Dies & Das: Alpengletscher schmelzen mit beispielloser Geschwindigkeit

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Alpengletscher schmelzen mit beispielloser Geschwindigkeit

Vergleich mit der Klimageschichte: Masseverlust der alpinen Gletscher ist deutlich höher als der Schnitt der vergangenen 6.000 Jahre

Die Gletscher der Alpen verlieren an Substanz. Im Bild: Die Unterseite des Zinalgletschers in der Schweiz.
Foto: APA/ EPA/VALENTIN FLAURAUD

Der Eisverlust, den wir seit einigen Jahren beobachten, sucht in der jüngeren Geschichte seinesgleichen. Weltweit 28 Billionen Tonnen Eis sollen sich laut einer Studie aus dem Vorjahr zwischen 1994 und 2017 in Wasser verwandelt haben. In den 1990er-Jahren waren es „nur“ 0,8 Billionen Tonnen pro Jahr, inzwischen sind es mehr als 1,2 Billionen Tonnen – das entspricht einem Eiswürfel mit rund zehn Kilometern Kantenlänge. Ironischerweise schmelzen mit den Gletschern auch Belege dafür, dass wir es tatsächlich mit einer seit der Jungsteinzeit einzigartigen Klimaentwicklung zu tun haben.

In manchen Regionen der Erde stemmen sich die Gletscher überraschend erfolgreich gegen den Klimawandel, in den meisten Breiten aber entscheidet jedes halbe Grad über sein oder nicht sein. Untersuchungen der Vergangenheit haben gezeigt, dass die Alpen zu den empfindlicheren Hochgebirgen zählen. Der Blick aus dem All bestätigt das: Der Vergleich von Satellitenbildern von 2003 bis 2016 belegt einen flächenmäßigen Rückgang der alpinen Gletscher um 13,2 Prozent. Umgerechnet entspricht das einer Gletscherfläche von 44 Quadratkilometern. Kein Wunder, dass manche Forscher den Alpengletschern keine achtzig Jahre mehr geben.

Die Eishaube auf der Weißseespitze war vor 120 Jahren noch über 50 Meter dick. Mittlerweile ist sie auf einen Meter zusammengeschmolzen.
Foto: Kries/CC BY-SA 2.5

Empfindliche Alpengletscher

Wie sehr dieser Klimatrend aus der Art schlägt, zeigen nun die Analysen von Eisbohrkernen und anderer Daten, die es Gletscherforschern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) erlauben, 6.000 Jahre in die Klimavergangenheit zu blicken. Die Proben stammen vom 3.498 Meter hohen Gipfel der Weißseespitze an der Grenze zwischen Tirol und Südtirol – einer idealen Umgebung, um nach altem Eis zu suchen.

Auf der gefrorenen Kappe des flachen, vergleichsweise gut zugänglichen Gipfels kommt es in einem nur sehr begrenzten Ausmaß zu Eisbewegungen. Diese schwindende Stabilität ermögliche einen guten Vergleich von Klima und Massebilanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart, erklärt Andrea Fischer vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der ÖAW. „Insgesamt gibt es hier noch zehn Meter Eis, dessen unterste Schicht etwa 6.000 Jahre alt ist“, so die Glaciologin. Vor 120 Jahren war die Eishaube noch mindesten 50 Meter dick.

Jahreszeiten ins Eis geschrieben

In seiner aktuellen Studie hat das Team um Fischer Eisbohrkerne von der Weißseespitze entnommen und genauer unter die Lupe genommen. In den Eiszylindern kann man man ähnlich wie bei Jahresringen von Bäumen den Gang der Jahreszeiten ablesen: „Helle Schichten bestehen aus lufthaltigem Wintereis, die dunklen Schichten enthalten Staub, Ruß und organische Ablagerungen, die Schmelzereignisse im Sommer anzeigen. Und sehr dunkle Schichten weisen auf ungewöhnliche, mehrere Wochen lange Warmphasen hin“, sagt Fischer.

Die aus den Schichtanalysen rekonstruierte Klimavergangenheit wurde mit Daten aus anderen Quellen kombiniert, etwa historische Aufzeichnungen und instrumentelle Messdaten, die in den Alpen bis 1770 zurückreichen.

Forschende der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entnehmen auf der Weißseespitze Eisbohrkerne.
Foto: ÖAW

Verbleibende Lebenszeit

Das Ergebnis untermauert vergleichbare bisherige Untersuchungen: „Der derzeitige Masseverlust ist deutlich höher, als der Schnitt der vergangenen 6.000 Jahre“. Momentan verliert der Gletscher der Weißseespitze im Schnitt 0,6 Meter Eis pro Jahr. Zwischen 1893 und 2018 sind in Summe rund 40 Meter Eis abgeschmolzen. Die Wissenschafter rechnen damit, dass in etwa zehn Jahren die Eiskappe komplett verschwunden sein wird.

Erstmals durchgeführte meteorologische Beobachtungen an der Eiskappe haben gezeigt, dass in den drei Jahren der Untersuchung der größte Teil der Akkumulation – also der Ablagerung von Schnee – zwischen Oktober und Dezember sowie von April bis Juni stattfand. Zwischen Jänner und März verhinderte allerdings Winderosion diese Schneeablagerung.

Gletschereis schmilzt in schmalem Zeitfenster

Die Schmelze fand zwischen Juni und September statt, wobei dies vor allem den frisch gefallenen Schnee betraf. Das Gletschereis selbst war nur während kurzer Zeiträume, hauptsächlich im August, betroffen. Aber diese wenige Tage im Jahr reichen schon für eine negative Massenbilanzen aus, schreiben die Wissenschafter im Fachjournal „Scientific Reports“. Solche Schmelzereignisse auf dieser Seehöhe seien in der Vergangenheit Einzelfälle gewesen.

Durch das Tauen der Gletscher geht für die Forscher „eines der wichtigsten Archive für extreme Klimaereignisse verloren“. Die im Eis gespeicherten Extremereignisse sind für die Forschung von enormem Interesse, weil speziell Ausreißer für die Sicherheit der Siedlungen in den Alpen auch in Zukunft ausschlaggebend sein werden.

Herausfordernde Datierung

Deshalb versucht das Forschungsteam möglichst viele Eisbohrkerne aus dem noch vorhandenen Eis zu entnehmen und für zukünftige Analysen zu konservieren. Älteres organisches Material im Eis lässt sich mit der Radiokarbonmethode grob datieren, nicht kaum aber für den Zeitraum, für den parallel auch Wetteraufzeichnungen und Gletschermessdaten existieren.

Durch die Entwicklung neuer quantentechnologischer Methoden zur Datierung auch jüngerer Eisschichten, etwa mithilfe der Untersuchung von Argon in Lufteinschlüssen im Eis, werden sich die Daten über das Klima der Vergangenheit weiter verfeinern. (tberg, APA, red, 26.1.2022)

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