Dies & Das: Unser Wald – Klimaretter oder Klimaopfer?

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Unser Wald – Klimaretter oder Klimaopfer?

Richard David Precht im Gespräch mit Peter Wohlleben

Monokulturen, Klimakrise: Unsere Wälder leiden. Sind sie noch zu retten? Darüber spricht Richard David Precht mit dem Förster und Autor Peter Wohlleben.

Videolänge: 44 min-Datum: 24.10.2021

Link=>Video Dauer: 44:38 Minuten oder Klick im Bild

Wird der Mensch den Sehnsuchtsort Wald womöglich selbst zerstören? „Der Wald kann ohne den Menschen auskommen, der Mensch aber nicht ohne den Wald“, so Wohlleben. Doch nicht nur als Ökosystem und Klimaretter ist der Wald bedroht, sondern auch als Wirtschaftsressource.

Die Forstwirtschaft im Panik-Modus

Gleich drei heiße und trockene Sommer in Folge haben den Bäumen zuletzt arg zugesetzt. Vor allem die plantagenartig gepflanzten Fichten hat die Hitze geschwächt, und sie sind dadurch dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen. Überall wurden riesige Flächen toter Bäume gerodet und Hunderttausende Tonnen des minderwertigen Holzes billig nach China verkauft. Die Forstwirtschaft ist seitdem im Panik-Modus.

Das Problem ist von der Politik mitverursacht. Sie habe den erhöhten Holzbedarf durch die „Charta für Holz“, eine Initiative zur Steigerung des Pro-Kopf-Verbrauchs von Holz aus dem Jahr 2004, erst geweckt und bis heute gefördert, sagt Peter Wohlleben. Kohlekraftwerke sollen nun auf Holz umgestellt werden, obwohl klar erwiesen sei, dass die Verbrennung von Holz schmutziger, also klimaschädlicher sei, als die Verbrennung von Kohle.

Das Wohlbefinden des Menschen hängt vom Wald ab

Zudem wird völlig vernachlässigt, dass nicht den Plantagen, sondern dem intakten Ökosystem Wald als CO2-Speicher für die Bekämpfung der Klimakrise zentrale Bedeutung zukomme. Nicht zuletzt hängt das Wohlbefinden des Menschen vom Wald ab. Im Wald kommt die Seele zur Ruhe, wird Wildnis erlebbar – ganz ohne weite Reisen. Der Wald senke nicht nur die Umgebungstemperatur um mehrere Grad ab, sondern auch unseren Blutdruck und sorge so für Wohlbefinden, das messbar noch Tage anhalten kann, so Wohlleben.

Überall dort, wo wir den Wald in Ruhe lassen, erhole er sich mit der Zeit. Aber sei dieses Plädoyer für mehr Wildnis in Deutschland nicht auch eine Absage an die Vorzugsrolle des Menschen, fragt Richard David Precht. Ganz im Gegenteil, erwidert Wohlleben, um die Natur müsse man sich keine Sorgen machen, wohl aber um den Menschen, der von dieser Natur abhängt.

Peter Wohlleben

Peter Wohlleben arbeitete 20 Jahre lang als beamteter Förster in Rheinland-Pfalz. Konfrontiert mit den wachsenden Problemen konventioneller Forstwirtschaft entwickelte er sein Engagement für eine ökologische Waldwirtschaft. 2006 gab Wohlleben sein Amt auf und trat wenig später erstmals als Sachbuchautor in Erscheinung. Neben seinem Buch „Bäume verstehen“ wurde der Band „Das geheime Leben der Bäume“ ein Bestseller. Das war 2015.

Seitdem steht Wohlleben für eine völlig neue Sicht auf die Bedeutung des Waldes und die Aufgaben jener, die für ihn verantwortlich sind. Bald darauf gründete er die Waldakademie in Wershofen in der Eifel. Sein wichtigstes Bestreben ist die Reformierung der Forstwirtschaft. Wohlleben macht regelmäßig Waldführungen, hält Vorträge und bestreitet zahlreiche Fernsehauftritte. „Das geheime Leben der Bäume“ kam 2020 auch als Dokumentarfilm in die Kinos. Sein neuestes Buch „Der lange Atem der Bäume“ versucht Antworten auf die Frage zu geben, wie unser Wald der Zukunft aussehen sollte.

Bildquelle: ZDF/Juliane Eirich

Literaturtipps von Richard David Precht

Peter Wohlleben: Der lange Atem der Bäume

Wie Bäume lernen, mit dem Klimawandel umzugehen
– und warum der Wald uns retten wird, wenn wir es zulassen

Verlag: Ludwig 2021
ISBN 978-3-453-28094-6

In seinem aktuellen Bestseller versucht der bekannteste Förster unseres Landes Antworten zu geben auf die drängenden Fragen zur Zukunft des Waldes. Dabei macht er keinen Hehl aus seiner kritischen Haltung gegenüber der traditionellen Forstwirtschaft. In zahlreichen Punkten widerspricht er den dort vorherrschenden Strategien, mit welchen man sich gegen das fortschreitende Waldsterben rüsten will. In seiner ihn auszeichnenden Mischung aus Fachwissen und glühender Leidenschaft plädiert Wohlleben stattdessen für ein massives Umdenken und für ein Selbsterhaltungsrecht des Waldes jenseits des Profits.

H. D. Thoreau: Walden oder vom Leben im Wald

Verlag: Manesse 2020
ISBN 978-3-7175-2508-0

Für zwei Jahre begab sich der amerikanische Schriftsteller und Philosoph Henry David Thoreau Mitte des 19.Jahrhunderts in die Wälder von Massachusetts, an den Walden-See, um im Spiegel wilder Natur Antworten auf das Innerste des Menschen zu finden. Es entstand eines der berühmtesten Werke über das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Thoreau zeigt auf, was geschehen kann, wenn wir uns nicht nur körperlich sondern auch seelisch auf die Ursprünglichkeit der Natur einlassen.

Kinofilm 2021: Der wilde Wald. Natur Natur sein lassen

  • Gerade läuft dieser höchst stimmungsvolle Dokumentarfilm über das größte zusammenhängende Waldschutzgebiet Mitteleuropas im Kino: der Nationalpark Bayerischer Wald. In magischen Kamerabildern wird die Schönheit und Wildheit dieses Naturparks eingefangen, der gerade sein 50. Jubiläum feiert. Der filmische Blick in diese artenreiche Wald- und Moorlandschaft zeigt eindrucksvoll auf, wie es dem Wald gelingt, für sich selbst zu sorgen, wenn ihn der Mensch nur lässt.

    Regie: Lisa Eder
    Produktion: Mindjazz Pictures

    Kinostart 7. Oktober 2021
    Bildquelle: Mindjazz Pictures