Dies & Das: Wie viel Schikane auf Sterbewillige wartet

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Assistierter Suizid

Gerald John

24.Jänner 2022

Wie viel Schikane auf Sterbewillige wartet

Beihilfe zum Suizid ist erst seit kurzem erlaubt, da werden schon Klagen laut: Betroffene tun sich schwer, Ärzte für die nötige Begutachtung zu finden. Sind die Hürden zu hoch?

Mit einer Unterschrift ist es nicht getan: Manche Betroffene empfinden den Weg zum assistierten Suizid als Hindernislauf
Foto: Getty/iStock

Frau B. trägt den Gedanken schon länger mit sich herum. Die 75-Jährige leidet unter altersbedingter Makuladegeneration, einer unheilbaren Krankheit, die ihr das Sehvermögen raubt. „Ich weiß, es gibt glückliche Blinde“, sagt sie, doch sie selbst, die ihr Einsiedlerdasein liebe, könne sich kein Leben in Abhängigkeit vorstellen. Einer Zukunft im Heim ziehe sie den Tod vor: „Kein Grund zu bleiben ist Grund genug zu gehen.“

Der Jahreswechsel machte B. Hoffnung, dies rechtzeitig in würdiger Weise tun zu können. Kaum war das neue Sterbeverfügungsgesetz, das assistierten Suizid erlaubt, in Kraft, begann sie E-Mails zu schreiben, zu telefonieren. Doch gefolgt seien leere Kilometer. Weder ihr Notar noch die Ärztekammer hätten auf ihre Bitte um Hilfe geantwortet, der Hausarzt habe abgewinkt. „Aus religiösen Gründen“, wie sie sagt.

Die Pensionistin ist kein Einzelfall. Auch andere schwerkranke Menschen mit keimendem Todeswunsch, so ist zu hören, hätten erste frustrierende Erfahrungen hinter sich: Rasch stünden die Betroffenen an. Unvermeidbare Anlaufschwierigkeiten auf einem Terrain, das für die Gesellschaft Neuland ist? Oder zeigt sich bereits, dass das Regelwerk schwer überwindbare Hürden birgt?

Voller Erfolg beim Verhindern

Wer bei jenen Interessenvertretern nachfragt, die von ratlosen Anwärtern berichten, erhält eindeutige Antworten. „Ein voller Erfolg“ sei das von der türkis-grünen Koalition auf Verlangen des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) durchgesetzte Gesetz, urteilt Eytan Reif vom Verein für selbstbestimmtes Sterben in einem Anflug von Sarkasmus – „und zwar als Instrument zur Verhinderung eines selbstbestimmten Todes“. Die Obrigkeit verordne einen „Spießrutenlauf“, an dem viele verzweifelt zu scheitern drohten.

Je weiter er sich in die Winkel des Gesetzes vorgearbeitet habe, desto mehr habe er seine anfänglich positive Einschätzung revidieren müssen, sagt der Anwalt Wolfram Proksch, der mit der Österreichischen Gesellschaft für ein Humanes Lebensende (ÖGHL) kooperiert und hinter dem beim VfGH erfolgreichen Antrag stand. Statt eines „Jedermannsrechts“, wie es die Höchstrichter im Auge gehabt hätten, sei ein Konstrukt herausgekommen, „bei dem die Menschen auf Goodwill angewiesen sind“.

Proksch meint damit das vorgeschriebene Prozedere, das an sich Missbrauch verhindern soll. Zuallererst bedürfen sterbewillige Personen – Voraussetzung ist eine schwere Krankheit (siehe Wissen unten)– der Kooperation von zwei Ärzten, von denen zumindest einer über eine palliativmedizinische Ausbildung verfügen muss. Die Mediziner müssen bestätigen, dass der/die Betroffene wirklich entsprechend krank ist sowie in vollem Bewusstsein und aus freiem Willen heraus entschieden hat. Außerdem ist Aufklärung vorgeschrieben – vor allem über Alternativen zum Suizid.

Doch kein Arzt ist zu all dem verpflichtet, jeder kann ablehnen. Gerade auf dem Land, wo Ordinationen ohnehin rar gesät sind, könne die Suche eine Pein werden, fürchten die Kritiker – zumal die Idee des assistierten Suizids in der Zunft nicht gerade Begeisterung auslöste. Die Ärztekammer stemmte sich ebenso gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe wie die Österreichische Palliativgesellschaft (OPG).

Widerstand von Medizinern

„Weder den Tod hinauszögern noch verfrüht herbeiführen“: So fasst Dietmar Weixler den Berufsethos seines Standes zusammen. Aus dem engeren Kreis der rund 200 Ärztinnen und Ärzte, die in der Palliativmedizin große Erfahrungen hätten, werde niemand die Begutachtung eines Sterbewilligen übernehmen, prophezeit der OPG-Präsident: „Je mehr jemand auf unser Fach spezialisiert ist, desto geringer die Chancen.“ Er kenne jedenfalls keinen Kollegen, der zur Abwicklung eines Suizides bereit sei.

Genau das hat Weixler, ausgenommen freundlich, auch Frau R. geantwortet, die bei der OPG nach Kontakt zu einem Palliativarzt gefragt hat. Die 33-Jährige ist nicht in eigener Sache auf der Suche. Ihre Mutter leidet an einem weit fortgeschrittenen Lungenkarzinom. Obwohl sie seit der niederschmetternden Diagnose im Herbst psychologisch und medizinisch gut betreut werde, wolle sie sich die Möglichkeit eröffnen, „ihrem Leiden selbstbestimmt ein Ende zu setzen“.

Ans Bett sei die Mutter gefesselt, erzählt die Tochter, sie könne zwischen großen Schmerzen und Dämmerzustand unter Medikation wählen: „Für sie ist es kein Leben mehr.“

Eine Absage nach der anderen

Seit Jahresbeginn hängt R. deshalb häufig am Telefon – und holt sich eine Absage nach der anderen. Sieben Ärzte habe sie bisher kontaktiert, sechs davon vergeblich. Nur die Hausärztin gab sich nicht abgeneigt; doch die wolle erst eine Einschulung durch die Ärztekammer abwarten.

Die wird es aber wohl nicht geben. Ein Schulungsprogramm sei nicht geplant, so die Auskunft der Kammer, das Gleiche gilt für einen zentralen Wunsch von Betroffenen und ihren Fürsprechern. Für ein Register aller Mediziner, die zur Begutachtung bereit sind, fehlten der Ärztekammer die Möglichkeiten, sagt Präsident Thomas Szekeres. Schließlich müsste dieses stets aktuell gehalten werden.

Wenn, dann sei das Aufgabe der öffentlichen Hand, fügt der Interessenvertreter an, doch das grün geführte Gesundheitsministerium sieht das anders. Das Gesetz sehe keine solche Liste vor, heißt es auf Anfrage.

Szekeres glaubt dennoch, dass sich genügend bereitwillige Ärzte finden lassen werden, auch solche mit palliativmedizinischer Ausbildung: Immerhin haben laut Kammer derzeit 3704 Mediziner ein derartiges Diplom. Die Standesvertretung mache jedenfalls keinerlei Stimmung gegen die Suizidbeihilfe.

Ermutigende Signale

Mit der ärztlichen Abklärung ist es aber noch nicht getan. Im nächsten Schritt braucht es einen Notar, um in einer Sterbeverfügung den Entschluss zum Suizid festzuhalten. Erst dann kann das todbringende Präparat Natrium-Pentobarbital – sofern angeboten – in einer Apotheke abgeholt werden. Wieder gilt: Niemand ist zur Mitwirkung verpflichtet.

In einem Schreiben an den Aktivisten Reif demonstriert die Notariatskammer viel guten Willen. So seien Informationsveranstaltungen und Seminare für die 535 Notarinnen und Notare geplant, die Länderkammern sollten alsbald auf Anfrage bereitwillige Ansprechpartner nennen können. Mit mangelndem Angebot sei nicht zu rechnen.

Für eine umfassende Bilanz ist es natürlich zu früh. Wie viel Schikane in den Regeln letztlich steckt, wird sich nach und nach herauskristallisieren. Immerhin mischen sich unter die bei den Vertretergruppen eintrudelnden Klagen auch schon Berichte, dass Sterbewillige Ärzte aufgetrieben haben. Die um ihr Augenlicht bangende Frau B. zählt dazu. Über Facebook habe sie einen Palliativmediziner gefunden, wenn auch weit weg vom Wohnort. Doch sie frage sich, schickt B. nach, wie das jemandem gelingen soll, dem die Krankheit bereits viel mehr zugesetzt hat als ihr.

Mit einer Unterschrift ist es nicht getan: Wer sich zum vorzeitigen Lebensende entschließt, auf den wartet ein aufwendiges Prozedere. Niemand ist zur Kooperation verpflichtet. (Gerald John, 24.1.2022)

WISSEN: Der Weg zum assistierten Suizid

Nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes ist die Beihilfe zum Suizid nicht mehr grundsätzlich verboten, das mit Jahresbeginn in Kraft getretene Sterbeverfügungsgesetz legt Bedingungen fest. Die sterbewillige Person muss demnach volljährig sein und an einer unheilbaren, zum Tod führenden oder schweren, dauerhaften Krankheit leiden, die sie in der „gesamten Lebensführung“ dauerhaft beeinträchtigt. Das mehrstufige Prozedere beginnt mit der Begutachtung durch zwei Ärzte, von denen einer eine palliativmedizinische Ausbildung haben muss. Bestätigt werden muss, dass die betroffene Person nicht nur entsprechend krank, sondern auch entscheidungsfähig ist und einen selbstbestimmten Beschluss gefasst hat. Dazu kommt Aufklärung über Alternativen. Nach einer Bedenkzeit von zwölf Wochen – für Patienten in der „terminalen“ Phase zwei Wochen – darf in der Folge eine für ein Jahr gültige Sterbeverfügung bei einem Notar oder einer gesetzlichen Patientenvertretung errichtet werden. Diese berechtigt dazu, ein tödliches Medikament – Natrium-Pentobarbital – in einer Apotheke abzuholen. Den letzten Akt der Einnahme muss der/die Betroffene aber selbst vornehmen. (jo)