Neues Maximum bei der Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes

Wie Satellitendaten zeigen, wurden im April mehr als 1.000 Quadratkilometer des Amazonas-Regenwaldes gerodet. Ein Kipppunkt könnte immer näher kommen

Rauchschwaden im Amazonas-Regenwald: Für den Monat April wurde ein neuer Höchststand der Rodung erreicht, der das alte Maximum aus dem vergangenen Jahr enorm übersteigt.
Foto: Bruno Kelly / Reuters

Ein neuer Rekord reiht sich ein bei den bisher gemessenen Dezimierungen des brasilianischen Regenwalds. Am Amazonas wurden allein im vergangenen April mehr als 1.000 Quadratkilometer Wald abgeholzt, wie offizielle Satellitendaten der Raumfahrtbehörde Brasiliens (Inpe) zeigen. Der bisherige Höchstwert für den Monat lag wesentlich niedriger: bei 580 Quadratkilometern, einer Waldfläche, die bereits im Vorjahr ein neues Maximum markierte und größer ist als der Bodensee.

Nun war die Fläche fast doppelt so groß. „Diese Zahl ist extrem hoch für diese Zeit des Jahres“, erklärte die wissenschaftliche Leiterin des brasilianischen Büros des WWF, Mariana Napolitano. „Das ist ein Alarmsignal für den immensen Druck, dem der Wald ausgesetzt ist.“ Bereits im Jänner und im Februar hatten die Behörden neue monatliche Höchstwerte verzeichnet.

Zerstörung eines Ökosystems

Schon im Zeitraum August 2020 bis Juli 2021 wurde der Abholzungsrekord des Vorjahreszeitraums gebrochen. Innerhalb eines Jahres wurden mehr als 13.000 Quadratkilometer zerstört – beinahe 22 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Zuletzt wurde vor 15 Jahren so viel Regenwald innerhalb von 12 Monaten vernichtet.

Gleichzeitig weisen mehr und mehr Studien auf die Dringlichkeit hin, die Rodungen zu stoppen. Einerseits werden durch die Brände enorme Mengen an Kohlenstoffdioxid an die Atmosphäre abgegeben, rund ein bis zwei Gigatonnen CO2 im Jahr. Zum Vergleich: Global werden insgesamt etwa 50 Gigatonnen an Treibhausgas-Emissionen produziert.

Andererseits wird die „grüne Lunge“ der Erde geschädigt – und ein wertvolles Ökosystem, das unter anderem Menschen, Tieren und Pflanzen einen Lebensraum gibt. Etwa fünf Prozent der von Menschen verursachten CO2-Emissionen nimmt der Regenwald im Amazonasbecken auf und bildet Sauerstoff und Biomasse. Rechnet man dies mit der Brandrodung gegen, stellten Forschende im vergangenen Jahr fest, dass die Brände im Regenwald mittlerweile mehr CO2 ausstoßen, als die Bäume aufnehmen.

Gefahr des Kipppunkts

Die Resilienz des Waldes ist in der Folge bereits stark zurückgegangen – also seine Fähigkeit, sich von Störungen wie Trockenheit oder auch Bränden zu erholen. Dies ist bei mehr als drei Vierteln des Regenwaldes der Fall, wie die Auswertung von Satellitenbildern im Rahmen einer kürzlich veröffentlichten Studie zeigt.

Insgesamt gehen Fachleute davon aus, dass schon 17 bis 20 Prozent der mehr als fünf Millionen Quadratkilometer gerodet wurden – eine Fläche, die größer ist als die Europäische Union. Die Vergleichszahlen sind in den Studien nicht immer einheitlich, doch es ist deutlich, dass die Rodungen immens sind und bald ein noch fataleres Ausmaß erreichen könnten. Denn wenn 20 bis 25 Prozent der Amazonas-Walddecke zerstört werden, könnte ein Kipppunkt des Systems erreicht sein, so die Schätzungen.

Kipppunkte: So radikal könnten sie das Klima verändern

Video Dauer: 8:04 Minuten

Werden Kipppunkte überschritten, wäre die Erderhitzung nicht mehr aufzuhalten – ein sich selbst verstärkender Teufelskreis. Wie funktionieren sie und stehen wir schon an der Kippe?

Damit ließe sich die Entwicklung der Amazonasregion hin zu einer Savanne nicht mehr aufhalten; bereits jetzt ist es in der Region um etwa 0,9 Grad wärmer sowie wesentlich trockener geworden. Die Konsequenzen würden aber über Brasilien hinausgehen, auch international könnte es zu mehr Dürren und Überschwemmungen kommen.

Umweltpolitik gefragt

Unter dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro hat die Vernichtung des Regenwaldes dramatisch zugenommen. Umwelt- und Klimaschutzorganisationen machen dafür direkt die Politik Bolsonaros verantwortlich, dem sie eine Begünstigung illegaler Rodungen vorwerfen. Bolsonaro hatte schon im Wahlkampf angekündigt, das Amazonasgebiet stärker wirtschaftlich zu erschließen, und öffnete immer wieder Schutzgebiete für Landwirtschaft und Bergbau.

„Die Regierung Bolsonaro leistet der Abholzung und der Umweltkriminalität Vorschub, und was wir ernten, sind diese schrecklichen, beängstigenden, empörenden Zahlen“, sagte der Leiter des Aktivistennetzwerks Climate Observatory, Marcio Astrini, der Nachrichtenagentur AFP. Die NGO Greenpeace fordert angesichts dieser Umweltbilanz auch von der EU, Agrarprodukte aus dem Land nicht mehr unkontrolliert nach Europa liefern zu lassen. (sic, APA, 7.5.2022)

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