Dies & Das: Wie wir das große Sterben der Vögel, Frösche und Insekten aufhalten können

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Wie wir das große Sterben der Vögel, Frösche und Insekten aufhalten können

In 20 Jahren ist die Zahl der Vögel auf Österreichs Wiesen und Äckern um 40 Prozent gesunken. Ihnen geht Platz und Futter aus. Was Abhilfe schaffen kann

In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Das Heustadlwasser im Wiener Prater ist ein grüner Zufluchtsort für viele Stadtmenschen. In der Nacht konnte man vor 20 Jahren noch Konzerten von quakenden Laubfröschen lauschen, sagt die Biologin Silke Schweiger, die in der Nähe gewohnt hat. Heute ist es dort ziemlich ruhig. Die Zahl der Frösche ist massiv zurückgegangen. Warum, ist nicht klar. Es könnten die vielen Besucher sein, das Wasser, ein Pilzbefall. Und für sich genommen ist das wohl auch gar nicht so wichtig. Ob es weniger Frösche im Prater gibt, daran wird sich die Zukunft des Landes nicht entscheiden. Oder etwa doch?

Stark dezimiert in Österreich: das Rebhuhn.
Foto: STANDARD / Michael Dvorak

Das Verschwinden der Laubfrösche im Prater ist tragisch, wäre aber verkraftbar, würde es nicht stellvertretend für das große Sterben der Tier- und Pflanzenwelt in Österreich stehen. 40 Prozent der vorwiegend auf Äckern und Wiesen lebenden Vögel sind in den vergangenen 20 Jahren verschwunden. Egal, wo man hinsieht, zu Schmetterlingen, Käfern, Fischen – jede zweite Fischart in Österreich ist gefährdet –, Schlangen oder Pflanzen: Österreichs Natur ist massiv unter Beschuss.

Das passt so gar nicht zu Österreichs Image als Vorreiter in Umweltfragen. Die Seen und Flüsse sind zwar sauber und die Straßen auch, aber Tiere und Pflanzen finden an vielen Orten keinen geeigneten Lebensraum mehr, weil zubetoniert wird, sich die Landwirtschaft stark verändert hat und der Naturschutz massiv unterfinanziert ist. Wenn eine Art stirbt, merkt das keiner bei geschätzt 68.000 hierzulande. Wenn aber jede dritte gefährdet ist, also in naher Zukunft verschwinden könnte, ist Gefahr in Verzug.

Es ist ein bisschen wie beim Klimawandel. Wir probieren lieber nicht, wie die Welt aussieht, wenn sie sich um drei oder vier Grad erwärmt, wie viele Konflikte, Dürren, Tote durch Hitze und Unwetter es dann gibt. Je wärmer es wird, desto instabiler wird die Welt. Beim großen Artensterben ist es dasselbe. „Je mehr Arten verlorengehen, desto instabiler wird es“, sagt der Botaniker Franz Essl. „Wir sind im roten Bereich, jenseits der planetarischen Grenzen. Wenn Ökosysteme viele Arten verlieren, verlieren sie ihre Funktion, werden anfälliger für Schädlinge, Massenvermehrung, sie verhindern keine Hochwasser mehr.“

Zwei große Probleme

Die Gründe für das große Sterben und auch, was dagegen unternommen werden kann, lassen sich gut am Rebhuhn veranschaulichen. Es ist eigentlich nicht recht anspruchsvoll und hat sich gut an den Menschen angepasst. Es lebt vorwiegend auf Feldern, aber in 20 Jahren ist sein Bestand in Österreich um 84 Prozent gesunken. Den Trend gibt es so in ganz Europa. Rebhühner haben zwei Probleme. Erstens, sie sind ziemlich langsam, wenn der Fuchs sie entdeckt, ist es vorbei. Darum brauchen sie Verstecke, also etwa Hecken, Gräben, Brachen, die in der Intensivlandwirtschaft wegrationalisiert werden.

Zweitens brauchen ihre Küken Insekten, um zu überleben. Und davon gibt es immer weniger in Österreich. Daten dazu gibt es zwar nur wenige. In Deutschland wurde in Schutzgebieten ein Rückgang von über 70 Prozent der Insektenpopulation in nur 27 Jahren gemessen. Auch in vielen anderen Ländern gibt es ähnliche Ergebnisse, und Forscher gehen davon aus, dass das in Österreich nicht anders ist. Bekommen die Küken nichts zu fressen, überleben sie nicht und die Zahl der Rebhühner sinkt von Generation zu Generation.

Mehr Platz für Natur

Das große Sterben der Vögel und Insekten in der österreichischen Kulturlandschaft kann man als Umweltproblem sehen. Sie bestäuben Pflanzen, sind ein aufeinander abgestimmtes System, das sich im Gleichgewicht hält. Man kann es ästhetisch betrachten: Wollen wir in einem Land leben, das zu einer einzigen Monokultur wird und in der es keine naturnahen Ökosysteme mehr gibt? Oder man man kann es moralisch angehen: Möchten Sie in einer Zeit leben, in der Millionen Jahre Evolution in einem Wimpernschlag ausgelöscht werden?

Einen Lösungsvorschlag hat die NGO Birdlife. Zehn Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Europas soll der Natur Raum geben. Das hieße nicht, dass sie nicht genutzt werden kann, sondern dass es dort gute Lebensbedingungen für Pflanzen und Tiere gibt. Das würde laut der NGO in etwa 15 Milliarden Euro kosten, die man an die Bauern auszahlen müsste. Das ist viel Geld, aber nur ein Viertel der Agrarsubventionen in der EU, die heute meist ausbezahlt werden, ohne an Tierwohl- oder Umweltkriterien geknüpft zu sein.

Anreize sind schlecht

Es könnte einen Paradigmenwechsel in der europäischen Landwirtschaft einläuten. Jetzt ist das System so gebaut, dass Landwirte, die den Boden auslaugen, mehr spritzen und mähen auch mehr Geld verdienen. Wer auf die Natur acht gibt und so einen Dienst an der Zukunft leistet, verliert Geld oder bekommt die Verluste maximal durch Förderungen abgegolten. Das muss auf den Kopf gestellt werden. Wer Bäume stehen lässt, Blumenwiesen pflanzt, weniger mäht und spritzt und Feldraine stehen lässt, muss mehr Geld verdienen.

Nicht nur die Intensivierung der Landwirtschaft schädigt aber die biologische Vielfalt. Auch dass viele Standorte gar nicht mehr bewirtschaftet werden, ist ein Problem. Nicht immer hat die Natur etwas davon, wenn man sie sich selbst überlässt. Wenn Almen aufgelassen werden oder auf Trockenrasen, trockenen, aber artenreichen Wiesen, keine extensive Viehwirtschaft mehr betrieben wird, verbuschen sie und werden zu Wald. Die Pflanzen und Tiere, die zuvor dort gelebt haben, verlieren so ihren Lebensraum. Auch diese Art der Naturpflege kann man durch öffentliche Gelder abgelten und Bauern so Anreize geben, sie zu bewirtschaften.

Wasser und Boden

Ob jetzt Trockenrasen, Almen, Äcker, die Erzählung lässt sich auf viele Lebensräume in der österreichischen Kulturlandschaft ausdehnen. Bei den Fischen geht der Lebensraum durch das Verbauen von Flüssen und Bächen verloren. Zum Beispiel für Wasserkraftwerke oder Hochwasserschutz. „Es gibt aber Tausende von Querbauwerken in Europa, die nicht mehr gebraucht werden“, sagt Arno Aschauer von der NGO WWF. Etwa Staue für Mühlen, die nicht mehr genutzt werden. Sie machen es den Fischen schwer, Flüsse hinaufzuwandern, um abzulaichen. Die müsse man abreißen.

Auch der extreme Bodenverbrauch für Straßen, Einkaufszentren und Siedlungen trägt stark dazu bei, dass Lebensraum zurückgeht und zerschnitten wird. Eine Straße ist beispielsweise für viele Tiere lebendig unüberbrückbar. Das deutsche Umweltbundesamt schlägt vor, einen Zertifikate-Handel für Baulandwidmungen zu etablieren. Jede Gemeinde würde also eine begrenzte Menge an Zertifikaten bekommen, die dazu berechtigen, Flächen zuzubauen. Wer es nicht tut, bekommt Geld, in dem er Zertifikate verkauft. Wenn die Zertifikate Jahr für Jahr reduziert werden, kann so der Bodenverbrauch reduziert werden. (Mehr dazu hier.)

Einiges bessert sich schon

Aber nicht alles in Österreich entwickelt sich schlecht. Österreich hat einen relativ hohen Anteil an Nationalparks. In der Forstwirtschaft gibt es langsam ein Umdenken, weg von Fichten-Monokulturen, die kaum Lebensraum für Natur bieten und anfällig durch den Klimawandel sind, hin zu mehr Mischwäldern. Es werden auch mehr tote Bäume liegen gelassen, Totholz ist essentiell für etwa Eichhörnchen, Blaumeise, Käfer oder Pilze. Der Bodenverbrauch ist gesunken, aber immer noch enorm hoch.

Luchs und Wolf waren schon ausgestorben in Österreich, sind aber wieder zurück. Für die Großtrappe, ein Vogel, der weltweit bedroht ist, ist Ostösterreich ein wichtiger Lebensraum. 1997 gab es nur mehr 55 von ihnen, 2014 wieder 320 Exemplare. Erst heuer hat die Unesco ein Gebiet um Mur, Drau und Donau als den ersten Fünf-Länder-Biosphärenpark ausgewiesen, aus Österreich ist das Untere Murtal Teil davon. Im südlichen Mostviertel gibt es das Wildnisgebiet Dürrenstein, das heuer um einen Teil im Lassingtal in der Steiermark erweitert wurde, in das strenge Schutzgebiet darf kaum ein Mensch.

30 Prozent bis 2030

Die Ausweitung der Schutzgebiete gilt als einer der wichtigsten Lösungen, um den großen Rückgang der biologischen Vielfalt auf der Welt zu stoppen. Österreich ist einer Allianz von Ländern beigetreten, die sich für eine Ausweisung von 30 Prozent der jeweiligen Fläche für die Natur starkmachen. Je nach dem, wie das definiert wird, hat das Österreich quasi schon erreicht oder ist noch weit davon entfernt. „In manchen Schutzgebieten ist alles erlaubt, außer quasi ein Atomkraftwerk zu bauen“, sagt der Leiter des Biodiversitätsrates, Franz Essl, leicht ironisch. „Zählt man die weg, sind wir ungefähr bei 22 Prozent Schutzgebieten.“

Der Großteil sind sogenannte Natura-2000-Schutzgebiete. Die werden von Bundesländern umgesetzt, aber von einer EU-Richtlinie vorgegeben. Die schreibt vor, dass sich Lebensräume und Arten dort in einem guten Erhaltungszustand befinden müssen. In Österreich ist das bei 86 Prozent der Arten und 82 Prozent der Ökosysteme nicht der Fall. „Die Schutzgebiete sind total unterfinanziert“, sagt Essl. In den vergangenen 15 Jahren hat sich die Situation in den Schutzgebieten noch einmal deutlich verschlechtert, wie Studien zeigen.

Wissenschafter fordern

Der Österreichische Biodiversitätsrat, ein Zusammenschluss an Wissenschaftern, fordert eine Biodiversitätsmilliarde von der österreichischen Regierung. Das grüne Klimaministerium hat zwar einen Biodiversitätsfonds eingerichtet, der zuerst mit fünf und nun mit 50 Millionen Euro dotiert ist. Das ist für die Forscher aber deutlich zu wenig. Das Geld könnte etwa für Naturschutz, mehr Forschung und ein besseres Monitoring ausgegeben werden. Denn auch wenn klar ist, dass die biologische Vielfalt in Österreich stark gefährdet ist, fehlt das Geld, um das ordentlich und regelmäßig zu messen.

Die Wissenschafter fordern auch, die Bundesländer stärker an die Kandare zu nehmen. Denn sowohl die Raumplanung, als auch der Artenschutz und die Schutzgebiete sind Ländersache. Ein Bundesrahmengesetz wie in Deutschland, das stärkere Vorschriften gibt, könnte hier für ein einheitliches Vorgehen sorgen. Das Klimaministerium arbeitet auch gerade eine Strategie für Biodiversität aus. Die könnte aber auch dem Föderalismus zum Opfer fallen, so der WWF, der deshalb einen Aktionpslan und klare Zuständigkeiten fordert.

Immunsystem stärken

Klar ist, dass biologische Vielfalt weiter unter Druck sein wird. Denn auch ohne weiteren menschlichen Einfluss machen Klimawandel und gebietsfremde Arten wie der Asiatische Marienkäfer, der dem heimischen Konkurrenz macht, der Natur Probleme. Es ist aber ein bisschen wie mit dem menschlichen Immunsystem. Wenn sich die Situation auf den Feldern und Wiesen, Bächen und Flüssen und in den Wäldern entspannt und Schluss mit dem Zubetonieren ist, steigert das die Abwehrkräfte von Pflanzen und Tieren. Nur so kann das große Artensterben gebremst werden.

Im nächsten Beitrag dieser Serie geht es um die Rolle der Wälder für Wirtschaft, Klima- und Naturschutz. Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an, um ihn nicht zu verpassen. (Andreas Sator, 12.12.2021)

Wie der Text entstanden ist:

Die Recherche setzte sich aus der Lektüre einiger Studien und vielen Telefonaten zusammen. Die meisten Gesprächspartner finden aus Platzgründen keine Erwähnung. Danke für Telefonate an Franz Essl (Uni Wien), Helmut Gaugitsch (Umweltbundesamt), Thomas Frank (Boku), Arno Aschauer (WWF), Silke Schweiger (Naturhistorisches Museum Wien), Norbert Sauberer (Vinca). Herzlichen Dank an Franz Essl und Johannes Zaller (Boku) für die Empfehlung einiger Studien und Gesprächspartner.

Studien, auf denen der Text aufbaut: