Dies & Das: Streiflichter Afghanistan

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Jeder Dritte in Afghanistan von Hunger bedroht

Währungsreserven gesperrt, IWF-Mittel stehen nicht zur Verfügung. UN-Hilfe für die notleidende Bevölkerung gibt es weiterhin.

Ein Bauer legt Trauben zum Trocknen aus. © afp / Wakil Khosar

Die Taliban sind jetzt eine Woche am Ruder – und mit massiven Problemen konfrontiert, die langfristig zu großer Unzufriedenheit der Menschen führen und den Machterhalt gefährden könnten. Das Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen warnt, dass „jeder dritte Mensch“ in Afghanistan von Hunger bedroht ist. Laut der WFP-Leiterin in Afghanistan, Mary-Ellen McGroarty, zeichnet sich 2021 bereits als „extrem schwieriges Jahr“ ab. Jüngsten Analysen zufolge seien bereits 14 Millionen Menschen von schwerem oder akutem Hunger bedroht.

Ursache des Nahrungsmittelmangels ist für McGroarty zum einen der Klimawandel, zum anderen aber der jahrelange Konflikt zwischen Regierung und Taliban. Wegen des trockensten Winters seit 30 Jahren ist die Weizenernte um 40 Prozent zurückgegangen, die Weizenpreise sind laut McGroarty bereits 24 Prozent über dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre. Der Wassermangel habe auch „verheerende Auswirkungen auf die Viehbestände“.

Landwirtschaft ist nicht sehr leistungsfähig. – © afp / J. Tanveer

Durch den Vormarsch der Taliban hätten zudem viele Bauern ihre Ernte nicht einbringen können. Viele seien geflohen, Obstgärten seien zerstört. Auch die Zerstörung von Brücken, Dämmen und Straßen erschwere den Zugang der Bevölkerung zu Nahrungsmitteln.

Dazu kommt, dass sich die Bevölkerung in Afghanistan explosionsartig vermehrt. Verglichen mit dem Jahr 2001, als die Taliban die Herrschaft über Afghanistan verloren, ist die Bevölkerung um 48 Prozent gewachsen. 1980 gab es 13,3 Millionen Afghanen, heute sind es 38,9 Millionen. Im Jahr 2050 sollen es 64,7 Millionen sein.

Afghanistan erlebte zuletzt 2001 und 2008 Hunger in weiten Teilen des Landes, was Notinterventionen des WFP zur Folge hatte. Die Landwirtschaft ist nicht leistungsfähig genug, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren. Das ist auch auf das Klima in der zwischen 600 und 3.000 Meter Höhe gelegenen Region zurückzuführen. Die Hälfte der Bauern betreibt reine Subsistenzwirtschaft.

Dem Land bleibt vor allem der Anbau von Schlafmohn und die Ausfuhr von Opium. Laut dem Weltdrogenbericht 2020 der UNO entfielen 2005 bis 2020 rund 84 Prozent der weltweiten Opiumproduktion auf Afghanistan. Auch der Abbau von Eisenerz, Marmor, Kupfer, Gold, Zink und anderen Metallen sowie seltenen Erden im gebirgigen Afghanistan ist für die Taliban ein lukratives Geschäft.

Laut IWF erwirtschaftete Afghanistan 2020 ein Bruttoinlandsprodukt von knapp 20 Milliarden Dollar. Jetzt unter den Taliban soll die Wirtschaftsleistung um bis zu 20 Prozent einbrechen.

Die USA haben in den letzten 20 Jahren hunderte Milliarden Dollar für Afghanistan ausgegeben – Geld, das ausbleiben wird. Abseits davon wird den Taliban der Zugang zu Geldquellen versperrt. Die US-Regierung und die Notenbank haben den Großteil von Afghanistans Währungsreserven eingefroren. Der außer Landes geflohene bisherige afghanische Zentralbankchef Adschmal Ahmadi twitterte, rund sieben Milliarden Dollar (an die sechs Milliarden Euro) der Reserven seien bei der US-Notenbank in Verwahrung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erklärte, weil es keine Klarheit über eine Anerkennung der afghanischen Regierung gebe, könne das Land bis auf weiteres nicht auf IWF-Mittel zugreifen.

Bleibt nur humanitäre Hilfe. Das Welternährungsprogramm – McGroarty und ihre 480 Mitarbeiter, davon 440 Afghanen – will weiter im Land bleiben.(red)