Dies & Das: „Die unbewohnbare Erde“

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„Die unbewohnbare Erde“ entwirft Szenarien vom Leben nach der Erderhitzung

Die Klimakrise ist täglich in den Nachrichten. Doch wie wird sie das Leben in den nächsten Jahren und Jahrzehnten konkret verändern, mit 2, 3 oder doch 8 Grad mehr bis 2100? Der US-amerikanische Journalist David Wallace-Wells vermittelt kompakte Eindrücke einer unerträglichen Zukunft.

David Bowies Songzeile „Is there life on Mars?“ habe ich immer wieder im Kopf, während ich David Wallace-Wells’ New-York-Times-Bestseller „Die unbewohnbare Erde“ lese. 1971 dachte sich Bowie den Mars als Ziel für ein Fluchtszenario aus, einige der reichsten Männer des Silicon Valley haben inzwischen konkrete Pläne. Der Unternehmer und Investor Elon Musk etwa würde gern auf dem Mars eine Kolonie gründen: „Ich will helfen, dass die Menschheit andere Planeten besiedelt. Wenn auf der Erde etwas schief geht, dann geht unser Wissen nicht verloren“.

Die unbewohnbare Erde“ von David Wallace-Wells ist aus dem Amerikanischen übersetzt von Elisabeth Schmalen 2019 im Verlag Ludwig erschienen. Eine Leseprobe findet sich hier. Ausgangspunkt für das Buch war dieser Essay.

Ludwig Verlag

Dass etwas schief läuft auf unserem Planeten, das ist für den US-Amerikaner David Wallace-Wells Fakt, mit ungezählten Beweisen dafür. Der Journalist hat eines der kompaktesten Bücher zur Klimakrise geschrieben, die aktuell erschienen sind. „Die unbewohnbare Erde“ widmet sich „dem Leben nach der Erderwärmung“, so der Untertitel, und Wissen steckt darin eine ganze Menge.

David Wallace-Wells wagt den Blick in die Zukunft

„Ich bin kein Umweltschützer und sehe mich nicht einmal als Naturliebhaber“, erklärt der Journalist David Wallace-Wells gleich vorweg. Er habe kein Buch über die wissenschaftlichen Aspekte der Erderwärmung geschrieben, hält er fest, und tatsächlich muss man sich andernorts informieren, wenn man den exakten physikalischen Prozess nachlesen will, den Kohlendioxid anrichtet. Vielmehr hat Wallace-Wells Forschungen und Prognosen anerkannter Wissenschaftler*innen über Jahre zusammengetragen und daraus Szenarien entwickelt, wie sich die Erderhitzung auf unser Leben auswirken könnte.

Alles hängt davon ab, wie wir uns verhalten werden, wenn es um den Ausstoß von Treibhausgasen geht, und davon, wie das Klima reagieren wird. Das betont der Autor vielfach. Damit man das mögliche Ausmaß leichter begreift, hat David Wallace-Wells die katastrophalen Auswirkungen der Erderhitzung in zwölf „Elemente des Chaos“ unterteilt. Die reichen von Hitzetod über Hunger und Ertrinken, Flächenbrand und Naturkatastrophen, die keine mehr sind, zu Süßwassermangel und sterbenden Meeren, verpesteter Luft und Seuchenalarm, zu Wirtschaftskollaps und Klimakonflikten. Allerdings könnten mehrere dieser Szenarien zeitgleich zutreffen, uns treffen, bemerkt Wallace-Wells.

„Die Ungewissheit zählt zu den folgenschwersten Metanarrativen, die der Klimawandel im Verlauf der nächsten Jahrzehnte in unsere Kultur tragen wird – ein gespenstischer Mangel darüber, wie die Welt, in der wir leben, in nur einem oder zwei Jahrzehnten aussehen wird.“

Zwölf Horrorszenarien, damit du das leichter packst

In seine essayistischen Erzählungen fügt er jene Auswirkungen der Erderhitzung, die bereits geschehen sind. Dadurch bekommt die Erzählung eine spannende Dynamik – das ist nicht zynisch zu verstehen. Die Brände in Kalifornien 2017 sind ein Beispiel: „Auf den örtlichen Golfplätzen trafen sich die Reichen der Westküste immer noch, um ein paar Bälle zu schlagen. Es gibt Fotos, auf denen sie ihre Schläger nur wenige Meter von den lodernden Flammen entfernt schwingen – besser hätte man die Gleichgültigkeit des Geldadels nicht bloßstellen können. Im folgenden Jahr verfolgte die Welt per Instagram die Evakuierung der Kardashians.“

David Wallace-WellsBeowulf Sheehan

Erdrutsche, Ozonsmog, 250 Millionen Klimaflüchtlinge bis 2050. Vom Meer überspülte Wirtschaftszentren und Hitzetote. Klimakriege. Dieses Buch ist ein Schocker und der Autor lobt einen im letzten Drittel anerkennend, dass man überhaupt so lange durchgehalten hat. Doch „Die unbewohnbare Erde“ liest sich leicht.

Auch mit den ungezählten Fakten und Zahlenvergleichen kommt man beim Lesen klar, selbst wenn man etliche davon in den Endnoten nachlesen will und viele davon die Vorstellungskraft übersteigen. Wie stelle ich mir etwa eine Million Transatlantikflüge vor? Ich muss an die Live-Visualisierungen denken, die es vom Flugverkehr im Internet gibt.

Wir brauchen dringend neue Erzählungen. Und das ist eine davon

„Eine Botschaft des Klimawandels lautet: Wir leben nicht außerhalb des Geschehens, sondern mitten darin, und sind all jenen Schrecken ausgeliefert, die auch das Leben der Tiere beeinträchtigen. Genau genommen sind die Auswirkungen der Erderwärmung auf den Menschen bereits jetzt so heftig, dass wir den Blick gar nicht mehr auf irgendetwas anderes richten müssten (…) Aber wir tun es, weil uns gestrandete Eisbären und die Geschichten absterbender Korallenriffe so traurig machen“, schreibt David Wallace-Wells. Er hat es wirklich nicht so mit den Tieren, gleich auf den ersten Seiten erklärt er die Idee, Menschenaffen Menschenrechte zuzubilligen, mit dem Argument für absurd, dass ja erst seit ein oder zwei Generationen Menschenrechte nicht ausschließlich für weiße Männer gelten. Auch die Aussage, eine Prognose der Klimakrisefolgen entspräche 25 Holocausts, ist mehr als problematisch.

Aber abgesehen davon: Höchst interessant ist Wallace-Wells’ Feststellung, dass wir neue Erzählungen brauchen, um die Klimakrise und unser Leben zu erfassen. Wenn es um Klimaparabeln ginge, gefielen uns diejenigen am besten, in denen es um Tiere geht, schreibt Wallace-Wells. Und die Popkultur lässt er keineswegs außen vor. Er führt Fortnite als ein Beispiel für eine Erzählung an, die uns glauben machen will, dass man in einem solchen Szenario „allein bestehen und das Problem lösen“ könne.

Konkrete Handlungsanweisungen findet man in „Die unbewohnbare Erde“ nicht. David Wallace-Wells setzt sie zwischen die Zeilen, sowohl für jeden einzelnen als auch für die Politik. Und der Autor räumt auf mit Wunschvorstellungen zu Ökostrom und „Plastikpanik“, man staunt.

=>bei heyn.at