatwirtschaftliche Engagement des Globalen Nordens massiv gesteigert werden, um die Anpassung an den Klimawandel zu verbessern, Bleibe- und Entwicklungsperspektiven zu eröffnen und die Aufnahmeländer und Aufnahmeregionen zu unterstützen. Und schließlich bleibt die EU aufgefordert, ihre Flucht- und Migrationspolitik humanitär und kohärent zu gestalten. (Hildegard Bedarff, Cord Jakobeit, 14.8.2021)

Hildegard Bedarff ist Lehrbeauftragte im Fach Politikwissenschaft an der Universität Hamburg (UHH).

Cord Jakobeit ist Professor für Politikwissenschaft an der UHH.

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