Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker: Die Unsteuerbare

Porträt Lisa Nimmervoll vom 19. Juni 2022                        

 

Dies & Das: Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker: Die Unsteuerbare

Am 1. Juli geht Margit Kraker in die zweite Halbzeit ihrer zwölfjährigen Periode als Präsidentin des Rechnungshofs.

Foto: Regine Hendrich

Damals, im Jahr 2016, stand die große Koalition auf dem Spiel. Heute ist es die ÖVP, die sich politisch in größter Not befindet – und beide Male war oder ist Margit Kraker mittendrin. Wenn auch in komplett unterschiedlichen Rollen.

Wer ist die Frau, die vor sechs Jahren als ÖVP-Kandidatin in einer parteipolitischen Taktikhölle zur ersten Präsidentin des Rechnungshofs (RH) gekürt wurde und die jetzt der Volkspartei ein vernichtendes Zeugnis über die türkisen Parteifinanzen ausgestellt hat?

Kraker und ihre Prüferinnen und Prüfer halten die von der ÖVP angegebenen Zahlen über die Wahlkampfkosten im Jahr 2019 für so unglaubwürdig, dass sie erstmals einen Wirtschaftsprüfer oder eine Wirtschaftsprüferin in die Parteizentrale schicken, um die Angaben vor Ort zu kontrollieren. Damals verantwortlich als Generalsekretär: Karl Nehammer, jetzt Kanzler und ÖVP-Chef.

„Das werde ich aushalten“

Das hatte bei der Wahl der neuen Chefin des obersten Kontrollorgans der Republik fast niemand erwartet. Im Gegenteil. So viel Vorschussmisstrauen war selten. Kraker selbst sagte damals zum Tumult um sie herum: „Das werde ich aushalten.“ Sie sei nicht wehleidig, meinte die 61-Jährige, deren Mann Vizerektor der PH Baden ist, sie hat zwei erwachsene Söhne aus erster Ehe, er auch.

Krakers Geschichte ist die Geschichte einer fast geräuschlosen Befreiung einer hochqualifizierten Frau aus den Klauen der Parteipolitik. Die ihre Funktion zwar einer Klüngelei verdankt, die aber keine Sekunde daran gedacht hat, sich dafür zu bedanken. Und es ist eine weibliche Emanzipationsgeschichte. Denn die Figuren auf dem politischen Schachbrett platzierten und verschoben damals nur Männer.

Ein Netz aus Koalitionstricks

Zuerst auch hinter dem Rücken der beiden Männer an der Regierungsspitze: Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Kern erinnert sich im STANDARD-Gespräch: „Das war in Wahrheit der erste größere Konflikt mit der ÖVP.“ Eigentlich sei ausgemacht gewesen, dass sich Rot-Schwarz einvernehmlich auf eine Kandidatin oder einen Kandidaten einigt. „Davon sind wir ausgegangen.“ Auch Mitterlehner tat das.

Dem ÖVP-Chef aber drohte Ungemach aus dem eigenen Parlamentsklub, er spricht heute von „einem Gefüge aus Koalitionstricks“. Denn obwohl das Regierungsübereinkommen SPÖ und ÖVP verpflichtet hatte, gemeinsam vorzugehen, schloss ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka einen Beschluss gegen die Stimmen des Koalitionspartners nicht aus.

Im Hintergrund lauerte das Szenario, dass im dritten Wahlgang die FPÖ-nahe Spitzenbeamtin Helga Berger von ÖVP und Freiheitlichen gewählt werden könnte. Als zweite Kandidatin wollte der ÖVP-Klub Kraker, damals seit drei Jahren Chefin des steirischen Rechnungshofs, ins Rennen schicken.

Der maximale Kompromiss

Das war nun nicht der „Stil“, den Mitterlehner und Kern haben wollten, und sie schmiedeten einen anderen Plan – indem Kraker für die SPÖ wählbar gemacht wurde. Bei einem Abendessen im Schwarzen Kameel traf Kern den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer, „der mir diese Kraker, die mir vollkommen unbekannt war, schmackhaft machen sollte“, erzählt der Ex-Kanzler: „Die ist ordentlich.“

Schützenhöfer wollte aber auch seine langjährige Büroleiterin schlicht nicht als reine Zählkandidatin in Wien vorführen lassen. Kern vertraute ihm: „Der SPÖ-Klub war schon angefressen, und auch ich hatte kein Gewinnergefühl damals. Aber Kraker war die Auflösung dieses Knotens. Realpolitisch war das der maximale Kompromiss.“

Ein Start mit Kollateralschäden

Am 16. Juni 2016 wurde sie gewählt. Die Koalition war gerettet. Die Kollateralschäden hatte die neue RH-Präsidentin zu tragen: Sie ging mit der Punze, die Profiteurin einer parteipolitischen Taktikkaskade zu sein, in ihre zwölfjährige Amtszeit – und belehrte alle eines Besseren. Und zwar schnell. Ihre ÖVP-Parteimitgliedschaft stellte sie ruhend, und sie gelobte Äquidistanz, also gleich weit entfernt von allen Parteien, Personen oder Einrichtungen zu sein, die sie als Rechnungshofchefin vielleicht irgendwann prüfen muss.

Diese Äquidistanz verkörpere sie nachgerade habituell, wird der Juristin, die ihre ersten beruflichen Jahre im ÖVP-Parlamentsklub und danach im steirischen Landtagsklub verbrachte, allseits bescheinigt. Ex-ÖVP-Chef Mitterlehner, der sie damals „persönlich kaum kannte“ und auch als Vizekanzler „mit ihr gar nicht so viele Gespräche hatte, was aber fast eine Auszeichnung ist, weil sie die Parteien komplett neutral behandelt“, sagt über Kraker: „Sie ist absolut objektiv und korrekt.“

„Null verhabernd“

Kern, mittlerweile Unternehmer, hat sein Ersturteil schnell revidiert. Auf Twitter nannte er Kraker jüngst „einen Glücksfall für das Land“. Er sagt: „Wir waren damals nicht wahnsinnig begeistert von ihr, aber das war eine Fehleinschätzung, die ich mit dem Ausdruck des Bedauerns zurücknehme. Sie ist allen gleichmäßig auf die Zehen gestiegen, nie als Hütchenspielerin in Erscheinung getreten, die ihre Leute schützen möchte.“ Als Kanzler habe er sie „sehr konstruktiv, sehr bemüht und null verhabernd“ erlebt.

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung nahm Kraker auf diese sehr österreichische Form der politischen Beziehungspflege Bezug. Gefragt, ob man, wenn man so in ein Amt starte wie sie – Stichwort Packeleiprodukt –, „weniger steuerbar“ werde, antwortete sie: „Weniger? Ich bin überhaupt nicht steuerbar. Auf Wienerisch sagt man, man sei hier ,verhabert’. Das war ich nicht und bin ich nicht.“

Eine rhetorische Anspielung auf die bald anschließende türkise Episode der ÖVP, in der potenzielle Kandidatinnen für Aufsichtsratsposten etc. auch nach dem Merkmal „steuerbar“ ausgesucht wurden.

Networken mögen andere

Dass sich Kraker in einem dieser Netzwerke verheddern könnte, gilt als ausgeschlossen: „Networking will sie nicht, und das passt auch nicht zu ihr“, heißt es über sie. Die Politikerinnen und Politiker, die sie in der ersten Halbzeit ihrer Präsidentschaft getroffen habe, könne man an zwei Händen abzählen. Was nicht heiße, dass sie nicht ansprechbar sei, aber von sich aus suche sie keine parteipolitischen Kontakte.

Wenn sie mit der Politik kommuniziert, dann tut sie das öffentlich in wohlgesetzten Auftritten und Interviews, wenn sie das Gefühl hat, dass „es notwendig ist“, um „zu sagen, was ist“. Als Person stellt sie sich absolut hinter die Institution, die sie aber nutzt, um Kritik an Missständen zu üben. „Der Rechnungshof hat es in seiner DNA, Kritik zu üben“, sagte sie in einer Folge ihres RH-Podcasts mit dem sinnigen Namen Trust.

Vertrauen ist auch Teil des Mottos, unter das sie ihre RH-Präsidentschaft gestellt hat: „Kontrolle schafft Vertrauen“. Um diese demokratiepolitisch existenzielle Kontrolle zu etablieren, greift die RH-Chefin auch zu ungewöhnlichen Notwehrakten. Als ihr das Warten auf ein Parteiengesetz von Türkis-Grün mit echter Kontrollmöglichkeit für den RH zu lang wurde, schlüpfte Kraker, die als extrem konsequent, genau und gewissenhaft gilt und ausschließlich im Gehen telefoniert, kurzerhand in die Rolle der Tempomacherin und legte einfach selbst ein Gesetz vor.

Und dann in die Hofburg?

Mitterlehner interpretiert all das als Zeichen für ein evolutionäres Rollenverständnisses der RH-Präsidentin: „Anfangs war sie die kontrollierende Revisorin, aber ich habe das Gefühl, sie legt ihre Rolle stärker als eine Art des ,steuernden Controllings‘ aus. Die dritte Rolle ist zunehmend die als Innovatorin, was die Entwicklung der Republik angeht. Ihre Forderungen nach Reformen, transparente Parteifinanzen oder Zugang zu Informationen, sind ja lauter Themen, die für die Demokratie insgesamt wichtig sind.“

Krakers Amtszeit als Rechnungshofpräsidentin endet 2028. In dem Jahr steht übrigens wieder eine Bundespräsidentschaftswahl an. (Lisa Nimmervoll, 18.6.2022)

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