Dies & Das: Mit nur einem Thema ins Parlament: Eine Gefahr für die Demokratie?

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Monothematische Parteien

Fabian Sommavilla,

Jakob Pallinger

21. November 2021

Mit nur einem Thema ins Parlament: Eine Gefahr für die Demokratie?

Parteien, die sich nur ein einziges Thema auf die Fahnen heften, feiern zusehends Wahlerfolge. Warum das unsere Demokratie nicht gefährdet, sondern sogar stärken könnte

Wer soll sich da noch auskennen? Während die ganze Welt verwobener und komplexer zu werden scheint und auch die Politik auf immer mehr Fragen und Probleme Antworten finden sollte, feiern Parteien mit nur einem einzigen Wahlkampfangebot Wahlerfolge. Die populistische Erfolgsformel, einfache Antworten auf viel komplexere Fragen zu finden, findet immer mehr Anhänger. Aber reicht es heutzutage wirklich schon, nur ein einziges Thema zu besetzen, um in die Parlamente einzuziehen?

Baustelle Nationalrat: Ist der Wahlerfolg monothematischer Parteien ein Grund zur Sorge für die Demokratie?
Foto: APA / Schlager

In Oberösterreich holten die impfskeptischen Maßnahmenkritiker der MFG zuletzt aus dem Stand 6,23 Prozent. MFG-Spitzenkandidat Joachim Aigner erklärte zwar noch am Wahlabend, dass die Partei durchaus auch „Ansätze“ in anderen Themenbereichen habe, aber außer ein paar Phrasen ist im politischen Programm noch nicht viel zu lesen. Für sechs Jahre in den Landtag gewählt wurde man aber wohl kaum wegen des „Zensurverbots“, das man sich etwa für den Bereich Medien wünscht, sondern weil man „auf einer Stimmung surfte“, wie es Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle formuliert.

Auch in Bulgarien feierte am vergangenen Sonntag eine Partei mit monothematischem Ansatz einen beeindruckenden Wahlerfolg. Die Antikorruptionspartei „Wir setzen den Wandel fort“ der beiden Harvard-Absolventen Kiril Petkow und Assen Wassilew nutzte das politische Patt und die allgemeine Politfrustration für ihren Sprung auf den ersten Platz bei der bereits dritten Wahl im Jahr 2021. Gegründet wurde die Partei wie auch die MFG erst wenige Monate vor dem Wahltermin – ihr Hauptwahlargument: aufräumen im politischen Korruptionchaos.

Oder da wäre die europafeindliche Brexit-Partei, die es gemeinsam mit Ukip in den vergangenen Jahren schaffte, Großbritannien zumindest ansatzweise in eine monothematische Demokratie zu verwandeln – also die Politik und ihren eigenen Erfolg anhand der Einstellung zum Austritt aus der Europäischen Union zu bemessen.

Alles nur Protest?

Auf den ersten Blick scheinen die Wahlerfolge nur durch Protestwählerstimmen zustande gekommen zu sein. Menschen, die mit der jüngsten Politik wenig bis gar nicht zufrieden waren, wählen im Zweifel auch Parteien, die nur ein Thema haben. Hauptsache, die aktuell Regierenden sind weg. Oder? Für Stainer-Hämmerle ist der Vergleich mit klassischen populistischen Parteien zu kurz gegriffen. Sie versteht Ein-Thema-Parteien eher als „Unzufriedenheitsparteien“, die Lücken erkennen. Sie sehen eine Chance, ihre politischen Überzeugungen im politischen Diskurs zu platzieren.

Monothematische Parteien sind aber nicht immer nur gegen eine bestimmte Sache. Zwar gibt es etwa die Anti-Fluglärm-Partei aus Sydney, die ebenfalls australische Anti-Parkuhren-Partei oder die kanadische Anti-Sexualaufklärung-Partei – aber auch Pro-Cannabis- oder Pro-Tierschutz-Parteien, die in den Niederlanden immer wieder erfolgreich waren. Im Vereinigten Königreich eroberte eine Partei, die sich anfangs nur für die Wiederinstallation einer Notaufnahme in einem Krankenhaus einsetzte, zweimal einen Sitz im britischen Unterhaus.

Auch auf regionaler Ebene verschaffen sie sich so oft Gehör für bundespolitische Anliegen.

Heißes Eisen Migration

Der Erfolg solcher Parteien beruhe darauf, dass sie Themen setzen, die etabliertere Parteien ignorieren, etwa weil sie nicht wissen, wie ihre Wählerschaft darauf reagiert, sagt Markus Wagner, Politikwissenschafter an der Uni Wien. Das Thema Migration sei dafür ein gutes Beispiel: Für einige größere Parteien sei es lange Zeit besser gewesen, das heikle Thema weitgehend zu umschiffen, um keine internen Spaltungen zu provozieren. Das konnten bestehende wie neue Parteien ausnutzen, um Wähler zu gewinnen. Das führte freilich erst wieder dazu, dass altgediente Parteien sich der Migrationsthematik annahmen. Das mögliche Ziel der monothematischen Partei, ihr Anliegen in der breiten Debatte zu platzieren, war damit erfolgreich.

Illustration: Fatih Aydogdu

Generell sei „politischer Erfolg daran zu messen, was inhaltlich umgesetzt werde, und nicht, wie viele Personen einen Sessel im Parlament wärmen“, sagt Stainer-Hämmerle. Und diesen Erfolg können die monothematischen Parteien immer wieder verzeichnen. Nicht nur, weil durch die neuen Medien einige Hürden für solche Kleinstparteien fallen, sagt die Politikwissenschafterin, sondern auch, weil klassische Medien immer wieder Parteien, die auf eine Person oder ein Thema zugeschnitten sind, gern viel Platz einräumen und diese damit mitunter gar fördern.

Weniger Parteibindung

Monothematische oder Nischenparteien, wie sie auch bezeichnet werden, seien prinzipiell aber kein neues Phänomen, sagt Wagner. So seien auch die Grünen zunächst aus einer Nischenpartei entstanden. Allerdings gebe es monothematische Parteien heute häufiger, weil die Verbundenheit mit den traditionellen Parteien nicht mehr so hoch sei, sagt der Experte. Tatsächlich kommen Studien zum Schluss, dass sich Menschen heute weit weniger mit bestimmten Parteien identifizieren, als das noch vor einigen Jahrzehnten der Fall war.

Laut einer Befragung der Bertelsmann-Stiftung zur Europawahl 2019 würden sich nur rund sechs Prozent der Wählerschaft mit einer Partei identifizieren und diese „auf jeden Fall“ wählen. Anders aus-gedrückt: Die Zeiten der Stammwählerschaft sind vorbei, während der Trend zum Wechselwählen – und damit auch die Chance für monothematische Parteien – größer wird. Aber welche Folgen hat das für die Zukunft unserer Demokratien? Geht es tatsächlich immer stärker nur mehr um ein paar wenige Themen, die alles andere verdrängen?

„Natürlich ist es wichtig, dass auch heikle Themen mithilfe neuer Parteien in der Politik diskutiert werden“, sagt Wagner. Denn offensichtlich gebe es Bedarf von Menschen, die sich nicht von den bestehenden Parteien vertreten fühlen, bestimmte Dinge zu thematisieren. Stainer-Hämmerle geht einen Schritt weiter. Unsere Demokratie müsse und werde solche Parteien nicht nur aushalten, am Ende könnten sie „sogar ein Motor der Innovation“ für das Parteiensystem sein.

Stabilität wackelt

Mehr Parteien im Parlament können das politische System freilich aber auch destabilisieren und Regierungsbildungen mit stabilen Mehrheiten erschweren. Vor allem dann, wenn sie wenig fixes Personal haben, nicht bereit sind, wirklich Verantwortung zu übernehmen und sich kaum zu Themen einbringen, die nicht ihrem Kerninteresse entsprechen, sagt Wagner.

Sollte sich der Trend auch hierzulande fortsetzen, wird es wohl mehr Blockbildungen, also Parteizusammenschlüsse zur Erreichung von Mehrheiten, geben. Oder aber die politischen Eliten reißen sich zusammen und wissen das zu verhindern, sagt Stainer-Hämmerle. (Jakob Pallinger, Fabian Sommavilla, 20.11.2021)

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