Klimaresistenz         Susanne Strnadl      28. Februar 2022   

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Suche nach Pflanzen für eine Zukunft der Extreme

Der Klimawandel macht vor Kulturpflanzen nicht halt. Die moderne Pflanzenzucht sucht nach Lösungen – und setzt dabei auf eine Kombination aus Kreuzung und Selektion

Arten, die bisher hervorragend an ihren Standort angepasst waren, könnten durch die Folgen des Klimawandels künftig in Bedrängnis geraten. Forschende suchen nach Auswegen. Foto: Imago / Jan Eifert

Seit seiner Sesshaftwerdung vor rund 10.000 Jahren wählt der Mensch aus dem natürlichen Reservoir von Pflanzen jene Exemplare, die für seine Zwecke am besten geeignet sind. Seit etwa 200 Jahren wird zudem mit Kreuzungen experimentiert. Die gewünschten Eigenschaften der Eltern gelangen in die nächste Generation, aus der dann wieder die passendsten Individuen zusammengebracht werden und so fort.

Grundsätzlich wird auf diese Art noch immer gezüchtet – heute allerdings zunehmend mithilfe von High-Tech-Methoden. Die daraus resultierende Mischung nennt sich Digitales Züchten oder auch Digital Breeding. „Ein guter Teil der Züchtungsarbeit besteht darin, den Gesundheitszustand und das Wachstum der Pflanzen auf dem Feld oder im Glashaus optisch zu beurteilen“, weiß Hermann Bürstmayr, Leiter des im niederösterreichischen Tulln ansässigen Instituts für Biotechnologie in der Pflanzenproduktion der Universität für Bodenkultur Wien. Heutzutage wird dabei immer mehr mit hochauflösenden Kameras experimentiert, die auch für Menschen unsichtbare Wellenlängen, wie Ultraviolett oder Infrarot, messen können.

Coole Pflanzen auf Infrarotbildern

„Die Kameras sind sozusagen unser drittes Auge“, sagt Bürstmayr. Mit ihrer Hilfe lassen sich etwa aus der Menge von Pflanzen leichter Individuen mit einem gut ausgebildeten Wurzelsystem finden: „Bei Trockenstress verdunsten die Pflanzen mehr, wenn sie ein gutes Wurzelsystem haben, können sie mehr verdunsten, was sich in einer leicht reduzierten Temperatur der Blätter niederschlägt.“ Das sehe man dann auf den Infrarotbildern. Solche „coolen“ Individuen würden sich in der Folge etwa für Kreuzungen anbieten, an deren Ende eine hitzeresistente Sorte stehen soll. Mit herkömmlichen Methoden sind für die Identifizierung der passenden Pflanzen langwierige Anbauversuche nötig. Digitale Methoden, die derzeit noch in Entwicklung sind, könnten helfen, effizienter stressresistente Sorten zu finden.

Neben den verbesserten Möglichkeiten der optischen Prüfung kommt beim SMART-Breeding (SMART für Selection with Markers and Advanced Reproductive Technologies, Präzisionszüchtung durch markergestützte Selektion) noch eine zweite Methode zum Einsatz: der genetische Fingerabdruck. Dabei wird für jede Pflanze ein individuelles DNA-Profil erstellt. Kennt man die genetischen Gegebenheiten der Eltern und ihrer jeweiligen Nachkommen, lassen sich begründete Annahmen darüber machen, an welcher Stelle des Genoms eine bestimmte gewünschte Eigenschaft codiert ist. Ist der entsprechende DNA-Abschnitt bekannt, lassen sich passende Individuen für bestimmte Kreuzungsziele ohne vorhergehende Versuche finden.

Resistent gegen Pilze

Eine gewünschte Eigenschaft kann auch die Widerstandsfähigkeit gegen einen bestimmten Krankheitserreger sein. Bürstmayr und sein Team forschen derzeit an der Resistenz gegen Steinbrand, eine von einem Pilz verursachte Krankheit des Weizens. Befallenes Getreide verströmt einen intensiven Fischgeruch, der seine Verwendbarkeit massiv einschränkt. Lange Zeit schien das Problem gelöst: Qualitätsgeprüftes Saatgut wird in Europa gewöhnlich gebeizt, also mit einer Schicht aus Wirkstoffen überzogen, die es unter anderem vor Pilzen schützt, und ist daher für den Steinbrand nicht anfällig. In den letzten Jahren tritt die Krankheit jedoch wieder vermehrt auf. Das liegt Bürstmayr zufolge einerseits am zunehmenden Biolandbau, in dem nicht gebeizt werden darf, andererseits an ungeprüftem und nachlässig gebeiztem Saatgut aus privaten Quellen.

Für die Züchtung resistenten Weizens brauchte Bürstmayrs Gruppe Weizensorten, die gegen die Krankheit von Natur aus widerstandsfähig sind. Kein leichtes Unterfangen, denn mit der Beizung war diese Eigenschaft unnötig geworden, weshalb man sie zugunsten anderer Zuchtziele aufgegeben hatte. Fündig wurden die Wissenschafter schließlich in den USA. Eine dortige Genbank stellte ihnen zwei resistente Sorten zur Verfügung: Die eine stammt aus den USA selbst, wird dort aber seit den 1980er-Jahren nicht mehr angebaut und entspricht auch den heutigen Ansprüchen der Landwirtschaft in Österreich nicht. Bei der zweiten handelt es sich um eine sehr alte Sorte aus Anatolien, die laut Bürstmayr „superresistent gegen den Steinbrand“ ist, aber dazu andere Eigenschaften hat, die sie für moderne Landwirte höchst unattraktiv machen.

Optimiert ohne Gentechnik

In zahlreichen Kreuzungsversuchen mit anderen Sorten erstellten die Wissenschafter den genetischen Fingerabdruck sowohl der Eltern- als auch der jeweiligen Tochtergenerationen. Dabei zeigte sich, dass die Steinbrandresistenz bei der amerikanischstämmigen Weizenlinie durch zwei Gene zustande kommt, die zusammenarbeiten, während in der Anatoliensorte nur ein einziges Gen dafür verantwortlich ist. Der nächste Schritt war die Kreuzung mit Sorten, die den modernen Anforderungen der Landwirtschaft entsprechen, wie etwa Ertragsleistung oder Backqualität, also die Eignung für die Lebensmittelherstellung. Nach zwei Jahren im Labor erfolgte vergangenen Sommer der erste versuchsweise Anbau. „Bis jetzt sieht es sehr gut aus“, freut sich Bürstmayr, „der größte Teil der selektierten Linien erfüllt die Erwartungen in puncto Resistenz.“ Wie gut sich die neuen Pflanzen auf den anderen Gebieten bewähren, wird nun geprüft.

Gentechnisch ins Erbgut eingegriffen wird dabei nicht: Der genetische Fingerabdruck ist eine reine Bestandsaufnahme, um die erwünschten krankheitsresistenten Varianten auszuwählen. Die neuen widerstandsfähigen Zuchtlinien werden durch Selektion und Kreuzung erreicht. Deswegen sind die Resultate daraus auch im Biolandbau anwendbar. Außerdem muss die traditionelle Landwirtschaft laut EU-Green-Deal ihren Einsatz von Agrarchemikalien bis 2030 halbieren, und das Ausbringen von gentechnisch veränderten Pflanzen dürfte für absehbare Zeit keine Option bleiben. Da kommen solche nichtinvasiven Methoden gerade recht. Die Forschung daran sollte aber keinesfalls nur durch private Firmen erfolgen, betont Bürstmayr, sondern auch durch Universitäten und ähnliche Institutionen, die nicht ausschließlich wirtschaftliche Ziele verfolgen. (Susanne Strnadl, 28.2.2022)

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