Dies & Das: Barbara Coudenhove: Mitgefühl und No-Nonsense

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Barbara Coudenhove: Mitgefühl und No-Nonsense

Die Standard-Kolumnistin wird 90

Prag, Wendejahr 1989: ORF-Korrespondentin Barbara Coudenhove erfährt auf dem Weg zu einer Pressekonferenz mit Václav Havel, dass das Zentralkomitee der KP zurückgetreten ist.

„Sie haben einfach aufgegeben! Die noch vor Tagen allmächtige und gefürchtete Staatspartei ist weg!“

Havel und Co wissen es noch nicht. Coudenhove:

„Ich kämpfe mit mir. Soll ich jetzt aufstehen und schreien: Ihr habt gewonnen! Kapiert es endlich! Aber ich traue mich nicht. Sie werden schon rechtzeitig draufkommen, denke ich mir.“

Wer eine aristokratische Erziehung der 30er-Jahre genossen hat, drängt sich nicht vor, auch nicht im Augenblick eines inneren Triumphs, wo alles, was man wider alle Wahrscheinlichkeit erhofft hat, doch Realität wird:

„Sie werden schon draufkommen …“

Barbara Coudenhove-Kalergi ist dieser Tage 90 Jahre alt geworden.
Foto: Heribert CORN

Barbara Coudenhove ist dieser Tage 90 Jahre alt geworden. Sie hat im persönlichen Schicksal und in ihrer politisch-journalistischen Arbeit dramatische Umwälzungen, Verbrechen und – gar nicht so selten – Sternstunden der Menschheit miterlebt und beschrieben. Sie verleiht dem STANDARD mit ihren klugen, gar nicht abgeklärten, sondern vom kämpferischen Geist der Aufklärung getragenen Kolumnen eine zusätzliche Qualität. Das Wissen um das Menschenmögliche, ohne zynisch zu werden. Irgendwer müsse sich auch um die Bösen kümmern, schreibt sie.

Weltgeschichte

Barbara (Gräfin) Coudenhove-Kalergi, geboren am 15. Jänner 1932 in Prag, stammt aus „deutsch-böhmischem“ Adel. Man hatte weder mit den Tschechen noch mit den Sudetendeutschen viel zu tun. Ihre Großmutter stammte aus Japan, ihr Onkel Richard („Dicky“) war der Gründer der paneuropäischen Bewegung. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch Hitler lebte die Familie zwischen Stillhalten und Bedrohung. Im Mai 1945 wurde die Familie von einem Tag auf den anderen vertrieben, entkam mit knapper Not einem wütenden Mob. In Wien wurde Coudenhove Journalistin, fand in ein linksintellektuelles Milieu und dort ihre Lebensliebe, den jüdischen Kommunisten Franz Marek. Ihre 2013 erschienenen Erinnerungen Zuhause ist überall (Zsolnay) sind ein reiches Geschichtenbuch aus den aristokratischen und den jüdisch-intellektuellen Milieus (die mehr Berührungspunkte haben, als man glaubt).

Als Gerd Bacher die Großtat vollbrachte, dem ORF eine intensive Osteuropa-Berichterstattung zu geben, machte Coudenhove beim Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa Weltgeschichte mit. Später, als das Thema „Zuwanderung“ Österreich verstörte, schrieb sie nicht nur kluge Kolumnen, sondern tat ganz handfest etwas: Deutschkurse für (hauptsächlich) muslimische Zuwanderer.

Mitgefühl und zugleich praktisch orientierter No-Nonsense. Das ist Barbara Coudenhove. Im Herbst 2021 schrieb sie im STANDARD:

„Fast jeder fünfte in Österreich lebende Bürger ist nicht wahlberechtigt. Mehr als ein Drittel der Wiener sind im Ausland geboren. Trotzdem hat Österreich eines der restriktivsten Einbürgerungsgesetze in Europa: Man kann hier ein Leben lang zu Hause sein und Steuern zahlen und trotzdem ein ‚Fremder‘ bleiben. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von einer ‚Aushöhlung der Demokratie‘.“

(Hans Rauscher, 14.1.2022)