Wissenschaft Natur

Tierisches Comeback           12.März 2022

David Rennert 

Überblick

Biologe Kotrschal: "Wölfe werden aus Österreich nicht mehr verschwinden"

Der Wolfsexperte Kurt Kotrschal räumt in seinem neuen Buch mit Mythen rund um die Raubtiere auf – und plädiert für mehr Gelassenheit

Der Wolf blickt auf eine lange gemeinsame Geschichte mit dem Menschen zurück. Zuletzt wurde sie wieder konfliktreicher. Foto: Getty/iStock

Nicht viele Menschen kommen Wölfen je so nahe wie Kurt Kotrschal. Er hat Wolfswelpen per Hand aufgezogen, ist mit ausgewachsenen Tieren um die Wette gelaufen und hat zeitweise sogar bei ihnen im Wolfsgehege übernachtet. Kotrschal ist kein lebensmüder Draufgänger, sondern Verhaltensbiologe – und zählt zu den renommiertesten Wolfsforschern der Welt. Seit zwei Jahrzehnten beschäftigt er sich mit Wölfen und ihren domestizierten Verwandten, den Hunden, um der uralten Beziehung zwischen diesen Tieren und uns Menschen auf den Grund zu gehen.

Mehr als 35.000 Jahre reicht unsere gemeinsame Geschichte zurück – und Kotrschal ist überzeugt: Die Partnerschaft zwischen unseren Vorfahren und Wölfen war eine der größten Innovationen der Menschheitsgeschichte. Wölfe und Menschen waren die Spitzenjäger der Altsteinzeit, ihre Kooperation entpuppte sich als unschlagbar. Denn die auf den ersten Blick ungleichen Arten hatten viel mehr gemeinsam, als man meinen könnte. In Sachen Jagdtechnik, Beutespektrum, aber auch in der Sozialstruktur gab es zwischen den Jägern und Sammlern Eurasiens und Wölfen verblüffende Ähnlichkeiten.

Kooperation auf Augenhöhe

„Die altsteinzeitlichen Menschen waren in Clans organisiert, genauso wie Wolfsrudel“, sagt Kotrschal zum STANDARD. „Und diese Familienverbände funktionierten ganz ähnlich: Innerhalb der Gruppe gab es eine flache Hierarchie, es wurde weitgehend ohne Aggressionen zusammengearbeitet, etwa beim Jagen, beim Aufziehen der Jungen, beim Abwehren von Feinden. Und es gab einen Grundrespekt vor den Älteren.“ Fremde Rudel werden von Wölfen dagegen als Konkurrenz wahrgenommen und bekämpft – auch das erinnere frappierend an den Menschen, sagt Kotrschal. „Wölfe ticken sozial wie wir.“

Kurt Kotrschal mit einem Bewohner des von ihm mitbegründeten Wolf Science Centers in Ernstbrunn. Foto: Corn

Durch Selektion und genetische Anpassung an das Leben mit Menschen wurden aus zahmen Wölfen im Lauf der Zeit die ersten Hunde. Als die Menschen sesshaft wurden, war es mit der Partnerschaft auf Augenhöhe vorbei: Aus den Jägern und Sammlern wurden Bauern, es entstanden hierarchische Gesellschaften, in die sich auch die Hunde einzuordnen hatten. „Hunde können sich rasch an neue Gegebenheiten anpassen, und so hat jede Kultur, jede Gesellschaft ihre eigenen Hunde – das ist bis heute so“, sagt Kotrschal.

Während die domestizierten Vierbeiner eine wichtige Hilfe des Menschen blieben und mit ihnen nach und nach die Welt eroberten, änderte sich das Verhältnis zum wilden Wolf. Dass er vor Nutztieren nicht haltmacht und als Aasfresser auch menschliche Überreste nicht verachtet, brachte ihn im Mittelalter in Verruf. Die zunehmend leergejagten Wälder verschärften das Konfliktpotenzial, das bald auch politisch instrumentalisiert wurde: Herrscher gingen persönlich auf Wolfsjagd, die Raubtiere wurden in vielen Regionen Europas ausgerottet.

Renaissance der Beutegreifer

Ganz verschwunden waren die Wölfe aus Europa aber nie, in jüngerer Vergangenheit wachsen ihre Populationen wieder deutlich: Strenge Schutzbestimmungen und die hohe Wilddichte in den heutigen Wäldern machten ihre Rückkehr möglich – auch nach Österreich. „Eigentlich sind die Jäger durch ein ökologisch weitgehend dysfunktionales Wildmanagement dafür verantwortlich: Noch nie gab es so viel Wild als Nahrungsangebot in Mitteleuropa wie heute“, sagt Kotrschal.

Mit den Raubtieren hielt auch eine emotionale Debatte Einzug, in der sich vor allem zwei Positionen Gehör verschaffen: Hysterie und Angst auf der einen Seite, ein romantisch-verklärtes Naturbild auf der anderen. Der Wolf, so scheint es, steht auch symbolisch für die Frage, wie wir in Zeiten des Artensterbens und der Klimakrise mit der Natur umgehen.

Wenig überraschend sieht Kotrschal die Rückkehr der Wölfe positiv, er macht neben ethischen Aspekten vor allem einen hohen ökologischen Nutzen aus. Wie Studien zeigen, prägen große Beutegreifer wie Wölfe oder aber Bären und Luchse ihren Lebensraum, indem sie das Verhalten anderer Arten beeinflussen, was Ökosysteme stabilisiert. Aber soll man eine nachhaltige Renaturierung wirklich den Raubtieren überlassen? In seinem neuen Buch „Der Wolf und wir“, das am 14. März erscheint, plädiert der Biologe für einen pragmatischen Zugang zum Thema: „Ob man dafür ist oder nicht, spielt letztlich keine Rolle, die Wölfe werden nicht mehr verschwinden. Wir müssen also daran arbeiten, möglichst konfliktfrei mit ihnen zu leben.“

Illegaler Abschuss

Wie sehr Canis lupus, wie der Wolf wissenschaftlich heißt, polarisiert, zeigt sich, wann immer er neu auftaucht. Eine Premiere in der Zweiten Republik gab es 2016, als im niederösterreichischen Allentsteig ein aus Deutschland eingewandertes Wolfspaar ein erstes Rudel gründete und Nachwuchs bekam. In den darauffolgenden Jahren bildeten sich in Nieder- und Oberösterreich weitere Rudel, etablieren konnten sich diese aber nicht: Während in der Lokalpresse Angst geschürt wurde und Rufe nach Abschüssen der „Problemwölfe“ laut wurden, verschwanden die meisten nachgewiesen Tiere wieder.

„Der Wolf kommt deshalb nur langsam nach Österreich zurück, weil es viele illegale Abschüsse gibt“, sagt Kotrschal. „Es wird geschossen, geschaufelt und geschwiegen, was das Zeug hält.“ Störende Wildtiere einfach zu töten sei angesichts der aktuellen Biodiversitätskrise nicht nur völlig aus der Zeit gefallen, sondern auch sinnlos: Wölfe sind Weitwanderer, die auf der Suche nach einem Revier enorme Strecken zurücklegen. Wird ein Tier abgeschossen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis das nächste auf der Suche nach einer neuen Heimat auftaucht. Das Einzige, was den Zuzug neuer Wölfe in ein Gebiet sicher verhindern kann, ist ein bereits etabliertes Wolfsrudel.

Grenzenlose Wanderer

An vierbeinigen Einwanderern nach Österreich mangelt es nicht, bis zu 50 Tiere kommen derzeit jährlich über die Landesgrenzen. In Italien und Frankreich gibt es wieder größere Wolfspopulationen, aber vor allem Deutschland hat sich zu einem Hotspot entwickelt: An die 180 Rudel dürfte es im Nachbarland inzwischen geben, insgesamt sei von 2000 bis 3000 Tieren auszugehen, sagt Kotrschal: „Deutschland hat die weltweit am schnellsten wachsende Wolfspopulation.“

Dass es wenig Sinn macht, die mobilen Tiere im Alpenraum getrennt voneinander zu betrachten, hat inzwischen auch die Politik verstanden: Erst vor wenigen Tagen einigten sich Deutschland, Österreich und Italien auf ein gemeinsames Wolfsmonitoring.

Umfragen zufolge steht die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher den Wölfen positiv gegenüber. Er verstehe, dass es in Teilen der Landbevölkerung Verunsicherung gebe, sagt Kotrschal. „Aber die Leute werden sich daran gewöhnen – man sieht ja, was in Ländern mit relativ hohen Wolfsdichten passiert: nichts. Viele glauben, Wölfe seien wahnsinnig aggressiv, aber das stimmt nicht.“ Während jährlich dutzende Menschen von Pferden oder Hunden getötet würden und es regelmäßig Verletzungen durch Wildschweine gebe, seien gefährliche Begegnungen von Menschen und Wölfen extrem selten. In den allermeisten Fällen würden Menschen die Anwesenheit von Wölfen nicht mitbekommen, sagt der Biologe. Die Vierbeiner seien zwar neugierig, aber auch sehr scheu und vorsichtig.

Sollte man dennoch einem Wolf begegnen, könne man eine Drohkulisse aufbauen: „Im Gegensatz zu Bären, bei denen man eher höflich und langsam den Rückzug antreten sollte, lassen sich Wölfe durch menschliches Machogehabe beeindrucken“, sagt Kotrschal. Das heißt: sich groß machen, laut werden, einen Stein werfen. Auf keinen Fall sollte aber versucht werden, das Tier anzulocken oder gar zu füttern – ein Wolf, der Scheu und Respekt verliert, könnte zum Problem werden.

Herdenschutz statt Widerstand

Für Spaziergängerinnen und Pilzsucher ändere sich durch ein heimisches Wolfsrudel aber nichts, die Märchen der Gebrüder Grimm seien keine seriöse Informationsquelle, sagt Kotrschal. In der Weidetierhaltung gebe es hingegen Handlungsbedarf: Die schlauen Wölfe merken schnell, wenn es in der Nähe leichte Beute zu holen gibt. Hier müsse dringend auf Herdenschutz gesetzt werden, um Konflikten vorzubeugen – im Flachland mit stromführenden Zäunen, im Gebirge könnten etwa Hirtenhunde zum Einsatz kommen.

Dass sich aber vor allem die Jägerschaft gegen den Wolf stellt, ist für Kotrschal unverständlich: „Die Schafe gehören ihren Haltern, das Wild aber nicht den Jägern. Wie der Wolf auch, haben Jäger ein Aneignungsrecht, mehr nicht.“ (David Rennert, 12.3.2022)

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