Dies & Das: Zukunft der Ernährung

Das Essen, das für immer verschwinden könnte

Viele Nutzpflanzen sind bedroht, während einige wenige fast die gesamte Weltbevölkerung versorgen. Warum es laut Experten künftig wieder mehr Vielfalt in unserem Essen braucht

Monokulturen aus Weizen oder anderen Pflanzen: Die industrielle Landwirtschaft ist spezialisiert darauf, einzelne Lebensmittel in großem Stil zu produzieren. Durch den Klimawandel ergeben sich damit aber zunehmend Schwierigkeiten.
Foto: Jeff McIntosh/The Canadian Press via AP

Haben Sie schon einmal etwas von Emmer, Murnong oder schwarzem Mais gehört? Die Namen waren – je nach Region – einst ziemlich geläufig. Heute sind sie weitgehend in Vergessenheit geraten. Emmer, eine der ältesten kultivierten Getreidearten, Murnong, erdapfelähnliche Knollen, die vor allem von indigenen Völkern in Australien gegessen wurden, und schwarzer Mais, auch genannt Maíz morado, aufgrund seiner violett-schwarzen Farbe, der schon von den Azteken und heute noch vereinzelt in Peru kultiviert wird, sind heute so selten, dass man sie meist nur noch in einigen ausgewählten Geschäften findet.

Der Grund? Sie wurden in den vergangenen Jahrhunderten von Arten und Sorten verdrängt, die sich in größeren Massen produzieren ließen, besser zu transportieren waren oder Krankheiten eher standhielten. „Von den 6000 Pflanzenarten, die Menschen im Laufe der Geschichte gegessen haben, essen sie heute meist nur noch neun“, sagt Dan Saladino, ein britischer BBC-Journalist, der vor kurzem das Buch „Eating to Extinction“ veröffentlichte.

Zu den am häufigsten konsumierten Lebensmitteln zählen Reis, Weizen und Mais, die zusammen 50 Prozent aller weltweit konsumierten Kalorien ausmachen, und Erdäpfel, Gerste, Palmöl, Soja und Zucker, mit denen es rund 75 Prozent aller Kalorien sind. Gleichzeitig seien hunderte Pflanzenarten vom Aussterben bedroht, schreibt Saladino. Das führe dazu, dass unsere Ernährung heute weniger vielseitig sei als damals.

Schwarzer Mais wurde einst von den Azteken in Lateinamerika angebaut. Heute ist er relativ selten.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Schein von Vielfalt

Aber wie kann das sein? Noch nie war die Auswahl in den Supermärkten so groß: Tomaten, Avocados, Bananen oder Mangos sind dank Globalisierung das ganze Jahr über verfügbar, Brot, Reis, Nudeln, Müsli und andere Produkte stehen in vielen unterschiedlichen Variationen in den Regalen, ständig kommen neue Lebensmittel hinzu.

Doch der Schein der Vielfalt trügt, schreibt Saladino. Denn die Tomaten würden oft nur auf einige wenige Sorten zurückgehen, verschiedene Brot- oder Cornflakes-Variationen haben oft die gleiche Weizen- oder Maisbasis. Gleichzeitig befinde sich ein Großteil des weltweiten Saatguts in der Hand von lediglich vier Firmen, die Hälfte des Käses gehe auf Bakterien und Enzyme eines einzigen Konzerns zurück, ein Großteil der Bananen mache eine einzige Sorte, die Cavendish-Banane, aus.

Boom der Monokulturen

Grund dafür sei laut Saladino, dass sich die Landwirtschaft mithilfe staatlicher Unterstützung seit der Industriellen Revolution immer mehr darauf konzentriert habe, eine Handvoll Grundnahrungsmittel in großem Stil zu produzieren. Die Überlegung dahinter sei grundsätzlich verständlich: Durch größere Mengen und einheitliche Anbaumethoden sollte Hungersnöten und Nahrungsmittelknappheiten vorgebeugt und die wachsende Bevölkerung auf der Welt versorgt werden.

Doch der Ansatz beruhe letztlich auf kurzfristigem Denken. Denn wenn Monokulturen viele andere kultivierte Pflanzenarten verdrängen, gehen nicht nur traditionelles Wissen und Anbaukulturen verloren, sondern auch Geschmäcker, Gerüche, Nährstoffe und Texturen von Lebensmitteln. Gleichzeitig bestehe die Gefahr, dass die Pflanzen immer anfälliger gegenüber den Folgen des Klimawandels und Schädlingen werden.

Einseitigere Ernährung

Tatsächlich deuten einige Studien darauf hin, dass wir uns heute einseitiger ernähren als noch vor hundert Jahren. Forschende an der australischen James Cook University untersuchten etwa knapp 14.000 Gewebeproben, darunter Kollagen, Haare und Nägel von Menschen einer modernen städtischen Bevölkerung, Menschen in Subsistenzwirtschaft und Menschen vor 1910. Mithilfe einer Isotopenanalyse konnten die Forschenden ermitteln, ob und welches Fleisch und welche pflanzliche Nahrung gegessen wurde.

Das Ergebnis: Bei den untersuchten Menschen, die vor 1910, und modernen Menschen, die in Subsistenzwirtschaft leben, darunter beispielsweise einige indigene Völker, sei die Ernährungsvielfalt rund dreimal so groß wie bei den untersuchten modernen, städtischen Menschen. Die Begründung der Forscher ist ähnlich wie jene von Saladino: Die moderne Landwirtschaft konzentriere sich lediglich auf einige wenige Nutzpflanzen und Tiere. Supermärkte greifen auf dieselben globalen Lieferketten zurück, in den Regalen landen vermehrt dieselben Sorten.

Mehr Vielfalt durch Globalisierung

Lebensmittelwissenschafter wie Klaus Dürrschmid an der Boku in Wien mahnen bei solchen Studien allerdings zur Vorsicht, es sei schwierig, zu verallgemeinern. „Die Frage ist, wer sich früher vielfältig ernähren konnte: wahrscheinlich vor allem jene, die ganz oben in der sozialen Hierarchie standen“, sagt Dürrschmid im STANDARD-Gespräch. Zwar habe es tatsächlich eine Reduktion der Vielfalt bei vielen Obst- und Gemüsesorten ab dem 18. und 19. Jahrhundert in Europa gegeben, man habe sich zunehmend auf standardisierte und gut haltbare Lebensmittel konzentriert.

Gleichzeitig hätten die Globalisierung und der Import von Rohstoffen aus der ganzen Welt aber auch die gesamte europäische Gastronomie bereichert. „Wir sind heute wahrscheinlich mit wesentlich mehr Aromen und Lebensmittelvarianten konfrontiert als früher“, sagt Dürrschmid.

Auswirkungen durch Klimawandel

Trotzdem sei es laut Dürrschmid extrem wichtig, die Vielfalt der Pflanzenarten und -sorten künftig aufrechtzuerhalten. Denn traditionelle Arten wie Emmer, Murnong, schwarzer Mais und viele andere, die an die jeweiligen Regionen angepasst sind, hätten eine Reihe von Vorteilen gegenüber herkömmlichen Nutzpflanzen. Emmer sei beispielsweise oftmals resistenter gegenüber Umwelteinflüssen und enthalte mehr Proteine als herkömmliche Weizenarten. Auch Murnong, das größtenteils durch die Viehhaltung europäischer Kolonialisten und Siedler auf Australien im 18. und 19. Jahrhundert zerstört wurde und heute nur noch in einzelnen Regionen Australiens wächst, kann bis zu achtmal nährstoffreicher sein als Erdäpfel.

Mit dem Klimawandel wachse indes der Druck auf die großen Nutzpflanzen und Lebensmittel dieser Welt. Wie etwa auf Kaffee, dessen Bohnen in vielen Regionen auf meist nur eine Handvoll Pflanzenarten zurückgehen, obwohl es weltweit mehr als hundert verschiedene Arten gibt. So wurde beispielsweise Stenophylla-Kaffee beinahe vollständig von Arabica-Kaffee verdrängt, und das, obwohl Stenophylla-Pflanzen deutlich hitzebeständiger sind, größere Regenmengen vertragen und ihre Bohnen auch geschmacklich laut Experten den anderen um kaum etwas nachstehen.

Süß statt bitter

Anderen Nutzpflanzen wurde durch jahrzehntelange Kreuzungen der bittere Geschmack „weggezüchtet“. Das wiederum machte sie anfälliger für Schädlinge und erforderte einen höheren Einsatz von Pestiziden, wodurch Böden und Umwelt beschädigt wurden, sagt Saladino. Vor allem jene Pflanzen und Lebensmittel, deren großflächiger Anbau in den vergangenen Jahrzehnten am meisten Auswirkungen auf Umwelt und Klima hatte, darunter Weizen, Reis oder Soja (vor allem für Tierfutter oder auch Biotreibstoff), sind jene, die vom Klimawandel am stärksten betroffen sein werden – mit weitreichenden Folgen für die globale Nahrungsversorgung.

Was können Staaten und Regierungen gegen diese Entwicklung tun? Eine Möglichkeit, Pflanzenarten vor dem Aussterben zu bewahren, sind Saatgutbibliotheken. Die größte davon befindet sich auf der Insel Spitzbergen in Nordnorwegen. Dort sollen bei minus 18 bis minus 20 Grad bis zu 4,5 Millionen Samenproben für die Zukunft bewahrt werden.

4,5 Millionen Samen von Pflanzen aus aller Welt werden auf Spitzbergen aufbewahrt. Eine ähnliche Vielfalt brauche es laut Experten aber auch auf den Feldern.
Foto: APA/AFP/NTB Scanpix/HEIKO JUNGE

Gemeinschaften stärken

Doch so wertvoll Saatgutbibliotheken sein können, sie werden auch immer wieder kritisiert. Anstatt die große Vielfalt an Pflanzenarten gefroren am anderen Ende der Welt aufzubewahren, sollte sie schon heute auf den Feldern von Landwirten genutzt und bewahrt werden, sagen Wissenschafterinnen. Auch Saladino plädiert dafür, vor allem jene Gemeinschaften zu unterstützen, die sich seit Jahrzehnten tagtäglich mit der Erhaltung „traditioneller“ Pflanzenarten beschäftigen und diese für ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Schädlingen und anderen Umwelteinflüssen, ihren Geschmack oder ihre Haltbarkeit schätzen.

Neue Kommunikationstechnologien könnten Landwirten dabei helfen, sich mit Menschen direkt zu vernetzen und diesen ihre weniger bekannte Lebensmittel und Sorten näherzubringen, sagt Saladino. Schulkantinen könnten Lieferanten stärker anhand ihrer Sortenvielfalt und dem lokalen Anbau von Obst und Gemüse bezahlen, wie dies bereits in Städten wie Kopenhagen der Fall ist. Staaten könnten Förderungen für Landwirtschaften mit Monokulturen zurückschrauben und stattdessen Vielfalt stärker fördern.

Neue Vielfalt

Hoffnung für eine größere Vielfalt in der Zukunft gibt es genug. Nischenarten wie Emmer-Getreide gewinnen regional wieder an Bekanntheit. Stenophylla-Kaffee könnte bald in niedriger gelegenen Gebieten wieder vermehrt angebaut werden, und im Weinanbau machen neue Kreuzungen, wie etwa pilzwiderstandsfähige Rebsorten (Piwis), den Wein robuster gegenüber dem Klimawandel und weniger abhängig von Pestiziden.

„Es gibt eine große Gegenbewegung, die die Sortenvielfalt wieder mehr in die Supermärkte zurückholt“, sagt Dürrschmid. Vielleicht müssen wir uns dafür in manchen Fällen – auch geschmacklich – wieder an Lebensmittel gewöhnen, die bestimmte Regionen schon seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten bereichern. (Jakob Pallinger, 6.2.2022)

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