Dies & Das: Der Mensch formt den Wald seit tausenden von Jahren

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Beziehungsgeflecht

Sonja Bettel

31. Oktober 2021

Der Mensch formt den Wald seit tausenden von Jahren

Unsere Wälder müssen wieder natürlicher werden, heißt es. Doch was bedeutet das? Die Kulturgeschichte des Menschen reicht tief in den Wald hinein

Der Wald dient dem Menschen schon seit jeher als Lebensraum.
Foto: Getty Images / iStockphoto

Vor mehr als 380 Millionen Jahren formten Bäume die ersten Wälder, die nahezu die ganze Erde bedeckten. Über viele Millionen Jahre wurde ihre Zusammensetzung in erster Linie durch das Klima gesteuert. Während der Eiszeiten wurden sie dann auf Refugialstandorte zurückgedrängt, erst vor etwa 12.000 Jahren begannen sie sich wieder auszubreiten.

Nur rund tausend Jahre später wurden Menschen von der Levante ausgehend sesshaft und betrieben Ackerbau. In Mitteleuropa setzte diese neue Lebensweise vor etwa 7500 Jahren ein. Der Homo sapiens hatte die Wälder schon als Jäger und Sammler durchstreift, seine Vorfahren waren Millionen Jahre in den Bäumen der tropischen Wälder herumgeturnt. Der Mensch kannte das Ökosystem Wald also sehr gut, hatte aber geringen Einfluss darauf. Als er im Neolithikum zum Ackerbauern wurde, begann er, in die Entwicklung der Wälder einzugreifen.

Der Wald wird lückig

Mit ihren Werkzeugen aus Holz, Knochen und Steinen schlugen die ersten Siedler eine Bresche von geschätzten 35 Hektar in den Wald, um Getreide für etwa 100 Personen anbauen zu können. Der Wald bekam damit erstmals in seiner Geschichte jene scharfen Ränder, die uns aus der heutigen Kulturlandschaft vertraut sind, sagt der Geobotaniker Hansjörg Küster von der Universität Hannover, der sich eingehend mit der Geschichte des Waldes beschäftigt hat. Zuvor war der Übergang zwischen Wald und Offenland abgestuft.

Etwa 30 Meter lange Eichen wurden umgehackt, um an Ort und Stelle „Langhäuser“ zu bauen, in denen mehrere Familien gelebt haben. Mit Ästen und Lehm wurden die Wände geflochten und abgedichtet. In der Umgebung der Siedlung schlugen die Menschen große Mengen an verschiedenem Holz für das Feuer zum Kochen und Wärmen und zum Darren des Getreides. Auch für Werkzeuge, Geschirr, Textilien und Jagdwaffen wurden verschiedenste Holzarten benötigt. Die Siedler wussten genau, welches Holz welche Eigenschaften hat, und stellten aus Esche Axtstiele her, aus Ahorn Gefäße, aus Eibe Bögen, aus Lindenbast Stoffe und so weiter.

Baum-Mythologie

Den verschiedenen Baumarten waren in vielen Kulturen auch gewisse geistige Kräfte zugesprochen worden, die zu den Eigenschaften des jeweiligen Baumes passten. So wurde die Esche in der nordischen Mythologie zum Weltenbaum Yggdrasil (Weltesche), die den gesamten Kosmos verkörpert. Das Holz der Esche ist fest und elastisch, und wenn man ihre Äste abschneidet, wachsen sie immer wieder nach. Die frühen Bauern nutzten den Baum deshalb auch als Futter für ihr Vieh. Im Frühjahr schnitten sie frische Zweige von Eschen und anderen Bäumen ab (man nennt das Schneiteln) und trockneten sie für den Winter. Während der Vegetationszeit trieben sie ihre Rinder, Schweine, Schafe und Ziegen in den Wald, wo diese Kräuter und junge Triebe von Gehölzen fraßen und nährstoffreiche Ausscheidungen hinterließen.

An den Rändern der Lichtungen hatten die Bäume nun mehr Platz und konnten ausladendere Äste bilden und krummer wachsen. Wenn einer dieser Bäume starb, entstand eine größere Lichtung, weil das Aufkommen von Baumsaat durch das Vieh verhindert worden war. Gewächse, die die Tiere nicht fraßen, weil sie stachelig oder bitter waren, konnten sich vermehrt ausbreiten: Wacholder, Schlehe, Weißdorn, Stechpalme, Heidekraut und Krähenbeere. Aus den etwa ein Meter hohen Baumstümpfen in den Schlägen wuchsen immer wieder Triebe, die beseitigt werden mussten, damit das Getreide nicht beschattet wurde. Hasel, Linde und Esche hielten das ständige Entfernen ihrer Zweige aus, Ulmen wurden dadurch mit der Zeit stark geschädigt.

Pollenanalysen

Der Wald lichtete sich immer mehr, und damit veränderte sich das zuvor relativ konstante gemäßigte Klima. Auf den freien Flächen wurde es im Winter kälter und im Sommer heißer und trockener. Das war förderlich für das angebaute Getreide, allerdings nahm auch die Bodenerosion zu; fruchtbarer Lehm wurde abgeschwemmt und in die Täler gespült, wo er Wälle bildete. In den dazwischen gebildeten flachen Senken sammelte sich Wasser, Erlenbruchwälder breiteten sich dort aus.

Anhand von Baum- und Getreidepollen, die in Mooren konserviert sind und deren Fundschichten datiert werden können, lässt sich diese anthropogene Veränderung der Wälder nachvollziehen, erklärt Hansjörg Küster: Der Anteil der ursprünglich dominanten Eichen und Ulmen sank, stattdessen breiteten sich Buchen stärker aus, weil sie auf den Schlägen mehr Platz hatten. Vor etwa 5000 Jahren kam es in Nordwesteuropa zu einem regelrechten Ulmensterben, so Küster. Der große Ulmensplintkäfer fraß Gänge unter der Rinde und verbreitete einen Pilz, der das Laub absterben ließ. Die Ulmen wurden in Mitteleuropa selten und im Alpenraum von der Tanne verdrängt.

Die Siedler ziehen weiter

Nach etwa 30 Jahren konnte ein Langhaus nicht mehr repariert werden und wurde aufgegeben. Die Siedler zogen weiter und begannen, das nächste Stück Wald zu roden, in dem große, gerade Eichen wuchsen, damit Häuser zu bauen, Äcker zu bestellen und ihr Vieh im Wald weiden zu lassen.

Auf den verlassenen Lichtungen bildete sich mit der Zeit wieder Wald, allerdings in anderer Artenzusammensetzung als vor dem Eingriff des Menschen. Die langsamer wachsende Rotbuche, so zeigen die Pollendiagramme, wurde genau in dieser Zeit in vielen Gegenden Mitteleuropas häufiger. Wo sie sich ausbreitete und den Boden beschattete, konnten kaum mehr andere Baumarten aufkommen.

Auch die Tierwelt dürfte sich angepasst haben. Die verlassenen Ackerflächen und Lichtungen lockten wilde Pflanzenfresser an und diese wiederum tierische Jäger. Vögel und Eichhörnchen nutzten die ausladenden Äste der Bäume und hinterließen mit ihrem Kot Kerne von fruchtragenden Sträuchern und Bäumen oder vergessene Samen- und Nussvorräte, die dann keimten.

Auf diese Weise wurden die Wälder in Mitteleuropa schon vor rund 7000 Jahren grundlegend verändert. Wenn der Mensch einmal in den Wald eingegriffen hat, so Küster, stellt sich nie wieder eine „natürliche“ Vegetation ein. Damit ein Wald gut wächst, müsse der Mensch sich also um ihn kümmern. (Sonja Bettel, 31.10.2021)

Buchtipps:

Hansjörg Küster: „Die Geschichte des Waldes. Von der Urzeit bis zur Gegenwart“, C.H. Beck 1998

=>bei heyn.at

Hansjörg Küster: „Der Wald. Natur und Geschichte“, C.H. Beck Wissen 2019

=>bei heyn.at

Hansjörg Küster: „Die Alpen“, C.H. Beck 2020

=>bei heyn.at