Dies & Das: „Unser letzter Freiraum“

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Energiewende

Jakob Pallinger

19. September 2021

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„Unser letzter Freiraum“: Wo im Land gegen erneuerbare Energie gekämpft wird

Für die Energiewende brauchen wir künftig mehr Kraftwerke für erneuerbare Energie. Aber deren Bau stößt immer wieder auf Widerstand durch Anwohner. Zu Besuch an Orten, wo sich einige auflehnen

Michael Moser vor dem im Bau befindlichen Windrad im Waldviertel, das ihm ein Dorn im Auge ist.
Foto: Jakob Pallinger

In schnellen Schritten steigen sie über den moosbewachsenen Erdboden, folgen einem Weg, der immer tiefer hinein in den Fichtenwald führt. „Psst! Hört ihr das?“, fragt Michael Moser. Die Gruppe bleibt stehen und lauscht. Aus der Entfernung dröhnen Motorengeräusche, einzelne Stimmen durchschneiden die Stille des Ortes. „Das sind die Bagger“, sagt Moser und geht weiter dorthin, wo das Brummen immer lauter wird. Vor einer Lichtung machen die Männer halt, postieren sich wie Krieger im Amazonas-Regenwald rund um die Baustelle: Dort schieben Bagger Erde und Kies zusammen, Walzen plätten den Weg für die heranrollenden Lastwagen. „Hier soll das Windrad stehen, drei weitere in der nächsten Umgebung – mitten im unberührten Wald“, sagt Moser. „Wir werden das verhindern.“

Moser ist Leiter der Bürgerinitiative IG Waldviertel, die sich gegen den Bau von Windanlagen einsetzt. Seit zehn Jahren organisiert er Demonstrationen, finanziert Anwälte oder veranstaltet Informationskampagnen gemeinsam mit anderen Bürgerinitiativen im Waldviertel in Niederösterreich, um, wie er sagt, „die Natur und Wälder zu schützen“. Die Gruppen sind nicht die einzigen: Immer wieder einmal regt sich dort, wo in Österreich Windräder, Solaranlagen oder andere Erneuerbare-Energie-Kraftwerke gebaut werden sollen, Widerstand in der Bevölkerung. Es ist ein Konflikt zwischen Klima- und Umweltschützern, Gemeinden, Energieunternehmen und Nachbarn, der sich tagtäglich im Kleinen abspielt, aber dessen Ausgang über nichts weniger mitentscheidet als über den Erfolg der Energiewende im Land.

Angst um Schwarzstörche

„Windräder sind an und für sich nicht zu verübeln“, sagt Moser und fügt hinzu: „Dort, wo sie hinpassen.“ Im Waldviertel seien sie jedenfalls fehl am Platz. Warum? Weil dies einer der letzten Orte sei, wo noch viel Natur daheim sei. Moser zeigt hinauf zu den Spitzen der Fichten, die unweit der Windkraftbaustelle im Wald der kleinen Gemeinde Grafenschlag im südlichen Waldviertel stehen.

„Schwarzstorchhorste“, sagt er. Seine Befürchtung sei, dass es davon bald keine mehr geben könnte. Denn mit dem Bau der Windräder seien sie der Gefahr durch die Rotorblätter ausgesetzt oder würden schlicht durch den Lärm der Anlage vertrieben werden. Zudem sei das Waldviertel als Windstandort zu vernachlässigen, die Anlagen seien insgesamt wenig effizient. „Wir sollten lieber mehr im Marchfeld oder Mühlviertel ausbauen.“

Als „Waldautobahn“ bezeichnen einige Kritiker des Projekts in Grafenschlag die Zufahrtsstraße zu den im Bau befindlichen Windrädern.
Foto: Jakob Pallinger

Auch Günther Maier ist vom Bau der Windräder verärgert. Er betreibt in Grafenschlag ein Transportunternehmen, der angrenzende Wald ist Teil seines Jagdreviers. Es sei vor allem ein Begriff gewesen, den die Gemeinde und das beteiligte Windenergieunternehmen immer wieder verwendet hätten und der ihn aufgebracht habe: „Wirtschaftswald“. So habe man den Wald vor dem Bau des Windrads bezeichnet. „Das ist eine Verhöhnung für die Bürger vor Ort“, sagt Maier. Denn für ihn – wie auch für viele andere Anwohner – sei der Wald heilig und sollte nicht zur „Industrieanlage“ werden.

Günther Maier in dem Wald in der Nähe des geplanten Windrads.
Foto: Jakob Pallinger

„Unbegründete Ängste“

Beate Zöchmeister, Pressesprecherin von WEB, dem Betreiber der Windräder in Grafenschlag, kann die Vorwürfe nicht nachvollziehen. „Da werden von Gruppen unbegründete Ängste geschürt“, sagt sie. Man habe keine Schwarzstörche vertrieben, mehrere Untersuchungen hätten nämlich ergeben, dass der Horst im Wald nicht von einem Schwarzstorch, sondern von einem Mäusebussard besetzt war. Man habe die Brutzeit abgewartet und erst danach mit den Bauarbeiten weitergemacht, sagt Zöchmeister.

Auch das Argument mit der Effizienz lässt sie nicht gelten: „Wäre es nicht wirtschaftlich, würden wir dort nicht bauen“, sagt sie. Die vier Windräder würden in Summe 12,3 Megawatt Leistung bringen und sollen jährlich 16.500 Menschen mit Strom versorgen. Für Anwohner gebe es dann sogar einen speziellen Grünstromtarif.

„Ich stehe hinter dem Windpark“, sagt Franz Heiderer, Bürgermeister der Gemeinde Grafenschlag. Denn dieser ermögliche künftig eine dezentrale Energieversorgung in der Gemeinde. Laut Heiderer ist auch der Großteil der Bevölkerung Grafenschlags für den Windpark. Widerstand komme eher von den umliegenden Gemeinden, in denen einige Bewohner seit längerem negativ gegenüber Windrädern eingestellt seien.

Sinkende Akzeptanz

Laut einer jährlichen Studie der Universität Klagenfurt, der WU Wien, der Unternehmensberatung Deloitte und von Wien Energie ist die Akzeptanz von Windrädern, Solaranlagen und Wasserkraftwerken in der österreichischen Bevölkerung zwar weiterhin hoch – knapp drei Viertel würden den Bau in ihrer Gemeinde befürworten –, sie sinkt aber teilweise. Während die Photovoltaik nach wie vor am beliebtesten ist, ist der Anteil der Menschen, die in der Nähe ein Windrad haben wollen, von 72 Prozent im Jahr 2017 auf 62 Prozent 2020 gesunken.

Als Ursache für den Widerstand nennen die Studienautorinnen und -autoren ein verstärktes Nachdenken über Tier- und Naturschutz und fehlende Transparenz. Je mehr Menschen über Kraftwerke für erneuerbare Energie wissen, desto höher sei die Akzeptanz. Gebe es bereits Windräder in der Region, sei die Akzeptanz ebenfalls höher. Dies könnte unter anderem erklären, wieso sich im Windkraftland Burgenland rund 80 Prozent der Bewohner für Windräder aussprechen, während in Tirol oder Vorarlberg, wo fast keine Windräder stehen, „nur“ rund 57 Prozent für ein Windrad in der eigenen Gemeinde seien.

Mehr Erklärungsbedarf

Bedenken und Widerstände gegen Windkraft kennt Zöchmeister nicht nur aus Grafenschlag, sondern auch aus anderen Regionen. „Vor allem in Gebieten, wo es noch keine Windräder gibt, gibt es mehr Erklärungsbedarf“, sagt sie. Man müsse allerdings zwischen den Sorgen einzelner Anrainer, die etwa eine Verschandelung des Landschaftsbilds befürchten, und Bürgerinitiativen wie der IG Waldviertel unterscheiden. „Die Anliegen und Bedenken von ersteren sind wichtig und berechtigt und müssen diskutiert werden. Zweitere hingegen wollen Windenergie in ihrer Region verhindern, koste es, was es wolle. Das sind oft wenige, die aber unglaublich laut sind.“

Dass Bürgerinitiativen gemeinsam mit Anwohnern immer wieder zum Scheitern von Erneuerbare-Energie-Projekten beitragen können, haben viele Beispiele aus den vergangenen Jahren in Österreich gezeigt. Im Salzburger Lungau etwa sprachen sich die Gemeinden vor drei Jahren gegen Windräder aus, im Osttiroler Tauerntal protestierten Umweltschützer gegen das geplante Kraftwerk Tauernbach-Gruben, und in Traismauer in Niederösterreich scheiterte ein jahrelang geplanter Windpark 2016 schließlich nach einer Volksbefragung.

Über den Tellerrand blicken

Auch Beatrix Dalos hat miterlebt, wie schnell sich Widerstand gegen ein Projekt bilden kann. „Ich verstehe es bis heute nicht: Jeder redet von Klimaschutz und erneuerbarer Energie, aber nur nicht vor der eigenen Haustür“, sagt sie. Dalos hat auf einem Sessel in ihrem Büro Platz genommen, die großen Fenster schauen direkt auf den begrünten Hauptplatz der Gemeinde. Wenn man sie zu den Entwicklungen der vergangenen Monate befragt, seufzt sie und sagt: „Ich hätte erwartet, dass man weiter über den Tellerrand blicken kann.“

Dalos ist Bürgermeisterin der kleinen Gemeinde Biedermannsdorf im Süden von Wien. Gemeinsam mit dem Stromversorger EVN hatte die Gemeinde Ende des vergangenen Jahres geplant, ein Biomassekraftwerk auf einem Feld nahe dem Ort zu errichten, an dem eine Straße für Radfahrer und Fußgänger vorbeiführt. Das Kraftwerk hätte nicht nur erneuerbaren Strom und Fernwärme produziert, sondern auch die ganze Umgebung aufgewertet, sagt Dalos. Sie zeigt auf eine Visualisierung, die die EVN zu dem Projekt erstellt hat: „Es wären zusätzliche Bäume gepflanzt, ein Biotop, ein Platz mit Turngeräten und Sitzbänke für Radfahrer gebaut worden. Für Biedermannsdorf wäre das ein großer Gewinn gewesen.“

Dalos in ihrem Büro in Biedermannsdorf.
Foto: Jakob Pallinger

Mehrheit dagegen

Viele in der Bevölkerung sahen das anders. Als es Ende Mai nach vermehrten Diskussionen in der Gemeinde zu einer Volksbefragung kam, an der 55 Prozent aller Wahlberechtigten teilnahmen, sprachen sich über 80 Prozent gegen das Projekt aus. Das Ergebnis wäre zwar nicht bindend gewesen, die EVN beschloss daraufhin dennoch, sich aus dem Projekt zurückzuziehen.

Der Spazier- und Radweg neben dem Feld in Biedermannsdorf, auf dem das Kraftwerk hätte errichtet werden sollen.
Foto: Jakob Pallinger

„Das, was wir in Biedermannsdorf erlebt haben, ist uns noch nie passiert“, sagt Stefan Zach, Pressesprecher der EVN. Das Ergebnis der Volksbefragung habe dem Unternehmen einen gewaltigen Denkzettel verpasst. Man überlege sogar, eine eigene sozialwissenschaftliche Studie in Auftrag zu geben, bei der die Ursachen für den Widerstand im Ort analysiert werden sollen. Woran also ist das Projekt gescheitert? „Unseren Botschaften wurde nicht geglaubt“, sagt Zach. Die Bilder, die die Gegner verbreiteten und die „eine Anlage wie Tschernobyl“ gezeigt haben, hätten besser funktioniert. Zentrales Motiv des Widerstands sei aber die „Nimby“-(„Not in my backyard“-)Ansicht gewesen, wonach Projekte im eigenen Umfeld abgelehnt werden.

So hätte das Biomassekraftwerk aussehen sollen, das die EVN in Biedermannsdorf plante.
Foto: EVN

„Letzter Freiraum, den wir noch haben“

Herbert Schmaderer war einer von jenen, die gegen das Projekt in Biedermannsdorf mobilisierten. Barfuß und in kurzer Hose öffnet er die Gartentür, die zu seinem Haus inmitten einer Siedlung am nördlichen Ende des Ortes gehört. „Das Kraftwerk wäre ein Klotz inmitten der letzten intakten Grünflächen gewesen und hätte weiter wertvollen Agrarboden versiegelt“, sagt Schmaderer, der seit 36 Jahren in Biedermannsdorf lebt. Schon jetzt werde Biedermannsdorf im Speckgürtel vor Wien massiv verdrängt und immer mehr in einen „Industriegrund“ verwandelt. „Für uns ist das der letzte Freiraum, den wir noch haben.“

Zudem wäre die zusätzliche Energie für Biedermannsdorf belanglos gewesen, da man bereits am Netz der Wien Energie hänge, sagt Schmaderer. Und was ist mit der Energiewende in Österreich? „Wir sollten nicht glauben, dass wir von Biedermannsdorf aus die Welt retten können“, sagt er. Österreich sei mit seinen acht Millionen Einwohnern global betrachtet ein „Micky-Maus“-Land im Vergleich zu Ländern wie China. „Was geben wir für diese Entwicklung auf?“

Im Kleinen anfangen

„Wenn wir aus Öl und Gas aussteigen wollen, wo soll dann die Energie herkommen? Einfach aus der Steckdose?“, fragt Dalos. Überall, wo es Veränderungen gibt, seien die Menschen von Haus aus dagegen. „Ich habe mir erwartet, dass man sich über Klimaschutz mehr Gedanken macht als über individuelle Befindlichkeiten.“ Diese Projekte seien unsere Zukunft, um die Klimaziele zu erreichen. „Dafür müssen wir im Kleinen anfangen.“

In Biedermannsdorf sind die Ausbaupläne für ein Biomassekraftwerk vorerst Geschichte. Laut Zach von der EVN ist die Konsequenz davon, dass in den nächsten zwei bis drei Jahren mehr klimaschädliches Erdgas verheizt werden muss. Dalos hofft aber, dass sich das Projekt vielleicht noch an einem anderen Standort umsetzen lässt.

„Sie sollten uns Bürger nicht für dumm verkaufen“, sagt Schmaderer. Solange es nicht schon von Beginn an ein deutlicheres Mitspracherecht für Bürger gebe, seien auch zukünftige Projekte in dem Ort zum Scheitern verurteilt.

Im Waldviertel wiederum will die WEB schon Ende des Jahres mit den Windrädern fertig sein, Anfang des kommenden Jahres sollen sie dann in Betrieb gehen. Moser versucht in der Zwischenzeit, Geld von Bürgern aus der Gemeinde zu sammeln, mit dem er gerichtlich gegen die Windräder vorgehen kann. Er ist fest davon überzeugt: „Dieser Kampf ist noch lange nicht vorbei.“ (Jakob Pallinger, 19.9.2021)

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