Dies & Das: Das Gruselkabinett der Taliban

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Das Gruselkabinett der Taliban

Die neue afghanische Regierung wird von paschtunischen Mullahs dominiert

Die Taliban überraschen seit ihrer Machtübernahme in Kabul am 15. August immer wieder: Anfangs durch die fast schon als Charme-Offensive zu bezeichnenden Versicherungen an die afghanische Bevölkerung und an die internationale Gemeinschaft sowie die Kooperation bei den Evakuierungen – und jetzt dadurch, wie schnell sie wieder in ihre alten Muster zurückfallen. Gewalt gegen Demonstrantinnen und Journalisten, Militäroffensiven statt der versprochenen Verhandlungen und nun auch noch die Regierungsbildung, deren Resultat ein wahres Gruselkabinett ist.

Die Mullahs und Mawlawis in der Liste wechseln einander ab, lauter waffentragende geistliche Herren. Der neue Bildungsminister hat ja bereits wissen lassen, dass Frömmigkeit wichtiger sei als akademische Grade – was auch an der neuen Regierung zu sehen sei, sagte er.

Siegel des Taliban-Regimes an der ehemaligen US-Botschaft in Kabul.
Foto: EPA/STRINGER

Das soll jedoch beileibe nicht heißen, dass die Proteste der mutigen Afghaninnen, die während der vergangenen Tage immer wieder auf die Straße gingen, um an ihre Rechte –und ihre pure Präsenz – zu erinnern, irrelevant wären: Ganz im Gegenteil, die Taliban, die zum Aufbau ihres Emirat-Projekts eine Basisunterstützung der Bevölkerung brauchen, werden so mit einer urbanen Zivilgesellschaft konfrontiert, die es in diesem Ausmaß vor 25 Jahren, als sie gestürzt wurden, noch nicht gegeben hat.

Friedlicher Vormarsch

Eine gewisse Anpassungsleistung werden sie vollziehen müssen, wenn sie den Betrieb ihres neuen Staates aufrechterhalten wollen. Einerseits sind sie zwar mit den geflüchteten Afghaninnen und Afghanen potenzielle Widerständler und Störenfriede losgeworden, andererseits darf der „Braindrain“ nicht zu weit gehen. Mit oder ohne Frauen wird diese Regierung Leistungen zur Verfügung stellen müssen und braucht dabei die Gesellschaft. Sie ist dabei aber auch auf Kooperation aus dem Ausland angewiesen, wobei sie eher nach Osten – Pakistan, China – als nach Westen schauen wird.

Die Taliban haben ihre Ministerliste als „Übergangsregierung“ präsentiert, das heißt, sie ist wohl auch intern nicht unumstritten. Ihr weitgehend friedlicher Vormarsch parallel zum US- und Nato-Abzug war nur deshalb so erfolgreich, weil es ihnen diesmal gelang, auch andere ethnische Gruppen und deren Führer anzusprechen. Und genau das reflektiert dieses Kabinett nicht: Auf dreißig Paschtunen kommen zwei Tadschiken und ein Usbeke. Die Regierungsbildung dauerte auch länger als erwartet. Alle Paschtunen-Fraktionen wollten ausreichend bedient werden. Keine war bereit, zugunsten der versprochenen „Inklusivität“ – ein Wort, das die Taliban bestimmt noch nicht lange kennen – zurückzustecken. Genau das kann ihnen schnell gefährlich werden.

Andere Aspekte des Gruselkabinetts – Sanktionen, Kopfgelder, Guantánamo-Vergangenheit – werden im Westen wahrscheinlich überschätzt. Das klingt zynisch. Aber man sollte nicht vergessen, dass die USA genau wussten, mit wem sie 2018 Verhandlungen aufgenommen haben. (Gudrun Harrer, 9.9.2021)

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